486 Mütter hat Yvonne Künstle in elf Jahren als Hebamme betreut. Ihren Beruf möchte sie nicht aufgeben. Foto: Ehrlich

Haftpflichtversicherung ist nicht mehr bezahlbar. Von Existenzangst geplagt. Hoffnung auf politische Lösung.

Wolfach - "Ich wünsche mir nichts mehr, als wieder Geburtshilfe leisten zu können", sagt Hebamme Yvonne Künstle aus Wolfach. Doch die hohen Haftpflichtversicherungsbeiträge kann sie, wie auch viele anderen Hebammen, schon lange nicht mehr tragen.Seit mittlerweile elf Jahren ist Künstle als freiberufliche Hebamme im Kinzigtal tätig. In dieser Zeitspanne haben sich die Beiträge für die Haftpflichtversicherung verzehnfacht und liegen inzwischen bei mehr als 5000 Euro im Jahr. Ein Betrag, den die meisten Hebammen aus eigener Kraft nicht stemmen können.

Bis zu 30 Jahre nach der Geburt sind Hebammen für Geburtsschäden haftbar. Die tatsächliche Zahl der Schadensfälle sei zwar nicht gestiegen, aber der finanzielle Aufwand im Schadensfall ist enorm. Nur noch zwei Versicherungen sind derzeit bereit, dieses Risiko zu tragen. Zum 1. Juli 2015 steigt die Nürnberger Versicherung allerdings aus. Übrig bleibt dann nur noch die Allianz, deren Beiträge laut Künstle noch einmal deutlich höher, und somit erst recht nicht bezahlbar seien.

"Wenn sich keine Lösung findet, entspricht das einem Berufsverbot", erklärt Künstle. Denn ohne Haftpflichtversicherung darf eine Hebamme nicht praktizieren. Zwar gebe es auch noch wenige in Kliniken angestellte Hebammen, doch sowohl diese, als auch Gynäkologen, die Geburtshilfe leisten, haben mit den hohen Versicherungsbeiträgen zu kämpfen. Mit dem Ausfall der Nürnberger Versicherung würde das Aus der Geburtshilfe einhergehen, fürchtet Künstle: "Wir alle haben Existenzangst. Es sind jetzt noch eineinhalb Jahre, bis ich vielleicht keinen Job mehr habe. Für mich wäre das das schlimmste, was passieren könnte."

Ähnliche Probleme zeigen sich aber auch im europäischen Umland und sogar darüber hinaus, in Frankreich sei beispielsweise eine flächendeckende Hebammenversorgung kaum noch gewährleistet. In manchen Regionen der USA sei, so Künstle, nicht mal mehr eine natürliche Geburt möglich. Sämtliche Kinder würden dort per Kaiserschnitt entbunden.

Als stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbands deutscher Hebammen konnte Künstle auch einen Rückgang der Bewerberzahlen um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen. Rund 40 Prozent der Hebammen schulen außerdem um.

Künstle ist ihrem Beruf trotz der ungewissen Zukunft bisher treu geblieben: "Für mich wäre das ein Beinbruch. Ich bin mit Leib und Seele Hebamme und möchte auch gar nichts anderes sein."

Im Kinzigtal und im Ortenaukreis sei die flächendeckende Hebammenversorgung momentan noch gegeben. Künstles Einzugsgebiet reicht von Haslach bis Gutach und von Alpirsbach bis Schapbach, im gleichen Raum praktizieren vier weitere Hebammen. Nur eine von ihnen leistet noch Geburtshilfe in einer Klinik. Gerade in ländlichen Regionen ist die Nähe einer Hebamme aber sehr wichtig. "Von Wolfach aus fährt man mindestens 40 bis 45 Minuten nach Lahr, Offenburg oder Freudenstadt in die nächste Klinik", erklärt Künstle. Als Hebamme sei sie für viele nicht nur medizinischer Ansprechpartner sondern eine "Freundin" auf Augenhöhe.

Der Deutsche Hebammenverband sowie der Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands hoffen nun auf eine schnelle politische Lösung. Denkbar wäre eine Haftungsobergrenze aus einem Steuerfond. "Wir haben bisher viele positiven Signale aus der Politik bekommen", sagt Künstle.

Auch viele Familien würden sich stark machen. Solange sie kann, bleibt sie optimistisch: "Wir hoffen auf ein Wunder."

Denn der Beruf Hebamme bedeutet weit mehr als Geburtshilfe. Ab der ersten Schwangerschaftswoche hat eine Frau den Anspruch auf Hebammenhilfe. So ist die Hebamme von der Schwangerschaft bis zu einem Jahr nach der Geburt der persönlicher Ansprechpartner einer jungen Familie. Vorbereitungskurse, gesundheitliche und psychische Hilfe, sowie Stillberatung und Rückbildungsgymnastik kommt alles aus einer Hand. "Es ist kein Job, sondern eine Berufung", ist sich Künstle sicher.

Findet sich keine politische Lösung, müssten schwangere Frauen und junge Mütter ab Juli 2015 wohl auf all diese Leistungen verzichten.