Andreas Lapp, indischer Honorarkonsul spricht mit Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Foto: Lichtgut

Deutschland und Indien wachsen immer mehr zusammen. Bei einem Wirtschaftstreffen in Stuttgart sind die Hoffnungen groß, dass ein weiterer Schub schnell folgen könnte.

Es kommt nicht alle Tage vor, dass Szenen aus Stuttgart live im indischen Fernsehen übertragen werden. Am Donnerstag und Freitag war das der Fall. Live, und über Stunden, aus der MHP-Arena. Es war kein Spiel des heimischen VfB, welches der Sender News Nine seinen Zuschauern zum Besten gab, sondern eine hochrangig besetztes Wirtschaftsforum aus einer der Lounges. Unternehmensführer und Politiker beider Länder gaben sich die Klinke in die Hand, wurden per Videobotschaft zugeschaltet oder verbrachten, wie Baden Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hofmeister-Kraut, einen Teil ihres Geburtstages in der „Württemberg Lounge“. Ständchen der Anwesenden inklusive.

 

Der China-Boom ebbt ab, Indien gewinnt dazu

Deutschland ist Indiens wichtigster Handelspartner innerhalb der EU – und das Handelsbarometer steigt weiter. Das ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass der China-Boom hierzulande am Abebben ist, und zum anderen, dass im Weißen Haus ein Mann Platz genommen hat, der „Zoll“ zu seinem Lieblingswort auserkoren hat. Wobei das mit dem Zoll auch in Indien nicht so ganz problemlos ist. Ende des Jahres, so die Hoffnung, soll das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien unter Dach und Fach sein. Das ist ein Wunsch, der sich in Stuttgart wie ein roter Faden durch die Beiträge zog. Einziger Wermutstropfen: diese Hoffnung gab es schon häufiger. Die Verhandlungen hatten bereits im Jahr 2007 begonnen.

EU-Handelskommissar Maros Sefcovic Foto: AFP

Damals war der unterschwellige Druck aus Washington und Peking allerdings noch nicht gegeben. Maros Sefcovic, für Handel zuständiger Kommissar bei der EU, gab sich den Teilnehmern gegenüber daher auch ganz besonders zuversichtlich. Bis Weihnachten soll das Abkommen stehen. Daran hab nicht nur Indien ein Interesse, sondern auch Europa, der größte Handelspartner des Subkontinents. Größer noch als die USA oder China, so Sefcovic.

Es sind vor allem Mittelständler, die dem Abkommen entgegenfiebern. Solche wie der Kabelhersteller Lapp, dessen ehemaliger Vorsitzender Andreas Lapp Honorarkonsul für Indien in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist, oder der Automobilzulieferer Mann und Hummel aus Ludwigsburg, dessen Aufsichtsratsvorsitzender Thomas Fischer stilecht in indischer Herrenkleidung zu dem Treffen erschien. Oder Leute wie Dominik Schwarz, der den Maschinenbauer Harro Höflinger vertritt. „Harro who“, also „Harro wer“ hatte das Unternehmen aus Almersbach im Tal einst selbstironisch geworben. Die Maschinenbauer aus der Nähe von Backnang ist nur einer der so genannten hidden champions: hoch spezialisiert, Weltmarktführer – und einer breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.

Training on the Job ist derzeit fast nicht möglich

Seit 2024 hat Harro Höflinger einen Produktionsstandort im indischen Bangalore. Noch brauche man dort viele Teile, die aus Deutschland eingeführt werden müssen, sagt Schwarz. Das koste jedes Mal viel Zoll – und noch mehr Zeit. Indien ist in Sachen Digitalisierung zwar in vielen Bereichen entscheidend weiter als Deutschland, die Bürokratie ist dort aber ebenso zu Hause wie hierzu Lande. Das Freihandelsabkommen könne auch in einem anderen Bereich einen „enormen Schub“ geben, sagt Schwarz. Immer wieder machten sich indische Kollegen auf den Weg nach Deutschland, um hier qualifiziert zu werden. Für 90 Tage sei das mit dem entsprechenden Visum auch kein großes Problem. Wohl aber, wenn sie ein halbes Jahr länger bleiben sollen,um Arbeitserfahrung zu sammeln. Training on the Job sei so kaum möglich, sagt Schwarz – und träumt davon, dass es mit dem Freihandelsabkommen ebenso problemlos funktionieren wird wie jetzt mit den Mitarbeitern aus dem EU-Land Ungarn.

Weniger das Freihandelsabkommen, dafür aber ganz andere kulturelle und wirtschaftliche Unterschiede beschäftigen Sven-Erik Asmussen. Der Karlsruher hat ein Start-up gegründet, und beliefert Firmen mit dem entsprechenden Equipment, die vertical culture betreiben. Pflanzen werden dabei in übereinanderliegenden Etagen angebaut, meist in geschlossenen Räumen und dort, die Flächen für Ackerbau rar sind. Indien mit seinen fast 1,5 Milliarden Menschen setzt zunehmend auf diese Form des Anbaus. Das von Asmussen entwickelte Bewässerungssystem wird dort vermutlich aber kein Renner werden. Warum er dafür bezahlen solle, wenn er einen Menschen für 200 Dollar im Monat zum Gießen beschäftigen könne, fragt ein Kollege aus dem bevölkerungsreichsten Land der Welt. Während indische Softwareentwickler auch im Ausland Spitzenlöhne erhalten, ist die einfache Handarbeit vor Ort überaus günstig zu haben.

Deutsche KI für indische Ingenieure

Apropos Softeware-Entwickler: Indische IT- und KI- Ingenieure, die es nach Deutschland zieht, können schon vor dem Abflug Bekanntschaft mit Vanessa knüpfen. Vanessa ist eine junge Frau von der Techniker Krankenkasse, die dank künstlicher Intelligenz nicht nur perfekt englisch, sondern auch Hindi redet. Jedem der es wissen will kann sie über die Feinheiten des deutschen Sozialversicherungswesens und die Feinheiten der Krankenkasse aufklären. Offenbar mit Erfolg: die Zahl der Inder, die in die deutsche Rentenversicherung einzahlen, hat sich zwischen 2018 und 2022 verdoppelt, so die Statistik. Und auch hier gilt: es geht weiter aufwärts.

Das ist auch bei der Outletcity in Metzingen der Fall. Seit rund drei Jahren bearbeite man den indischen Markt intensiv, sagt Cornelia Koebele. Reiseveranstaltern aus dem Subkontinent wird ein Aufenthalt am Fuße der Alb ebenso schmackhaft gemacht wie Influencern aus Hyderabad. Inder seien „sehr angenehme“ Kunden, sagt Koebele – und dass in der Stadt ein „sehr authentisches“ indisches Restaurant zu finden sei, das sei auch kein Nachteil.

Neben all der Wirtschaft dürfe auch die Kultur nicht fehlen, sagt Florian Haßler. Der Staatsminister im Hause Kretschmann vertrat den zum Autogipfel nach Berlin geeilten Ministerpräsidenten. Baden-Württemberg und der indische Bundesstaat Maharashta begehen in diesem Jahr den zehnten Jahrestag ihrer Partnerschaft. Das indische Filmfestival in Stuttgart sei das größte seiner Art in Nordeuropa – und in Mumbai gebe es inzwischen ein Weinfest, sagt Haßler in der MHP-Arena. Und dass der VfB eine Partnerschaft mit dem indischen Verein Sudeva Delhi FC habe. Währenddessen hätten die Besucher von der Terrasse aus das Testspiel des VfB gegen den SV Elversberg beobachten. Von den indischen Gästen interessiert sich aber kaum einer dafür.