Zwar entstehen vielerorts neue Häuser, doch vor allem in Ballungsräumen hält der Wohnungsbau mit der Nachfrage nicht Schritt. Foto: dpa

Um den Wohnungsbau anzukurbeln, muss die Politik nach Ansicht von SPD-Fraktionschef Andreas Stoch an vielen Stellschrauben drehen: am Baurecht, an der Regionalplanung und an den Steuergesetzen.

Stuttgart - Die Landtags-SPD ist bereit, auch althergebrachte Überzeugungen über Bord zu werfen, wenn dies dem Wohnungsbau dient.

Herr Stoch, in den Ballungszentren herrscht seit Jahren eine dramatische Wohnungsnot. Warum gelingt kein großer Wurf, um dies zu ändern?
Die Politik muss für den Wohnungsbau sehr viel mehr tun als bisher. Ich glaube, es ist allen klar, dass der Markt dies nicht allein regeln kann. Bund, Länder und Kommunen müssen nachhelfen, dass mehr bezahlbare Wohnungen gebaut werden. In diesem Jahr entstehen in Deutschland 270 000 neue Wohnungen. 2017 könnte es 300 000 werden. Aber alle wissen, dass mehr als 400 000 nötig sind.
Denken Sie vor allem an Sozialwohnungen?
Im sozialen Wohnungsbau besteht großer Nachholbedarf, auch wenn hier in der SPD-Regierungszeit im Land viel geschehen ist. Allein in Baden-Württemberg brauchen wir jährlich mindestens 5000 neue Sozialwohnungen für Menschen, die auf dem freien Markt nicht fündig werden. Das heißt, wir müssen auch den sozialen Wohnungsbau anschieben. Aber wir dürfen das Thema nicht darauf reduzieren. Auch Menschen mit gutem Einkommen finden kaum Wohnungen.
Das Land will im neuen Jahr 250 Millionen Euro für die Förderung ausgeben. Das ist deutlich mehr als in der vorigen Koalition, an der die SPD beteiligt war.
Seit 15 Jahren ist die Förderung zu gering. Wir haben in der grün-roten Koalition zwar eine Trendumkehr geschafft. So wurden 2010 gerade noch 24 000 Wohnungen gebaut, 2014 waren es 33 000 und 2015 dann schon über 35 000. Doch das hat nicht gereicht, um die Defizite der Vergangenheit auszugleichen. Unser Ziel muss deshalb sein, mehr Fördermittel zu vergeben, um größere Schritte in kürzerer Zeit zu machen. Die neue Landesregierung erhöht jetzt das Programm von 205 auf 250 Millionen. Wenn man aber weiß, dass Baden-Württemberg allein vom Bund 65 Millionen Euro mehr bekommt als im vergangenen Jahr, dann fragt man sich, warum das Geld nicht komplett weitergegeben wird. Grün-schwarz geht bei der Wohnbauförderung nicht weit genug.
Welcher Betrag wäre denn insgesamt nötig?
Das wollen wir auf unserer Fraktionsklausur Anfang Januar diskutieren. Aus unserer Sicht sollten in Baden-Württemberg jedenfalls jährlich mindestens 50 000 neue Wohnungen entstehen, davon mindestens 5000 Sozialwohnungen. Deshalb werden die 250 Millionen, die ja im wesentlichen Bundesmittel sind, nicht reichen. Die Landesregierung muss die Bundesmittel komplett weiter geben und auch mehr eigene Mittel aufwenden. Und sie muss einige Rahmenbedingungen ändern.
Welche denn?
Wir sollten uns fragen, was Bauen teuer macht, und deshalb nochmals kritisch auf die Landesbauordnung schauen. Denn wir wissen, dass einige Vorschriften dafür verantwortlich sind. Es mangelt außerdem an Bauland, da müssen wir über Flächenentwicklung und Regionalplanungen reden. Und es geht darum, steuerliche Anreize für private Investoren zu setzen.
Sitzen Sie da nicht im Glashaus? Bekanntlich ist der Versuch der Berliner Koalition, neue Abschreibungsmöglichkeiten für private Investoren in Ballungszentren zu schaffen, im Sommer an der SPD-Bundestagsfraktion gescheitert.
Wenn wir die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage schließen wollen, können wir nicht allein auf öffentliche Fördergelder bauen, sondern müssen auch privates Kapital aktivieren. Deshalb brauchen wir steuerliche Anreize. Wir sind dazu im Austausch mit unseren Bundestagsabgeordneten, vor allem jenen aus Baden-Württemberg. Natürlich haben steuerliche Anreize auch Nachteile, zum Beispiel Mitnahmeeffekte. Die muss man gegen die Vorteile abwägen. Das wollen wir auf unserer Fraktionsklausur tun. Ich jedenfalls sehe die Aktivierung privaten Kapitals als ein ganz zentrales Element bei der Bekämpfung der Wohnungsnot an.
Die neue Landesbauordnung wurde mit den Stimmen der SPD verabschiedet. An welcher Stellschraube wollen Sie jetzt drehen?
Die Reform war insgesamt sinnvoll, nehmen Sie nur das Thema Barrierefreiheit. Man muss sich aber fragen, ob in Zeiten der Wohnungsnot alle ökologischen Maßnahmen notwendig sind, wenn sie das Bauen erschweren. Oder ob man nicht eine Flexibilisierung zulassen sollte. Nicht um diese Vorschriften ein für alle Mal zu entfernen, aber um zu sagen: Im Moment ist der Druck auf dem Wohnungsmarkt so groß, dass wir zum Beispiel auf Vorgaben für die Dachbegrünung oder die Fahrradabstellplätze verzichten können.
Wie lässt sich der Mangel an Bauland beheben? Gelingt das allein durch Nachverdichtung, oder müssen nicht ganz neue Stadtteile entstehen?
Natürlich muss man zunächst versuchen, Baulücken zu schließen. Aber das darf nicht das Totschlagargument gegen das Erschließen neuer Wohngebiete sein. Wenn wir feststellen, dass die Nachverdichtung an Grenzen stößt, brauchen wir auch die Möglichkeit, neues Bauland zu erschließen.
Auf Kosten der Natur?
Auch dabei muss man abwägen. Wir können diese Abwägung aber nicht immer zu Lasten des Wohnraums und zu Lasten der Menschen ausgehen lassen, die bezahlbaren Wohnraum suchen. Die werden dann immer weiter von den Ballungsräumen weg gedrängt.
Was halten Sie von finanziellen Anreizen wie dem Baukindergeld, um die Nachfrage nach privatem Eigentum zu stimulieren?
Auch bei solchen Instrumenten gibt es natürlich Mitnahmeeffekte. Dennoch halte ich sie für eine gute Möglichkeit, den Menschen den Erwerb von Wohneigentum zu erleichtern, gerade für Familien mit Kindern. Bundesbauministerin Barbara Hendricks hat deshalb zu Recht einen Vorschlag in diese Richtung gemacht.
War die Erhöhung der Grunderwerbssteuer unter Grün-Rot ein Fehler? Das hat die Immobilien doch zusätzlich verteuert.
Wir hatten in Baden-Württemberg 2011 einen riesigen Nachholbedarf bei der frühkindlichen Bildung und Betreuung. Deshalb haben wir in diesen sauren Apfel gebissen, um die Einnahme in die Kinderbetreuung zu stecken. Das Instrument der Grunderwerbsteuer ist damit aber ausgereizt. Sie kann nicht nochmals angehoben werden.