Nach Sven Bender (re.) fällt nun auch noch Zwillingsbruder Lars für die WM aus. Bilder vom WM-Trainingslager in Südtirol gibt es in unserer Fotostrecke. Foto: dpa

Die einen fallen verletzt aus, andere sind angeschlagen, die dritten suchen ihre Form. Das führt zur bangen Frage: Wer gibt bei der WM im zentralen Mittelfeld der Nationalmannschaft den Takt vor?

Die einen fallen verletzt aus, andere sind angeschlagen, die dritten suchen ihre Form. Das führt zur bangen Frage: Wer gibt bei der WM im zentralen Mittelfeld der Nationalmannschaft den Takt vor?

St. Leonhard - Es gehört zu den prägenden Eindrücken dieser WM-Vorbereitung, das es rund um die Nationalmannschaft allen Beteiligten gelingt, jede noch so schlechte Nachricht in eine vermeintlich positive Botschaft zu verpacken. Philipp Lahm und Manuel Neuer verletzt? Kein Problem. „Es ist alles in der Norm“, behauptet Co-Trainer Hansi Flick.

Bastian Schweinsteiger außer Tritt? Wird schon. Sami Khedira nach halbjähriger Verletzungspause auf der Suche nach seiner Form, Miroslav Klose auf der Suche nach seiner Fitness? Kein Grund zur Panik. „Ich bin überzeugt, dass ich bis zum Turnier bei 100 Prozent bin“, sagt Klose.

Auch die jüngste Hiobsbotschaft für Bundestrainer Joachim Löw und seine waidwunde Truppe löst intern keinen WM-Alarm aus. Gut, das Aus für den Leverkusener Mittelfeldspieler Lars Bender (25), der sich im Geheimtraining am Donnerstagabend eine Verletzung mit dem mörderischen Fachbegriff „kombinierte Muskel-Sehnen-Verletzung im oberen Bizeps-Anteil des rechten Oberschenkels“ zugezogen hat und am Freitagvormittag aus Südtirol abgereist ist, wirkte zunächst wie ein Schock im Mannschaftskreis.

Doch Lukas Podolski wusste Abhilfe. Die Kölsche Frohnatur in Diensten des FC Arsenal trommelte seine Mitspieler zusammen, gemeinsam bildeten sie einen Kreis und beschworen die Jetzt-erst-recht-Mentalität. „Ich weiß gar nicht, was wir geschrien haben“, sagte Miroslav Klose über den Schlachtruf beim Morgen-Training, der durchs ganze Passeiertal hallte. Die Botschaft war klar: Wir lassen uns nicht unterkriegen! Was gar nicht so einfach ist.

"Für Lars tut es mir persönlich sehr leid"

„Wenn so kurz vor einem Turnier ein Spieler verletzungsbedingt ausfällt, dann ist das für alle enttäuschend“, ließ Joachim Löw Mitgefühl erkennen, „für Lars tut es mir persönlich sehr leid. Ich weiß, er wollte in Brasilien unbedingt dabei sein.“ Jenseits der menschlichen Tragik aber tat Löw gerade so, als sei nichts passiert. Als frohe Botschaft darf seine Entscheidung interpretiert werden, keinen Spieler nachzunominieren. Alles im Griff, soll das heißen.

Dabei sind die Sorgen ohne Lars Bender noch größer geworden, womöglich entscheidend größer. Denn nun herrscht in der Schaltzentrale der deutschen Mannschaft ein personeller Notstand, von dem nicht absehbar ist, ob, wann und wie er behoben werden kann.

Es ist noch gar nicht lange her, da galt die Besetzung der beiden Sechser-Positionen als schieres Luxusproblem. Zwar fiel Michael Ballack wegen einer Knieverletzung für die WM 2010 aus, doch über Nacht sprang Sami Khedira für den Capitano ein. Khedira, damals Profi des VfB Stuttgart, fand auf Anhieb seine Rolle und wuchs dank seiner rasanten sportlichen Entwicklung und seiner Persönlichkeit zu einem Spieler heran, den Löw heute als „unersetzbar“ bezeichnet.

Dazu kamen Bastian Schweinsteiger in Topform, die Zwillinge Lars und Sven Bender als zuverlässige Alternativen, Ilkay Gündogan als nachdrängendes Talent sowie Toni Kroos als zunehmend verlässliche Größe.

Aktuell geht es nur Toni Kroos gut

Jetzt muss Löw betrübt feststellen: Aktuell geht es nur Toni Kroos (24) gut, er gilt aber als eher zweikampfschwach. Die Benders fallen aus, Gündogan ist dauerverletzt, alle anderen sind mehr oder minder angeschlagen und leben von der Hoffnung, bis zum deutschen WM-Auftakt am 16. Juni gegen Portugal einigermaßen in Form zu kommen.

Bastian Schweinsteiger (29/Kniereizung) absolvierte bisher nur Individualtraining, Sami Khedira (27/zurück nach Kreuzbandriss) war lange verletzt. Diese beiden sind Löws Wunsch-Sechser. Khedira aber macht gerade seine ersten Gehversuche im Wettkampf, an diesem Samstag (20.45 Uhr/ZDF) im Finale der Champions League gegen Atletico Madrid sogar auf allerhöchstem Niveau. „Klar drücken wir Sami die Daumen, dass er mit Real Madrid den Pokal gewinnt“, sagt Joachim. Klar auch, dass er Khedira nicht minder die Daumen dafür drückt, dass er die Partie gesund übersteht.

Plötzlich rückt für die WM ein junger Bursche in den Fokus, den noch kaum jemand außerhalb von Mönchengladbach kennt. Christoph Kramer (23) ist der Marathonmann der Borussia, weil er die meisten Kilometer in der Bundesliga abspult, und eine von Löws Überraschungen im Kader. Nach Benders Ausfall hat Kramer seinen WM-Platz fast schon sicher.

Dass Philipp Lahm, der angeschlagene Kapitän (Kapselriss im Sprunggelenk), der verspätet nach Südtirol reiste, wie beim FC Bayern von der rechten Abwehrseite ins Mittelfeld rückt, wird immer wahrscheinlicher – es sei denn, Löw stellt vom bevorzugten 4-2-3-1- auf ein 4-1-4-1-System mit nur einem Sechser um.

Ansonsten spielt im Personalpuzzle auch der Dortmunder Kevin Großkreutz eine zunehmend wichtige Rolle. Denn Lars Bender war auch als Ersatzmann für die rechte Abwehrseite vorgesehen, die Großkreutz zuletzt beim BVB überzeugend interpretierte.

Der personelle Notstand führt jedenfalls dazu, dass allzu große Erwartungen erst gar nicht geweckt werden. „Ich hoffe auf den Einzug ins Halbfinale“, sagte Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer zuletzt reichlich reserviert. Ob das realistisch ist, kann heute niemand verlässlich sagen.