Arbeitslose sind bei der Wohnungssuche im Vorteil: Ihre Miete wird ganz sicher überwiesen.
Stuttgart- Nicht schlecht staunte ein Vermieter, als Interessenten seine Zweizimmerwohnung im Raum Göppingen besichtigten. Mehrere Bewerber sagten unaufgefordert: "Die Miete ist kein Problem. Die übernimmt das Arbeitsamt." Das sollte ihre Chancen auf den Zuschlag erhöhen.
So etwas ist Manfred S. noch nie untergekommen. Gleich vier Interessenten - allesamt Hartz-IV-Empfänger - führten die Mietübernahme durch die Jobagentur wie ein Zertifikat für die Zuverlässigkeit der Zahlungen an, die sie an die Sozialbehörde delegierten. Zunächst hatte er zwiespältige Gefühle: Wer keine Arbeit hat, kann sich auf die Zahlungen des Jobcenters - finanziert durch den Steuerzahler - verlassen. Das benachteiligt Bewerber, die täglich einer Arbeit nachgehen. Sie haben niemanden, der für die monatliche Miete bürgt.
Miete muss ortsüblichen Niveau entsprechen
Natürlich ist es beruhigend für Vermieter, wenn eine Behörde für Wohnungs- und Nebenkosten seines Mieters aufkommt. Dann fließen die Zahlungen pünktlich und regelmäßig. Derlei Überlegungen haben findige Hausbesitzer längst angestellt, besonders dreiste haben zum Ärger der Sozialbehörden gar die Mieten erhöht. Und in Internet-Foren werden Beschwerden laut, wonach Vermieter in Regionen mit hohem Anteil an Langzeitarbeitslosen gar gezielt Interessenten suchen, die von Hartz IV leben - damit grenzen sie Wohnungssuchende mit niedrigem Eigenem Einkommen aus.
Nach welchen Kriterien fließen die Zahlungen? Jobcenter oder Arbeitsgemeinschaften (Argen), in denen die Bundesagentur für Arbeit und Kommunen regional zusammenarbeiten, übernehmen die Kosten für die Unterkunft sowie und Heizung für erwerbsfähige Hilfebedürftige, also Empfänger von Arbeitslosengeld II (Alg II), besser bekannt als Hartz IV. Die Wohnungsgröße muss festgelegten Flächenvorgaben und die Miete dem ortsüblichen Niveau entsprechen. Sozialverbände in der Region Stuttgart freilich beklagen, dass viele Leistungsempfänger hier nur schwer eine günstige Wohnung finden und in eine finanzielle Schieflage geraten können, weil der Zuschuss aus den öffentlichen Kassen die Kosten fürs Wohnen nur teilweise decke.
Die Jobcenter sind für Menschen zuständig, die schon einmal sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren und arbeitslos gemeldet sind. Haushalte, deren geringes monatliches Einkommen oder Rente nicht für die Miete reicht, müssen hingegen beim örtlichen Sozialamt Wohngeld beantragen. "Mietübernahmen durch Jobcenter sind gängige Praxis und keinesfalls ein Hemmnis gegen einen Mietvertrag", bestätigt der Geschäftsführer von Haus und Grund Stuttgart, Ulrich Wecker. "Mittlerweile gehen immer mehr dazu über, die Leistungen direkt an die Vermieter zu zahlen."
Hartz-IV-Bezieher müssen sich auf kalte Zeiten einstellen
Allein im Jobcenter Stuttgart sind derzeit rund 21.500 sogenannte Bedarfsgemeinschaften gemeldet - Familien, zwei Partner, Alleinstehende oder Alleinerziehende. Gemeinsam ist ihnen, dass sie staatliche Unterstützung bekommen. Insgesamt beziehen in Stuttgart Schätzungen zufolge rund 42000 Personen Hartz IV. Das Volumen beträgt monatlich 20 Millionen Euro. "Verfügen sie nicht über ausreichendes Einkommen oder Vermögen, bekommen sie die sozialen Regelleistung sowie angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung", bestätigt Thomas Kopf vom Jobcenter. Das seien weitere 8,5 Millionen Euro im Monat.
In der Landeshauptstadt fließt der Mietzuschuss aufs Konto des Hilfebedürftigen. Hintergrund: Kein Vermieter braucht zu erfahren, dass ein Wohnungsbewerber am Tropf des Staates hängt. Es kann allerdings passieren, dass der Betrag schon aufgezehrt ist, kaum dass er auf dem Konto des Bedürftigen eingegangen ist - und der Hausbesitzer wartet vergeblich auf seine Überweisung. Deshalb gilt für Härtefälle in Stuttgart: Wenn Mietschulden bereits aufgelaufen sind oder befürchtet werden, geht der Betrag direkt an den Vermieter. "Die Behörde übernimmt die Miete aber nur, solange die Person Anspruch darauf hat und hilfebedürftig ist", erklärt Kopf. Wer zum Beispiel eine Ausbildung beginne, fällt möglicherweise raus, weil er Ausbildungsförderung oder -beihilfe bezieht.
Hartz-IV-Bezieher müssen sich auf kalte Zeiten einstellen
Um Schlimmeres zu verhindern, zahlen die Ämter drauf, wenn Hilfeempfänger ihre Unterkunftskosten anderweitig versickern lassen und eine Kündigung oder gar Räumungsklage droht. "Weil eine Kündigung gegenstandslos ist, wenn die Miete nachgezahlt wird, überweisen die Jobcenter in besonders krassen Fällen notfalls zweimal", beobachtete ein Hausbesitzer: "Eine Miete an den Bedürftigen, eine zweite an den Vermieter - damit der Hartz-IV-Bezieher nicht in die Obdachlosigkeit abrutscht."
Weitaus mehr belasten aber die Gerichtsverfahren die öffentlichen Kassen, die Empfänger von Unterkunftskosten gegen die Behörden anstrengen, wenn ihnen der Zuschuss zu gering oder die Wohnung zu klein ist. Allein 2009 beschäftigten deutsche Sozialgerichte 25000 solcher Fälle.
Eine Arbeitsgruppe der Justizminister der Länder hat nach Sparmöglichkeiten gesucht. Sie empfiehlt, Hartz-IV-Haushalten eine Miet- und Energiekostenpauschale auszuzahlen - abhängig von der Zahl der Mitglieder und dem Mietspiegel ihres Wohnorts. Dann hätten die Haushalte einen Anreiz, Heiz- und Betriebskosten zu sparen, denn der finanzielle Vorteil verbliebe bei ihnen. Außerdem werde Bürokratie abgebaut. Dieses Konzept behagt der Immobilienbranche natürlich nicht. Schließlich könnte mit der Einführung von Pauschalen der pünktliche und regelmäßige Mietkostenstrom vom Jobcenter versiegen, und sie müsste sich wohl häufiger mit säumigen Hartz-IV-Empfängern herumärgern.
Für Manfred S. hat der Ärger schon begonnen. Er hat seine Wohnung an eine hilfebedürftige Frau afrikanischer Herkunft vermietet. Dann musste er einen Antrag des örtlichen Jobcenters ausfüllen, Wohnungsgröße, Miete und Nebenkosten aufschlüsseln. Drei Wochen später wurde der Großteil der Kaution überwiesen, sechs Wochen später kam die erste Mietzahlung. Weshalb bei der Kaution 40 Euro fehlten, sagte ihm die Jobagentur nicht. "Datenschutz. Fragen Sie doch einfach ihre Mieterin." Würde er einen Wohngeldempfänger beherbergen, wäre die Ungewissheit vermutlich noch größer. Diesen Menschen soll nämlich nach den Sparplänen der Regierung der Zuschuss für die Heizung gestrichen werden. Auf derart kalte Zeiten müssen sich Hartz-IV-Bezieher und ihre Vermieter noch nicht einstellen.