Was heute noch eine Industriebrache ist, könnte künftig Platz für neue Wohnformen hergeben. Foto: Kauffmann

Der neuerliche Maute-Info-Abend in der Hohenzollernhalle fand reges Interesse: Gut 60 Besucher sind gestern gekommen, um mehr über Cluster-Wohnen und Bauherrengemeinschaften von Experten aus erster Hand zu erfahren.

Bisingen - Die Entwicklung des Maute-Areals hat Bürgermeister Roman Waizenegger als "Jahrhundertchance" bezeichnet. Die entscheidende Frage wird nun sein wie genau diese Chance genutzt wird. Besser gefragt: Welchen Anteil werden die Bisinger an den neuen Gebäuden haben? Wie der Abend deutlich gemacht hat, ist diese Frage durchaus wörtlich zu verstehen. Experten haben den Interessierten nämlich beschrieben, wie die künftige Lebenswelt im Herzen Bisingens einmal mit Cluster-Wohnformen und Bauherrengemeinschaften gestaltet sein könnte:

Cluster-Wohnen: Wie eine große Wohngemeinschaft

Der Begriff bezeichnet etwas wie eine Wohngemeinschaft, die sich jedoch nicht auf eine einzige Wohnung bezieht, sondern auf ein ganzes Haus. Wie diese ›Groß-Wohngemeinschaft‹ baulich im einzelnen umgesetzt wird, dafür gibt es mehrere Modelle.

"Gleichzeitigkeit von Lebensstilen"

Vera Gloor von der gleichnamigen Aktiengesellschaft mit Sitz in Zürich hat bereits mehrere Projekte dieser Art realisiert, insbesondere in großstädtischem Umfeld. So stellte sie Projekte in Hamburg und Basel vor. Dabei wurden in Häusern Wohnungen eingerichtet, jeweils ausgestattet mit einer Nasszelle, jeweils mit einer Größe von 20 bis 30 Quadratmetern. Dazu kommen Gemeinschaftsflächen, beispielsweise eine große Gemeinschaftsküche, Gemeinschaftsräume oder die gemeinschaftlich genutzte Terrasse. Gloor, die persönlich nicht anwesend sein konnte, sondern ihre Projekte mit einem vorab aufgenommenen Video präsentierte, sprach von der "Gleichzeitigkeit von Lebensstilen". Das Cluster-Wohnen grenze ab und bringe zusammen. Nicht umsonst fasste sie ihre Ausführungen unter dem Titel "Teilen ist mehr" zusammen.

Auf Toleranz der Bewohner kommt es an

Genau so sieht es der Architekt Achim Achatz, der in Singen bereits ein Projekt mit Cluster-Wohnungen realisiert, mit dem Unterschied, dass ›seine‹ Wohnungen insgesamt größer und mit einer kleinen Küche ausgestattet sind. Sein Ziel: Verschiedene Wohnformen zusammenfassen, sodass Bewohner auch im Alter ihr Quartier nicht verlassen müssen.

Im Hinblick auf den Flächenverbrauch sagte er: "Das Einfamilienhaus ist letztlich Geschichte." Gleichwohl: Das Wohnen mit gemeinschaftlich genutzten Flächen, mit dem direkten Nebeneinander verschiedenster Lebensstile und beruflicher Profile erfordert von den künftigen Bewohnern vor allem Toleranz. Achatz dazu: "Es braucht eine soziale Transformation. Wir müssen wieder Toleranz lernen." Mit dem Cluster-Wohnen verbindet sich somit auch eine klare gesellschaftspolitische Zielsetzung. Ob sich dafür in Bisingen mit gewachsenen sozialen Strukturen ausreichend Interessenten finden?

Bauherrengemeinschaft: Mehrere Privatpersonen bauen ein Haus

Bei dieser Form des Neubaus schließen sich mehrere Bauherren zusammen, planen einen Neubau, realisieren und bezahlen ihn. Wie so etwas ablaufen könnte, erklärte Cord Soehlke, Baubürgermeister der Stadt Tübingen.

Von der Interessengemeinschaft zur Eigentümergemeinschaft

Am Anfang stehe eine Idee, auf die hin sich eine zunächst lose Interessengemeinschaft bildet. Diese kann sich mit einem Konzept bei der Stadt Tübingen auf einen der Bauplätze bewerben. Die Auswahl erfolgt nach einem komplizierteren System, bei dem das Konzept im Vordergrund steht. Ist die Bewerbung erfolgreich, wird aus der Interessengemeinschaft eine Planungsgemeinschaft, die schon deutlich offizieller ist, daraus wird die Baugemeinschaft, die künftig die Wohnungseigentümer sind.

Man muss anhand einer Planskizze entscheiden

Die Vorteile: Die Kosten liegen nach Angaben Soehlkes 15 bis 20 Prozent niedriger als bei einem Bauträger, und die Bauherrengemeinschaft spricht auch Menschen an, die sich ein Einfamilienhaus nicht leisten können. Thomas Gauggel, Architekt aus Tübingen, erklärte die Nachteile: Das Kostenrisiko liegt nicht beim Bauträger, sondern bei Privatpersonen; auch die Baukostensteigerung könnten dazu beitragen, dass ein Neubau nicht mehr so günstig wird; zudem wird anhand einer Planskizze entschieden und anders als bei einem Bauträger können Käufer die Wohnung nicht vorab besichtigen.

Geplant: Maute-Messe am 21. Januar 2023

Eine "Maute Messe" findet am 21. Januar 2023 auf Einladung der Gemeinde statt. Dort können Besucher nochmal mit Experten ins Gespräch kommen zum Thema Leben und Wohnen auf dem künftigen Maute-Areal. Wie der Tübinger Architekt Thomas Gauggel sagte, seien dies auch perfekte Gelegenheiten, bei denen sich Bauherrengemeinschaften bilden können. Weitere Details zur Veranstaltung werden zeitnah bekanntgegeben.

Besucher brauchen Sitzfleisch

Der gestrige Info-Abend in der Hohenzollernhalle hielt für Interessierte zahlreiche nützliche Informationen bereit. Wer alles mitbekommen wollte, brauchte Sitzfleisch: Nach zweieinhalb Stunden lief die Veranstaltung noch. Nach zwei Stunden haben die ersten Besucher die Halle vorzeitig verlassen.