Christian Günter bezieht Stellung zum Bindenzoff. Foto: dpa/Christian Charisius

Der Freiburger Kapitän Christian Günter ist erstmals bei einer WM im Kader der Nationalmannschaft. Im Interview spricht er über den Bindenzoff, die Ähnlichkeit von Christian Streich und Hansi Flick sowie die Stimmung vor dem ersten Spiel.

Christian Günter, Kapitän des SC Freiburg, spricht über einen angemessenen Umgang mit dem WM-Gastgeber Katar, die One-Love-Binde, Parallelen zwischen Christian Streich und Hansi Flick und die Stimmung in der DFB-Elf vor dem ersten Gruppenspiel gegen Japan.

Herr Günter, Sie sind seit fünf Tagen in der Wüste – wie sind Ihre ersten Eindrücke vom WM-Gastgeberland?

Wir haben noch nicht viel vom Land gesehen, weil wir uns ja bisher immer nur zwischen unserem Hotel und dem Trainingsplatz, der in rund zehn Fahrminuten zu erreichen ist, bewegen. Aber was ich sagen kann: Wir haben hier oben im Norden des Landes beste Bedingungen, ein tolles Hotel und einen perfekten Trainingsplatz.

Wie kommen Sie mit der Hitze klar, ist die Akklimatisierung abgeschlossen?

Ja, es ist zwar sehr warm, aber spätestens am Nachmittag ist es ganz okay. Die Sonne geht hier ja schon gegen 16.30 bis 17 Uhr unter. Abends ist es dann zwar noch schwül, aber nicht mehr so extrem.

„Hansi redet extrem viel mit uns“

An diesem Mittwoch steigt der deutsche WM-Auftakt um 16 Uhr Ortszeit gegen Japan – wie groß sind Ihre Chancen auf einen Einsatz von Beginn an? Ihr Konkurrent David Raum schwächelte zuletzt bedenklich.

Ich kann das ehrlicherweise schwer einschätzen. Ich werde wie immer weiter alles geben, dann werden wir sehen. In so einem Turnier braucht es am Ende ohnehin jeden, egal, ob er zum Start ran darf oder nicht.

Sie haben schon vor ein paar Tagen von einem guten Geist innerhalb der deutschen Mannschaft gesprochen – woran machen Sie das fest?

Man merkt in jeder Situation, auch außerhalb des Platzes, dass die Stimmung untereinander gut ist. Jeder kann tatsächlich mit jedem, jeder trinkt mal mit einem anderen einen Kaffee im Hotel, wir reden viel miteinander. Es ist wichtig für so ein Turnier, dass ein guter Geist da ist – und dieses Gefühl habe ich.

Mitverantwortlich dafür ist auch der Bundestrainer Hansi Flick. Sie haben dank der langen Amtszeit von Christian Streich beim SC Freiburg noch nicht so viele Trainer als Profi erlebt – worin unterscheiden sich die beiden, und wo sind sie sich ähnlich?

Jeder Mensch ist unterschiedlich, und jeder Trainer hat seine eigene Philosophie, es wäre ja irgendwie schlimm, wenn das nicht so wäre (lacht). Was ich sagen kann: Hansi Flick und Christian Streich ähneln sich sehr in ihrem menschlichen Umgang mit den Spielern. Hansi redet wie Christian extrem viel mit uns, er strahlt immer etwas Positives aus, das finde ich gut.

Geht der Austausch bei Hansi Flick wie bei Streich ins Private rein?

Der Bundestrainer ist auch einer, der sich wirklich für dich als Mensch interessiert, da geht es oft auch mal um andere Dinge als nur den Fußball. Er ist sehr kommunikativ und einfühlsam – wenn es ums Sportliche geht, fordert er aber auch sehr viel von jedem Einzelnen. Das kenne ich alles so aus Freiburg, und das gefällt mir.

Fordernd ist für alle Beteiligten auch der angemessene Umgang mit dieser hochumstrittenen WM in diesem hochumstrittenen Gastgeberland. Gibt es in Ihrem engeren Umfeld Menschen, die diese WM boykottieren und sich die Spiele nicht anschauen?

Also zumindest ist mir dahingehend nichts bekannt. Meine Frau wird von unserem ersten Gruppenspiel an mit unserer kleinen Tochter in Katar dabei sein, ebenso meine Eltern und die Schwiegereltern. Sie wohnen nicht weit weg von uns in einem Hotel, das hat der DFB organisiert.

Man hätte Ihrer kleinen Tochter irgendwie eine schönere WM mit den ersten Livespielen im Stadion gewünscht …

Meine Familie ist mit vollem Enthusiasmus dabei, alle freuen sich mit mir. Ich habe schließlich jahrelang darauf hingearbeitet, dass der Traum einer WM-Teilnahme in Erfüllung geht. Natürlich gibt es Dinge in Katar, die in die absolut falsche Richtung laufen, auf die muss auch zwingend aufmerksam gemacht werden. Das muss thematisiert werden, und das haben wir als Mannschaft und der DFB bereits auch getan.

„Wir stehen für Vielfalt, Toleranz, Gleichberechtigung“

Wie bewerten Sie es, dass Kapitän Manuel Neuer nach dem massiven Druck des Fußball-Weltverbandes Fifa jetzt doch nicht mit der One-Love-Binde auflaufen wird?

Ich finde das extrem schade, denn die Binde symbolisiert genau das, wofür wir stehen: Vielfalt, Toleranz und Gleichberechtigung. Ich finde es befremdlich, dass die Fifa das als verbotene politische Botschaft wertet. Da kann ich mich den kritischen Statements von Oliver Bierhoff (DFB-Direktor, Anm. d. Red) und Bernd Neuendorf (DFB-Präsident, Anm. d. Red) nur anschließen.

Wie schaffen Sie es selbst eigentlich, den Spagat zwischen dem Sportlichen und all den Begleitumständen zu bewältigen – und ist er überhaupt zu bewältigen?

Dieser Spagat ist ja im Grunde genau das, was hier gerade passiert. Wie deutlich und kritisch sich unser Verband schon seit Monaten positioniert, hat man ja nicht nur bei der Pressekonferenz von Bernd Neuendorf am Freitag gesehen. Bei uns Spielern muss der Fokus so kurz vor dem ersten Spiel aber auch auf dem Sport liegen, weil wir am Ende daran gemessen werden. Denn wenn wir in der Vorrunde ausscheiden, wird es zu Recht viel Kritik geben – und das wollen wir alle nicht.

„Wir können auf Missstände hinweisen“

Dennoch kann man klare Kante außerhalb des Platzes zeigen, auf Missstände hinweisen – und obendrein erfolgreich sein auf dem grünen Rasen.

Wir Spieler werden weiter für unsere Werte einstehen, die Dinge müssen weiter klar angesprochen werden. Wir können Zeichen setzen und auf Missstände hinweisen – obwohl unser Kapitän die One-Love-Binde hier in Katar nicht tragen darf.

Zurück zum Sport – Sie sind seit Jahren der Dauerbrenner des SC, verpassen kaum mal eine Minute, jetzt gibt es in dieser Saison noch die Dreifachbelastung und dazu die WM zum Jahresende. Werden Sie eigentlich auch mal müde?

Bis jetzt zum Glück nicht wirklich, aber man merkt, dass die Reiserei im Europapokal mitunter extrem war. Die schlaucht schon, das spürt man, aber bis jetzt bin ich wieder gut durchgekommen.

Ihre Fitness und auch Ihre stetige fußballerische Weiterentwicklung resultieren seit Jahren aus Ihrem Fleiß und dem Drang, oft mehr als die Anderen zu machen. Müssen Sie sich da eigentlich manchmal selbst bremsen?

Ja, definitiv, das musste ich lernen. Man sollte ja in der Sommerpause zum Beispiel am besten erst mal zwei Wochen lang gar nichts machen, um den Körper runterkommen zu lassen – das habe ich früher in jüngeren Jahren nicht geschafft. Nach spätestens einer Woche hatte ich da immer das Gefühl, schnell wieder auf den Platz zu müssen, um die ersten Läufe zu machen.

Und jetzt?

Man macht da einen gewissen Entwicklungsprozess durch, man altert ja schließlich (lacht). Jetzt spiele ich in den Erholungsphasen höchstens mal ein bisschen Tennis oder gehe wandern. Ich habe gemerkt, dass mir solche ruhigeren Phasen auch mal guttun. Ich freue mich also auf die kurze Pause nach der WM – aber hoffentlich erst nach dem Finale am 18. Dezember.