Pforzheim will mit kostenlosem öffentlichem Internet bei IT-Spezialisten um Aufmerksamkeit werben. Foto: dpa

Ob Dublin, Tallinn oder Berlin: Freies Internet für freie Bürger gehört in vielen europäischen Innenstädten zum Lebensstandard. In Baden-Württemberg tun sich große Städte schwer mit öffentlichem Gratis-Surfen. Nun macht Pforzheim den Anfang.

Pforzheim/Stuttgart - Smartphone einschalten, mit dem drahtlosen Internet verbinden, Name und E-Mail-Adresse übermitteln, dann kommt per SMS der Zugangscode. Und schon kann’s losgehen mit dem Gratis-Surfen.

So sieht sie aus, die Zukunft von Pforzheim. So einfach soll jedem der Schritt ins Internetzeitalter gelingen. Draußen im Freien. Vor der Stadthalle. In der Haupteinkaufsstraße. In der gesamten Innenstadt. Vor zwei Jahren kam Eugen Müller die Idee dazu. Der Mann ist Geschäftsführer eines großen Mediendienstleisters in Pforzheim. So nennen sich Firmen, die sich – grob gesagt – jeden Tag mit der Zukunft auseinandersetzen müssen. Müllers Firma entwirft Software für mobile Endgeräte, für Smartphones, iPads und Tablets. Dafür und für vieles mehr benötigt Müller Spezialisten. Und um diese nach Pforzheim zu locken, soll das Gratis-Surfen in der Stadt bald Normalität sein. Anfang September soll es losgehen. Standortvorteil nennt sich das in der Unternehmersprache. Deswegen allein komme natürlich kein Spezialist ausgerechnet nach Pforzheim, sagt Müller. Aber auch deswegen. „Wir müssen IT-Fachkräften ein positiveres Image von Pforzheim vermitteln.“ Die Stadt sei stolz auf ihre Tradition – auf die Schmuck- und die Goldindustrie, sagt Müller. Aber mittlerweile gebe es hier auch jede Menge Firmen der Informationstechnologie (IT). „Jeder braucht heutzutage IT, und jeder profitiert davon.“

Von einem kostenlosen Internet in der Stadt würden auch viele profitieren. Handys und Smartphones mit einem Zugang zum weltweiten Netz werden nicht umsonst immer wichtiger – vor allem für Jugendliche. „Insgesamt 96 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen besitzen ein eigenes Handy, über 80 Prozent nutzen es täglich“, heißt es in einer neuen Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest. Aber auch Erwachsene nutzen die Vorteile des mobilen Internets immer stärker. Privat oder geschäftlich. Laut des Telekommunikations-Branchenverbands Bitkom nutzen 37 Prozent oder 26 Millionen Menschen in Deutschland das Internet auf dem Handy oder dem Tablet-Computer. Studien wie diese dürften auch in den Rathäusern des Südwestens bekannt sein. Und trotzdem bieten nur wenige Städte ihren Bürgern den Service mit dem kostenlosen Funknetz (WLAN). Freiburg kann keinen konkreten Bedarf erkennen. „In der Innenstadt gibt es sehr viele private WLAN-Anbieter, zum Beispiel Cafés“, sagt eine Stadtsprecherin. Über ein öffentliches Internetangebot werde deshalb nicht nachgedacht. Auch in Mannheim, Ludwigsburg und Karlsruhe gibt es keine konkreten Pläne. In der Landeshauptstadt Stuttgart kämpft die Wirtschaftsförderin seit Monaten für das Gratis-Surfen. Bisher ohne Erfolg.

Langwierige Anmelde-Prozedur schreckt viele Nutzer ab

An privaten WLAN-Anbietern mangelt es nicht im Land. Sie stellen Hotspots zur Verfügung, öffentliche drahtlose Zugriffspunkte, die jedoch meist auf hundert Meter Reichweite beschränkt sind. Etwa 5000 solcher Hotspots gebe es in Baden-Württemberg, schreibt das Finanzministerium in Stuttgart – die meisten in Restaurants, Cafés, Hotels, Krankenhäusern oder Flughäfen. Oft muss man dabei eine langwierige Anmelde-Prozedur über sich ergehen lassen, muss Geburtsdatum, Anschrift und Wohnort übermitteln, bevor es mit dem Gratis-Surfen losgehen kann. Das schreckt viele Nutzer ab. Vom Anbieter her gedacht ist das verständlich. Denn der will sich gegen alle rechtlichen Probleme wappnen. Das größte Problem ist derzeit die Haftung. Wer haftet dafür, wenn sich der Sohn im WLAN-Netz des Vaters einen Song illegal herunterlädt? Wer ist dafür verantwortlich, wenn ein Bürger im kostenlosen Funknetz der Stadt rechtswidrige Schriften verbreitet? Diese Fragen sind in Deutschland noch immer nicht geklärt. Die Gesetze, so wie sie seien, reichten aus – das ist die Haltung der Bundesregierung. Auch die Landesregierung in Stuttgart sagt: „Die Haftungsproblematik für Hotspot-Betreiber erscheint überschaubar.“ Sie müssten ihre Hotspots nur „hinreichend verschlüsseln“ und „des Weiteren auf einer Hinweispflicht an die potenziellen Nutzer bestehen“. Diese Hinweispflicht könne in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen erfolgen, denen der Nutzer vor dem Einloggen zustimmen muss. Und doch: Anbieter leben mit der ständigen Gefahr, abgemahnt oder verklagt zu werden. Michael Rotert vom Verband der deutschen Internetwirtschaft sagte kürzlich dem Fachmagazin „Chip“: „Es kann nicht sein, dass Deutschland an etwas scheitert, was in anderen Ländern üblich ist.“ Rotert meinte damit das öffentliche Gratis-Surfen in deutschen Städten. Er selbst betreibe etwa 2500 Hotspots und habe im vergangenen Jahr etwa 144 Abmahnungen bekommen.

Ländlichen Raum ohne Internet nicht vergessen

Ja, Gratis-Surfen in großen Städten sei wichtig und gut, sagt Andreas Deuschle, netzpolitischer Sprecher der Landtags-CDU in Stuttgart. Doch man dürfe den ländlichen Raum im Südwesten nicht vergessen. Es gebe immer noch Gemeinden, die überhaupt nicht mit Internet versorgt seien – egal ob drahtlos oder per Kabel. Diese Gemeinden ans weltweite Netz anzuhängen – das sei wichtiger als öffentliches Internet in Ballungsräumen.

Hinter dem Gratis-Surfen in Pforzheim steht die Medien-/IT-Initiative Pforzheim, ein Verbund von Unternehmern und Repräsentanten der öffentlichen Hand. Geld wolle man mit dem Projekt nicht verdienen, heißt es bei der Initiative. Für den Betrieb des kostenlosen WLANs hat sie den Verein PF-Wlan gegründet. Mit dabei sind neben IT-Unternehmen aus der freien Wirtschaft auch die Sparkasse Pforzheim Calw, die Stadt Pforzheim sowie die IHK Nordschwarzwald. Der Vereinsvorsitzende Erwin Geisler sagt: „Man darf solche Angebote nicht nur als alleinige Aufgabe einer Stadt sehen.“

Mühlacker freut sich schon jetzt

Doch was ist mit den rechtlichen Risiken? Mit dem Aufbau und Betrieb des Netzes hat der Verein eine Karlsbader Technologie-Firma beauftragt. Sie übernehme auch die Haftung. Die Firma war am Dienstag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Fest steht: Der Verein investiert einen Geldbetrag „im oberen sechsstelligen Bereich“ in Aufbau und Pflege des Netzes, wie Mediendienstleister Müller sagt. Er hat den Verein PF-Wlan mitgegründet.

Wenn es nach Müller geht, zieht seine Idee vom innerstädtischen Gratis-Surfen bald in die Welt hinaus – zumindest bis in die nähere Umgebung. Im 20 Minuten entfernten Mühlacker ist man jetzt schon begeistert von der Vorstellung, sich umsonst ins Internet einwählen zu können. Auf dem Kelterplatz. Vor dem Rathaus. In der Bahnhofsstraße. Bis 2015, so die Hoffnung einiger Stadträte, soll das Projekt stehen. Im selben Jahr startet dort die Kleine Landesgartenschau. Für Mühlacker ein passendes Jahr, um den Schritt ins Internetzeitalter zu wagen.