Nicht zum ersten Mal hat Wolfgang Brandner, vormals in Albstadt lebendes Genie am Piano, im Stauffenbergschloss Lautlingen für die Menschenrechte gespielt – und, so hoffen seine Fans, die sich dort ein Stelldichein gaben, auch nicht zum letzten Mal.
Die Vögel im Schlosspark haben ausgezwitschert und Wolfgang Brandner übernimmt nahtlos. „April Joy“, die Freuden des launischen Monats, begrüßt die Zuhörer mit warmen Frühlingsstrahlen.
Sie scheinen durch die Fenster in den Konzertsaal, doch in den Gefängnissen dieser Welt sind die Fenster zu klein, zu hoch, als dass die Sonne jene wärmen könnte, die dort einsitzen – nicht wenige von ihnen, weil sie Meinungs- und Pressefreiheit in die Tat umsetzen. Für sie kämpfen Amnesty International und die UN-Flüchtlingshilfe, und für sie spielt Wolfgang Brandner.
„Mit ‚April Joy‘ beginne ich sonst nie ein Konzert, aber ich wollte unbedingt die Frühlingsgefühle ausdrücken – und mich weiter nicht über Politik auslassen“, sagt der Pianist, der besonders gerne im Stauffenbergschloss spielt, „einem meiner Lieblingsorte in Albstadt“.
Viel schöner als die Welt da draußen
„Misty“ von Errol Garner ist ein gefälliges Jazz-Stück, viel schöner als die Welt da draußen, in der mehr Kriege zu toben scheinen als je zuvor – jene, bei denen mit Waffen, und jene, bei denen mit Worten geschossen wird. Georg Friedrich Händels „Sarabande“ in schwermütigem Moll passt dazu. Aber die Zuhörer kennen Brandner: Schon nach den ersten Takten serviert der begnadete Pianist seine eigene Version, und die ist so forsch, wie man sich die Durchsetzung von Menschenrechten wünschte. Obwohl der Mann das sein Leben lang hauptberuflich gemacht hat, ist es immer wieder ein Wunder, wie wunderschön Brandner improvisiert, welche Fülle er aus dem Flügel zaubert.
Da nimmt schon der Applaus nach dem dritten Stück die Dimension des Schlussbeifalls an. Erste Bravo-Rufe ertönen. Und was hat jetzt Jimmy Hendrix im Programm verloren? War der nicht ein Gitarren-Gott? Der Melodie „Little Wing“ gibt Brandner Flügel mit hohen, hellen, glockengleichen Klängen, schiebt ein Blatt zwischen die Saiten, greift hinein. Nur Tasten sind zu wenig, um seiner Spielfreude Ausdruck zu geben. Sein „Foggy Day“ von George Gershwin ist zu fröhlich, um neblig zu sein, und zu schön, um nach einer Pause zu verlangen. Nach derselben bittet Brandner zum „Tee mit Mr. Goldberg“: Johann Sebastian Bach zu veredeln, gelingt nur Genies. Und Wolfgang Brandner gelingt es mühelos mit seinem Improvisationstalent, wobei dieser Tee eher nach spritzigem Aperol klingt. Mit frischer Minze darin.
Thelonious Monks „Round Midnight“ ist „sehr Blues-betont“ und eine Mischung aus Ohrwurm-Melodie, Klang-Kaskaden und Tanz auf der Klaviatur, die der Pianist so einzigartig beherrscht. Seine Improvisationen über Frédéric Chopin hat er „Valldemossa Fantasy“ genannt, weil er sich in jenem Ort auf Mallorca, wo Chopin George Sand liebte, vorstellte, wie deren Kinder Schwalben fingen – und die Umarmung fühlte, in die sie am Ende sinken. Phänomenal: Es ist hörbar, welches Bild Brandner mit seiner Musik gerade malt.
Sein Beatles-Medley mit dem melodischen „And I Love Her“, dem depressiven „Fool On The Hill“ und dem groovigen „Come Together“ gibt Brandner die Chances, drei ganz verschiedene Spielarten ins Spiel zu bringen. Vor Chick Coreas „Crystal Silcence“ setzt er einige Momente der Stille, damit die Musik richtig reinknallt, und dessen „Spain“ beendet das – einmal mehr – herausragende Konzert noch nicht, sondern Duke Ellingtons „Second Doll“, eine köstliche Zugabe. „Jazz lebt von der Freiheit“, sagt Wolfgang Brandner, ehe tosender Schlussapplaus aufbrandet. Genau deshalb spielt er für die Menschenrechte „in einer Welt, in der sie mit Füßen getreten werden“.