Bundestagspräsident lehnt erneute Einreisebeschränkungen wie im Frühjahr 2020 ab
Offenburg - Seit fast 50 Jahren vertritt Wolfgang Schäuble (CDU) den Wahlkreis Offenburg im Bundestag – stets mit Direktmandat. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt er unter anderem, was er von den Grenzschließungen im Frühjahr 2020 hielt und wie er sich für seinen Wahlkreis einsetzt.
Herr Schäuble, haben Sie Zweifel, dass Sie erneut das Direktmandat erringen?
Zweifel ist nicht das richtige Wort. Aber wenn Sie das Erringen eines Direktmandats für eine Selbstverständlichkeit hielten, hätten Sie nicht das richtige Maß an Demut und Respekt vor der Entscheidung der Wähler. Ich respektiere, wenn Menschen anderer Meinung sind. Ich habe immer gesagt: "Bitte, gehen Sie wählen! Wenn Sie mich wählen, finde ich’s toll. Wenn Sie jemand anderen wählen, ist es auch in Ordnung."
Wie viel Ortenauer steckt noch in Ihnen?
Ich bin durch meine Heimat geprägt, das verleugne ich nicht. Ich habe auch immer abgelehnt, meinen Dialekt ganz abzulegen. Im Bundestag habe ich in den letzten Jahren den Eindruck gehabt, dass das gut angekommen ist. Sätze wie "Jetz’ mache mal halblang" oder "Es isch, wie es isch", und "Jetzt isch over" gehören ja beinahe schon zur Weltliteratur (lacht).
Mitbewerber haben Sie kritisiert, den Kontakt zu Ihren Wählern zu vernachlässigen. Verlieren Sie durch ihr Amt den Blick auf die Region?
Nein. Schauen Sie, wo ich lebe – mitten in Offenburg, mitten unter den Menschen. Ein Teil der Kritiker lebt nicht mal in der Ortenau. Meine Frau und ich sind normale Leute! Das wissen die Menschen hier auch.
An Podiumsdiskussionen mit anderen Kandidaten nehmen Sie nicht teil ...
Mein Amt als Bundestagspräsident legt mir eine gewisse Zurückhaltung auf. Ich kann ja schon deswegen keine Podiumsdiskussionen machen, weil ich womöglich am nächsten Tag wieder eine Bundestagssitzung leiten und dann neutral sein muss. Ich kann es natürlich trennen, aber ob die Zuhörer es so gut trennen können, weiß ich nicht.
Schmerzt der Vorwurf?
Man muss auch solche Kritik ertragen. Aber ich muss mir die Ortenau nicht von anderen erklären lassen. Ich kenne die Menschen und die Menschen kennen mich.
Haben Sie für Ihren Wahlkreis noch etwas auf der Agenda?
Ich habe meine Tätigkeit als Abgeordneter nie so verstanden, dass ich nur für den Wahlkreis zuständig bin. Ich glaube, dass ich, gerade weil ich Verantwortung über den Wahlkreis hinaus hatte, für diesen mehr habe erreichen können.
Wie meinen Sie das?
Beispielsweise beim Bahntunnel in Offenburg: Ich habe der Bürgerinitiative damals immer gesagt, dass ich nicht zu jeder Demonstration kommen kann. Sonst sagt der Verkehrsminister, der Finanzminister müsse ja nur das Geld freigeben. Das geht nicht. Aber glauben Sie mir, dass ich mehr Einfluss darauf genommen habe als andere.
Und wie?
Indem ich zum Beispiel zum Verkehrsminister oder Bahnchef – das waren ja mehrere in meiner Zeit – gesagt habe: "Fahren Sie doch mal nach Offenburg. Gucken Sie sich das an. Dann wissen Sie, Sie werden diese Strecke nicht ohne Tunnel bauen können." Ich kümmere mich, hänge es aber nicht an die große Glocke.
Wegen der Agenda 2030 herrscht die Sorge, die Gesundheitsversorgung könnte sich verschlechtern. Was halten Sie von den Klinik-Schließungen im Kreis?
Diese Entscheidung lag beim Landkreis, nicht auf Bundesebene. Ich finde aber, dass er gut entschieden hat. Ich weiß allerdings auch, wie bitter das für Oberkirch und Ettenheim ist. Wichtig ist, dass die Notfallversorgung ortsnah ist. Ansonsten möchte aber doch jeder die bestmögliche medizinische Versorgung – die gibt es eben in den größeren Zentren. Bei mir war es damals genauso.
Was meinen Sie?
Als ich 1990 in Oppenau niedergeschossen wurde, kam ich zunächst nach Offenburg ins Klinikum. Ich wurde aber schnell nach Freiburg in die Uni-Klinik verlegt, weil die dort einfach besser auf meine schweren Verletzungen eingestellt waren.
Die Jüngeren kennen erst seit Corona die Grenze zu Frankreich. Wie schmerzhaft waren die Binnengrenzkontrollen für Sie?
Sehr. Sie waren auch falsch. So eine Maßnahme kommt nicht mehr in Frage – die Lebensräume sind zu sehr verflochten. Klar, müssen wir schauen, dass wir uns das Virus nicht herüberholen, aber es gibt andere Möglichkeiten.
Viele hatten damals den Eindruck, dass über ihren Kopf entschieden wurde. Haben Sie Verständnis für deren Frust?
Ja, aber das Verständnis alleine bringt uns nicht weiter. Man muss es den Menschen erklären und gemeinsam überlegen, was man besser machen kann.
Und wie erklären Sie das den Menschen?
Es musste schnell entschieden werden. Die Entwicklung war rasend schnell, in der jüngsten Flutkatastrophe konnten Sie ja auch nicht lange diskutieren. Dazu haben wir Vertreter gewählt, die die Verantwortung tragen. Wir treffen eben auch Entscheidungen und sehen nach ein paar Wochen, dass sie doch nicht richtig waren. Dann muss man das korrigieren. Aber wenn wir gar nicht entscheiden, machen wir auf jeden Fall alles falsch.
Der Tourismus bei uns leidet immer noch unter den Folgen des Lockdowns. Wie machen Sie der Branche wieder Mut?
Wir müssen unterscheiden: Es gibt Betriebe, denen geht es besser als vorher, weil die Fernreisen abgenommen haben. Das Problem sehe ich da eher im Fachkräftemangel. Der hat sich noch verstärkt. Aber: Die Krise bietet für den Tourismus in unserem wunderschönen Schwarzwald und der Oberrhein-Gegend auch viele Chancen, neue Ideen zu entwickeln.
Werben Sie in Berlin eigentlich auch für Ihren Wahlkreis als Reiseziel?
Ja, das mache ich auch – mit Zurückhaltung. Ich vertrete als Abgeordneter ja das ganze deutsche Volk.