Heidi Armbruster führte im Rahmen ihrer Forschung Interviews im Kinzigtal. Foto: Dorn Foto: Schwarzwälder Bote

Soziales: Wissenschaftlerin forscht im Auftrag der Universität Southampton im Wolf- und Kinzigtal

Wolfach. Eine engagierte Zivilgesellschaft ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration. Das ehrenamtliche Engagement der Alltagsbetreuer und anderer in der Integrationsarbeit tätigen Personen im oberen Kinzigtal und Wolftal war in den vergangenen drei Wochen Gegenstand einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit. Die Sozialwissenschaftlerin Heidi Armbruster von der Universität Southampton führte dazu etwa 20 Interviews durch. Im Gespräch mit unserer Zeitung berichtete sie über ihre Arbeit.

Für ihre vergleichende anthropologische Studie hatten Sie ja sicher die Arbeitshypothese im Kopf, dass es zwischen dem Schwarzwald und dem ebenfalls ländlichen Hampshire Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede geben wird. Welche großen Unterschiede konnten Sie feststellen?

Ich habe viele Gemeinsamkeiten feststellen können, die wenigen Unterschiede sind vor allem politischer Natur, beziehungsweise liegen in den unterschiedlichen Herangehensweisen der Politik an die Flüchtlingskrise im Jahr 2015.

Wodurch unterschieden sich Ihrer Meinung nach 2015 britische und deutsche Flüchtlingspolitik?

Die Regierung Merkel hatte im Sommer 2015 mit dem Motto "Wir schaffen das" europaweit ein Zeichen für eine Willkommenskultur gesetzt. Die englische Regierung war zurückhaltend und zeigte wenig Interesse am damaligen EU-Vorschlag zur Quotenverteilung von Flüchtlingen. Die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt für EU-Bürger war bereits zum Politikum geworden, nachdem seit 2004 zehntausende osteuropäische Arbeitskräfte nach Großbritannien einwanderten und die erstarkende rechtspopulistische UKIP-Partei dagegen Stimmung machte. Vor diesem Hintergrund zögerte die Regierung Cameron lange mit der Entscheidung, Flüchtlinge aufzunehmen. Dann wurde unter dem Druck der Öffentlichkeit das "Vulnerable Persons Resettlement Programme (VPRP)" gestartet.

Was bedeutete dieses Programm?

Im Rahmen des VPRP erklärte sich Großbritannien bereit, über fünf Jahre verteilt insgesamt 20 000 besonders bedrohte Syrer als so genannte "Kontingentflüchtlinge" in Großbritannien aufzunehmen, vermittelt über das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR.

War da schon klar, wo diese untergebracht werden können?

Ja, und das ist wohl ein großer politischer Unterschied. Mit Start des Programms konnten sich Kommunen melden, in denen es gelang, ausreichend privaten Wohnraum zu organisieren. Unter dem Eindruck der Medienberichterstattung aus den zerbombten syrischen Städten und spätestens nach dem schockierenden Foto des ertrunkenen zweijährigen syrischen Jungen erklärten sich viele bereit, Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die Zahl der Wohnungen wurde von den Kommunen an das Innenministerium gemeldet, welches dann die Überführung der Geflüchteten mit dem Flugzeug direkt nach England anordnete, das heißt, die Familien konnten sofort eine private Wohnung beziehen.

Von solchen Verhältnissen konnte man beispielsweise in Wolfach lange nur träumen. Haben Sie in den Interviews davon etwas zu hören bekommen?

Die von mir Befragten setzten sich durchaus kritisch mit der Standortsuche für die städtischen Container auseinander, betonten aber auch, dass sich in puncto ehrenamtlichem Engagement in Wolfach vieles zum Positiven gewendet habe.

Welche großen Gemeinsamkeiten haben Sie aus den gut 50 Interviews in beiden Ländern ableiten können?

Die Hauptgemeinsamkeit liegt im beispiellosen ehrenamtlichen Engagement, ohne das die Integration nicht funktionieren würde. In Hampshire und im Kinzig- und Wolftal habe ich mit Menschen gesprochen, die für die Geflüchteten sprichwörtlich ins kalte Wasser gesprungen sind, also vorher noch nie Kontakt mit Menschen aus Syrien, Irak oder aus Afrika hatten und dies in einem Umfang, der viele Stunden im Monat umfasst. Viele haben Beziehungen zu den Familien der Geflüchteten aufgebaut.

Wie empfanden die Befragten das Gespräch mit der Professorin aus England?

Vielen tat es hörbar gut, über ihr ehrenamtliches Engagement zu sprechen, manche Gespräche dauerten mehr als zwei Stunden. Ich arbeite in Southampton in einem Frauengesprächskreis mit, um syrischen Frauen mehr Gelegenheit zu geben, ihre Englischkenntnisse zu verbessern und erlebe, wieviel Freude es machen kann, sich auf diesem Gebiet zu engagieren.

Wird die Studie fortgesetzt?

Die Studie lautet ja übersetzt "Neue Landschaften der Mobilität" und da würden wir gerne auch noch die Geflüchteten selbst dazu befragen, wie sie sich in der Landschaft Schwarzwald mit Wäldern, Bergen und Wintern fühlen. In Hampshire haben wir mit mehr Personaleinsatz solche Interviews bereits führen können, für den Schwarzwald war meine Forschungszeit aber leider zu kurz. Wir werden jedoch versuchen, entsprechende Fördermittel zu beantragen, um dieses Projekt auch hier im Schwarzwald noch weiterentwickeln zu können. ■ Die Fragen stellte Matthias Dorn.

Heidi Armbruster hat nach der mittleren Reife an der Realschule Wolfach am Wirtschaftsgymnasium Hausach Abitur gemacht. An den Universitäten München, Wien und London studierte sie Kultur- und Sozialanthropologie. Seit 2003 lehrt und forscht sie an der Universität von Southampton. Für die vergleichende Studie Hampshire/Kinzigtal hat sie an der Universität ein Forschungssemester eingelegt, welches sie für drei Wochen zurück in ihre Heimat geführt hat. Als "mittelmäßige" Englischschülerin auf der Realschule hatten engagierte Lehrer am Hausacher Wirtschaftsgymnasium ihr Interesse für ein Studium geweckt, ein Jahr als Au-Pair in London war der Start für eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere in England.