Michael Ballack hatte sich im Spiel gegen Portsmouth verletzt. Foto: dpa

Michael Ballack fällt für die Fußball-WM in Südafrika aus. Die Verletzung ist zu schwer.

Sciacca/München - Fußball-Deutschland steht unter Schock, Michael Ballack ist verbittert: Ohne seinen „Capitano“ ist Joachim Löws WM-Titelmission in Südafrika erst einmal zur Utopie geworden. „Wir waren geschockt, keine Frage“, sagte der Bundestrainer nach dem Erhalt der Hiobsbotschaft vom folgenschweren WM-Aus für den 33- jährigen Ballack am Montag. „Ich bin sauer, ganz klar“, äußerte Ballack in München mit einer Mischung aus Wut und grenzenloser Enttäuschung nach der „schlimmsten Diagnose“ in seiner Karriere.

Löw erlaubte sich und seiner in Sizilien sofort zusammengetrommelten Mannschaft allerdings nur einen Moment der Niedergeschlagenheit. Dann schaltete er im Trainingslager in Sciacca sofort auf Schadensbegrenzung um. „Von Resignation kann bei uns keine Rede sein“, versicherte der Chefcoach trotzig: „Ich bin nach wie vor überzeugt, dass wir eine gute WM spielen werden. Jetzt müssen wir es schaffen, aus jedem Spieler alles herauszukitzeln.“

Vom Titel ist plötzlich keine Rede mehr

Das Wort „WM-Titel“ nahm Löw nach dem Ballack-Schock aber erst einmal nicht mehr in den Mund. Stattdessen verkündete er vorsichtig Etappen-Ziele auf dem nun noch schwierigeren Weg zum Finale am 11. Juli in Johannesburg. „Erst wollen wir eine gute Vorbereitung. Dann werden wir alles ausrichten auf die Gruppenspiele“, verkündete Löw. Gegner in Gruppe D sind Australien, Serbien und Ghana.

Kapitän Ballack, der eigentlich noch in der WM-Vorbereitung sein 100. Länderspiel absolvieren wollte, erfuhr die niederschmetternde Diagnose nach einer Kernspin-Untersuchung in der Praxis von DFB-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt in München. Der brutale Tritt des ehemaligen deutschen U-21-Nationalspielers Kevin-Prince Boateng, der für das Foul nur die Gelbe Karte gesehen hatte, im englischen Cupfinale hatten bei Ballack ein Innenband und einen Teil des vorderen Syndesmosebandes im Sprunggelenk des rechten Fußes zerstört.

Boateng entschuldigt sich

Am Montagabend zeigte sich Kevin-Prince Boateng in einem Bericht von „Sport Bild online“ vom WM-Aus Ballacks schockiert. „Es tut mir leid. Es war keine Absicht“, sagte Boateng. „Ich komme einfach zu spät und treffe ihn voll. Es sah dumm aus.“ Ballack hatte das Foul hingegen anders kommentiert: „Das sah schon nach Absicht aus.“

Die Wut der Fans richtete sich zwar vor allem gegen den ehemaligen Berliner Kevin-Prince Boateng, der im dritten Gruppenspiel am 23. Juni in Johannesburg mit Ghana gegen das DFB-Team antreten könnte. Löw warb derweil aber um einen fairen Umgang mit Boateng-Bruder Jérome, der zum vorläufigen deutschen WM-Kader gehört. „Ich habe ihm gesagt, dass wir absolut vorbehaltlos zu ihm stehen. Er ist zwar Familienmitglied, aber er ist völlig unbeteiligt. Ich bitte alle, ihn in die Sache nicht hineinzuziehen“, sagte der 50-Jährige.

„Wenn man zwei, drei Wochen vor der WM so eine Diagnose erhält, dann ist das bitter“, sagte der 98-malige Auswahlspieler Ballack den Tränen nahe. Sein sechstes großes Turnier sollte ihm eigentlich den so lange ersehnten ersten internationalen Titel bringen. Eine neue WM-Chance wird der gebürtige Görlitzer, der im September 34 Jahre alte wird, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr erhalten. Seine Zukunft beim FC Chelsea ist auch ungewiss.

Erst in acht Wochen kann Ballack überhaupt wieder mit einem Training beginnen. Der verletzte Kapitän traf wie die vier Bremer Pokalfinal-Verlierer am Montagabend im DFB-Quartier in Sciacca ein. Er soll sich nach Angaben des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nun „einige Tage“ im Hotel Verdura Resort aufhalten. „Michael hat den Wunsch geäußert, uns noch hier auf Sizilien zu besuchen“, sagte Löw.

Entsetzen bei den Mitspielern

Der Münchner Bastian Schweinsteiger, der jetzt Ballacks Chefrolle im Mittelfeld übernehmen soll, setzt auf eine Trotz-Reaktion: „Das alles Entscheidende für Deutschland wird sein, dass wir als Team auftreten, jeder für den anderen kämpft.“ Vor Ballack hatten auch schon die Leverkusener René Adler, der im Tor als Nummer 1 vorgesehen war, und Simon Rolfes verletzungsbedingt für die WM absagen müssen.

Die Bestürzung war nicht nur im Kreis der Nationalelf groß. „Ich bin unendlich traurig, dass Michael Ballack durch ein solches Foul um seine WM-Teilnahme gebracht wird“, sagte DFB-Chef Theo Zwanziger. Für Leverkusen-Trainer Jupp Heynckes ist Ballacks Drama „bitter und tragisch“, für den ehemaligen DFB-Teamchef Rudi Völler „brutal und furchtbar“. Wolfgang Overath, Weltmeister von 1974, sieht im Ballack- Ausfall „mit Sicherheit einen ganz großen Verlust“, aber „auch eine Chance für die Mannschaft - nach dem Motto: Jetzt gibt es eine Trotzreaktion, wir rücken noch enger zusammen.“

Genau diese Stimmung will Löw entfachen. „Es heißt jetzt, alle Kräfte zu bündeln“, gab der Bundestrainer als Motto aus. In der Geschichte habe es schon oft die Situation gegeben, dass andere in den Mittelpunkt rücken, wenn jemand ausfällt. „Wir haben viele junge Spieler, wir müssen sehen, dass sie das Selbstbewusstsein bekommen.“

Die Kapitäns-Frage ließ Löw noch offen. Bayern-Routinier Miroslav Klose (31) ist Ballacks Stellvertreter. Aber auch Kollege Philipp Lahm ist wie Schweinsteiger in der engeren Wahl. „Wenn mir die Ehre erteilt wird, werde ich mit Sicherheit nicht Nein sagen“, sagte der 26 Jahre alte Lahm.

Khedira und Schweinsteiger gefragt

Als erste Lösung für die Doppel-Besetzung des zentralen Mittelfeldes nannte Löw Schweinsteiger und den Stuttgarter Sami Khedira. „Diese zwei Spieler sind jetzt gefragt“, erklärte Löw. „Wenn ich eine gute WM spiele, kann ich auch andere mitziehen“, erklärte Schweinsteiger in München selbstbewusst. Als eine Alternative ordnete der Bundestrainer Khediras VfB-Kollege Christian Träsch ein.

Auf eine Nachnominierung verzichtet Löw erst einmal. Er zittert aber jetzt noch mehr um die gleich sieben WM-Spieler des FC Bayern, die am 22. Mai im Champions-League-Finale stehen. Ein weiterer Ausfall würde Löw zum Handeln zwingen. So könnte Thomas Hitzlsperger, auf den der Bundestrainer zunächst verzichtet hatte, nach den Regeln des Weltverbandes Fifa sofort mit ins Trainingslager nach Sizilien geholt werden. Eine offizielle Nachnominierung aber ist erst nach dem 1. Juni möglich. Für den Fall müsste der verletzte Ballack zunächst offiziell als WM-Spieler gemeldet werden, um dann einen Ersatz benennen zu dürfen. „Wir müssen abwarten, wie die Bayern-Spieler das Spiel in Madrid überstehen“, sagte Löw.