Michael van Gerwen (li.) ist Weltmeister von 2014, 2017 und 2019 – sein Rivale Gerwyn Price holte sich im Vorjahr den Titel. Foto: imago//Ian Stephen/Shaun Brooks

Bei der Darts-WM werden die ehemalige Nummer eins, Michael van Gerwen, und der amtierende Weltmeister Gerwyn Price keine dicken Kumpels mehr – denn „Mighty Mike“ will schleunigst an die Spitze zurück.

London/Stuttgart - Weil die Beastie Boys von den Londoner Boulevardblättern wie der „Sun“, der „Daily Mail“ oder vom „Daily Star“ in ihrem Umgangston auch gerne mal etwas gröber agieren, hatte der Dartsprofi Michael van Gerwen in seinen jungen Jahren schnell einen wenig schmeichelhaften Spitznamen weg. Als der neue „Shrek“ mit den drei Pfeilen wurde der Niederländer in besagten Zeitungen gerne mal bezeichnet – und zwar in Anlehnung an den grünen, kahlköpfigen Märchenhelden mit den seltsamen Röhrenohren von der Kinoleinwand.

Hellgrün ist bei van Gerwen, einem gelernten Bodenleger, dann tatsächlich auch über die Jahre hinweg die Hausfarbe geblieben – dies zeigt sich etwa an seinem Oberteil. Doch längst ist der 32-jährige Familienvater, der im kleinen niederländischen Dörfchen Vlijmen in einem 400 Quadratmeter großen Anwesen mit Tennisplatz residiert, zu einer der größten Qualitätsmarken des Darts geworden. Von der Legende her, da sind sich die Kritiker einig, steht lediglich der 2018 zurückgetretene Superstar Phil „the Power“ Taylor noch eine Stufe über „Mighty Mike“.

Wie lange gibt es noch Zuschauer?

Wenn MvG ans Oche tritt wie dieser Tage bei der Londoner WM im altehrwürdigen Alexandra Palace, dem Ally Pally, dann bekommen die bierseligen Fans bei ihrem turbulenten Kostümfest regelmäßig Darts der Spitzenklasse serviert. Bislang läuft die WM vor täglich 3000 Fans ab. Doch auch angesichts der Tatsache, dass der inzwischen ausgeschiedene Ex-Champ Raymond van Barneveld an Heiligabend positiv auf Corona getestet wurde, weiß niemand, wie lange noch Zuschauer zugelassen sind.

Und auch van Gerwen, der dreimalige Weltmeister, der sich 2019 im Norden der britischen Hauptstadt zuletzt die Krone aufsetzte, hat unruhige Zeiten hinter sich. Kein Wunder also, dass der Niederländer, ein glühender Fußballfan des PSV Eindhoven, sich zuletzt abseits der Dartscheibe ziemlich gereizt präsentierte. „Ich bin hungrig auf Erfolg“, sagt er.

Denn tatsächlich hat der langjährige Dominator der Branche, der insgesamt sieben Jahre am Stück wie selbstverständlich die Weltrangliste im Darts anführte, im laufenden WM-Turnier sich und der Szene einiges zu beweisen.

Ein Ausrüsterwechsel, die Wirren der Coronapandemie und dazu die Tatsache, dass sich 2021 bei MvG nicht alles ausschließlich um seinen Beruf drehte, haben dazu geführt, dass der Meister mit der genialen Hand-Auge-Koordination nicht mehr der unumstrittene Regent ist. Als Nummer eins der Weltrangliste agiert inzwischen Gerwyn Price, eine muskulöser Ex-Rugbyspieler, der auf den Spitznamen „Ice Man“ hört.

Das Ende als Rugbyspieler

Schon aufgrund seines durchtrainierten Körpers ist der Waliser der Gegenentwurf zu vielen Kollegen, denen anzusehen ist, dass Darts seine Wurzeln in der Kneipe hat. Seit 2014 ist der 36-Jährige Profi, seit er aufgrund einer Handverletzung seine Rugbykarriere aufgeben musste. Im vergangenen Jahr holte sich Gerwyn Price bei der WM ohne Publikum den Titel. Das war, als sich van Gerwen im Viertelfinale beim 0:5 gegen Dave Chisnall eine seiner schmerzhaftesten Niederlagen überhaupt einhandelte.

Zum Auftakt der aktuellen WM hatte van Gerwen beim 3:1-Sieg über Chas Barstow noch Startprobleme – doch er stellt unmissverständlich klar: „Ich bin nicht auf dem Weg zurück. Ich bin schon zurück“, sagt der 32-Jährige – und ergänzt angriffslustig: „Alle wissen, wozu ich imstande bin. Die anderen Spieler hängen von mir ab. Wenn ich mein Spiel spiele, kann mich niemand schlagen. Sie wissen das, aber sie sind nicht Manns genug, das auch laut zu sagen. Und ich verstehe das. Ich würde in ihrer Situation dasselbe tun.“

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Das ist zwar gut gebrüllt, doch auch der Niederländer weiß, dass er seinen Worten nun auch Taten folgen lassen muss. Für das große Spektakel mit einer Flut an 180ern sowie 17 perfekten Pfeilen in Serie wie im WM-Halbfinale gegen James Wade im Jahr 2013 war schon immer van Gerwen zuständig, der jetzt in der dritten Runde am Mittwoch auf den Belgier Kim Huybrechts trifft. Doch es sollte auch wieder Zählbares herausspringen. In diesem Jahr hat van Gerwen keinen großen Titel geholt.

Dies soll sich nach Silvester mit der Krönung im WM-Finale am 3. Januar ändern. So tippte auch der neue Intimfeind Gerwyn Price, der an diesem Montag zunächst gegen den Engländer Chris Dobey spielt, auf ein Endspiel zwischen van Gerwen und ihm. Dort wolle der Waliser, der seine Jubelorgien zum Teil als Mittel der psychologischen Kriegsführung einsetzt und der im Ally Pally traditionell mit Buhrufen des vorwiegend englischen Publikums zu kämpfen hat, dann den aus seiner Sicht „zweitbesten Spieler der Welt“ besiegen.

Van Gerwen ist von sich überzeugt

Für den gereizten van Gerwen war dies eine Maßvorlage: „Wir alle wissen, dass er (Price, Anm. d. Red) von sich überzeugt ist“, erklärte der Niederländer auf der Pressekonferenz nach seinem gewonnenen Auftaktmatch: „Tief in seinem Herzen ist ihm aber klar, dass sie alle abhängig von mir sind, wenn ich mein bestes Spiel spiele.“ Der Rest des Feldes, so van Gerwen, „darf dann nicht einmal in meinem Schatten stehen“.