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Zärtlichkeiten unter Männern und Pokalen, ein Fan-Jet mit Sondergenehmigung, Schunkelmusik und jubelnde Massen: Das waren die Zutaten einer durchchoreografierten WM-Party, die die fußballaffinen Berliner begeisterte und Futter für die Medien lieferte.

Berlin - Nicht der goldene Pokal, die verschiedenen Siegerposen oder eine nett anzusehende Helene Fischer sorgten für im Nachhinein kontrovers diskutierte Momente, vielmehr eine Szene, die man so auf eher auf den Bolzplätzen erwartet hätte - doch der Reiher nach. Die Ersten kommen um 6 Uhr in aller Frühe – und müssen feststellen, dass sie gar nicht die Ersten sind. Mancher Zelter war noch schneller. Bei einer halben Million Fußballfans, die den letzten Akt der Weltmeisterschaft miterleben wollen, ist es nicht ganz unwichtig, wo man steht.

Um halb acht ist es schon ziemlich dicht. Der eine oder andere Zuschauer auch. Aber das sind die üblichen Ausnahmen. Die Fanmeile in Berlin – das ist die Herzkammer der deutschen WM-Begeisterung, Touristenattraktion, Markenzeichen, Kult. Die Szenerie ist unvergleichlich. Das Brandenburger Tor überragt die Bühne, der Reichstag begrenzt den Platz zu einer Seite, von Ferne grüßt – passend – die Siegessäule. Und der Berliner Dauerregen der letzten Tage hat sich verzogen. Von der Bühne grüßt schon um acht ein unangenehm wacher Radiomoderator und testet die Stimmung. „Sind Bayern hier? Und Nordrhein-Westfalen?“ Oh Wunder, die deutschen Stämme melden sich vollzählig zum Jubeln. Das müssen die Fans erst mal ohne die Stars besorgen, denn der Flieger aus Rio hat Verspätung.

Auf der anderen Seite des Brandenburger Tors steht die Akademie der Künste. Da ist niemand. Der Platz ist abgesperrt. Helene Fischer singt. Auf der anderen Seite. „Atemlos durch die Nacht. Spür, was Fußball (statt Liebe) mit uns macht“, hat sie ihren Hit umgedichtet. Sie wendet sich an ein begeistertes Fachpublikum, dem Super-Mario Götze den Schlaf geraubt hat. Als Fischer nicht mehr singt und auch nicht mehr De Höhner, singen die Fans. Gotthilf Fischer wär’s zufrieden gewesen. Der Moderator animiert zu „Steht auf, wenn ihr für Deutschland seid“, aber nach fünf Stunden Warten – natürlich im Stehen – trifft das nicht direkt die Gefühlslage. „So lang hab’ ich in der DDR nicht mal nach Obst angestanden“, ruft jemand zum Vergnügen aller Umstehenden.

Erhebendes zwischendurch: Um 10 Uhr schweben die Jogi-Flieger in 600 Meter Höhe – in Reichweite also – über der Fanmeile. Pilot Uwe Strohdeicher wackelt mit den Tragflächen. Der Gruß – dank Sondergenehmigung – wird verstanden und euphorisch erwidert. Acht Minuten später landet die Maschine in Tegel.

Die Busfahrt durch Berlin ist erstens ein Triumphzug und zweitens irgendwann vorbei. Als das Nationalteam den Pariser Platz erreicht, gibt es kein Halten mehr. „Wir wollen die Mannschaft sehen“, ruft das Volk. Es sieht wieder Helene Fischer, denn zuerst muss Bürgermeister Klaus Wowereit Autogramme haben – fürs Berliner Sportmuseum.

Dann endlich: Er erscheint. Jogi, der Weltmeistermacher, Argentinien-und-BrasilienBesieger. An der Sonnenbrille mag man zumindest erkennen, dass es in den letzten 24 Stunden an „höchschter Disziplin“ ein wenig gemangelt hat. Er lässt sich weder in die Augen noch in die Karten schauen. Macht er weiter?, will der Moderator wissen. Das umdribbelt Löw elegant. „Wir alle sind Weltmeister“, sagt er einfach. Das ist zwar nun wirklich keine Antwort, aber Hunderttausende Mitweltmeister sind angetan. „Oh, wie ist das schön.“

Dann kommen die Kicker. Geordnet in Gruppen, gemäß der Hausgemeinschaft im Campo Bahia. Sie haben sich was ausgedacht. Jede Abteilung hat eine kleine Choreografie vorbereitet. Die Truppe um Philipp Lahm kommt gebeugt daher wie eine Buß-Prozession. Dann springen sie auf und lassen den Pokal sehen. Oder wie es Bastian Schweinsteiger sehr präzise formulierte: „Da ist das Scheißding“. Toni Kroos singt eine kleine Hymne auf Miro Klose, Jérôme Boateng ist „stolz, Berliner zu sein“, und Manuel Neuer animiert zum Refrain „Wir sind die Nummer eins der Welt“.

Die weitaus unterhaltsamste Einlage ist politisch nicht ganz korrekt. Miro Klose, André Schürrle, Shkodran Mustafi, Mario Götze, Roman Weidenfeller und Toni Kroos kommen in tief gebücktem Gang auf den Laufsteg. „So gehen die Gauchos, die Gauchos gehen so“, singen sie gar nicht mal schlecht. Dann richten sie sich auf, werfen die Arme in die Höhe und singen: „So gehen die Deutschen, die Deutschen gehen so.“ Die Argentinier werden das nicht so nett finden. Die Brasilianer schon. Die Berliner auch. Hübsch ist auch die kleine Gemeinheit von Schalke-Star Julian Draxler, der den Dortmunder Kollegen Kevin Großkreutz, bekanntlich auch abseits des Platzes ein Mann von feinen Sitten, mit dem Song überraschte: „Großkreuz, rück den Döner raus!“ Eine Anspielung auf Meldungen, Großkreutz habe sich jüngst im Zorn einen nicht ganz sachgemäßen Umgang mit Lebensmitteln geleistet.

Und dann war auch der letzte Akt der großen, der verrückten, der beglückenden WM-Zeit vorbei. In zwei Jahren ist Europameisterschaft – und die Nationalmannschaft hat eine feste Verabredung in Berlin.

Der allerletzte Akt fand in München statt: Schweinsteiger küsste bei seiner Rückkehr den Boden der bayerischen Landeshauptstadt. Der 29-Jährige sank nach dem Verlassen des Flugzeugs auf die Knie, küsste seine Hand und berührte dann den ausgerollten roten Teppich. Das ließ auch Ministerpräsident Horst Seehofer nicht ungerührt. „Ich habe die Höchststufe des Stolzes erreicht“, sagte er und überreichte an alle Bayern-Spieler als Anerkennung den „Bayerischen Löwen“.