Die grün-rote Landesregierung stand nun mal im Wort, auf die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 mit einer erweiterten Bürgerbeteiligung zu reagieren. Foto: dpa

Teuer, wirtschaftsfeindlich und letztlich sinnlos – das ist das Urteil von Städtetag und IHK über die Politik des Gehörtwerdens, wie sie die grün-rote Landesregierung nun in einer Vorschrift praktiziert.

Stuttgart - Die Politik des Gehörtwerdens bedeute nicht, dass man auch erhört werde, hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) mal gesagt. Und manchmal, so hätte er hinzufügen können, wird man nicht einmal erwähnt. Als die zuständige Staatsrätin Gisela Erler in dieser Woche das Inkrafttreten einer Verwaltungsvorschrift ankündigte, mit deren Hilfe die Öffentlichkeit künftig früher und stärker beim Bau von Großprojekten einbezogen werden soll, sprach sie von „insgesamt viel Zustimmung“, die das Land bei der Anhörung der Betroffenen zu dem Vorhaben erhalten habe. Dass es auch massive Kritik gab, erwähnte sie nicht.

Städtetag und Industrie- und Handelskammern hatten im Rahmen der Anhörung in ihren Stellungnahmen Sinn und Zweck der Vorschrift massiv in Zweifel gezogen. Insbesondere die Einlassung des Städtetags ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die geplanten zusätzlichen Beteiligungsformen seien „nicht erforderlich“, schrieb Hauptgeschäftsführer Stefan Gläser an die Staatsrätin vor wenigen Tagen. Eine frühzeitige Bürgerbeteiligung sei schon jetzt vorgeschrieben und werde von den Städten auch praktiziert. Darüber hinaus nun die Planungs- und Genehmigungsverfahren weiter zu verzögern, schade auch dem Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg. Eine Planungssicherheit für Investoren sei „nicht mehr vorhanden“, wenn die Beteiligungsformen ab 1. März angewendet werden müssten, schreibt Gläser. Das Ganze könne zu „endlosen Debatten“ und damit zur kompletten „Lähmung“ der Verfahren führen.

Das Land weist die Kritik zurück. Die Kommunen würden durch die neue Vorschrift gar nicht in die Pflicht genommen, sagt Regierungssprecher Rudi Hoogvliet. „Adressaten sind die Landesbehörden.“ Dem widerspricht der Städtetag: Die Vorschrift enthalte eine Pflicht für Genehmigungsbehörden, nicht nur bei Landesprojekten, sondern auch „bei Vorhaben Dritter“ auf entsprechende Beteiligungsformen hinzuwirken, so Gläser. Ausdrücklich werde darin neben der Verkehrswegeplanung auch die Zulassung von Fabriken, Kraftwerken, Deponien sowie der Hochwasserschutz benannt. Die Kommunen seien somit sehr wohl zumindest mittelbar betroffen, schreibt Gläser, und das auch finanziell. Die neue Vorschrift werde in der Verwaltung „erhebliche Ressourcen“ binden, so der Hauptgeschäftsführer. Finanzierung? Unklar.

Ziel: Konflikte um Großprojekte durch frühzeitige Einbeziehung der Bürger entschärfen

Dies ist auch ein Kritikpunkt der Industrie- und Handelskammern (IHK) im Land. Die neuen Vorgaben bedeuteten „mehr Zeit, mehr Geld, mehr Personal“, heißt es in deren Stellungnahme an die Regierung. Der zusätzliche Personalbedarf übersteige „bei weitem“ die bislang dafür genehmigten neun zusätzlichen Stellen in den Regierungspräsidien und stehe „im Widerspruch zu den Sparzielen der Landesregierung“.

Ziel der neuen Vorschrift ist es, Konflikte um Großprojekte durch frühzeitige Einbeziehung der Bürger zu entschärfen. Laut Städtetag und IHK wird aber genau das Gegenteil erreicht. Bei Bürgern und Interessengruppen würden „viel zu hohe Erwartungen“ geweckt, die leicht in Enttäuschung umschlagen könnten, heißt es in der Stellungnahme der IHK. „Die Leute denken: Jetzt habe ich einen Mordseinfluss“, sagt der Chefjustiziar der IHK Stuttgart, Dieter Zwernemann. Tatsächlich aber würden letztlich dann doch die Gerichte und die Behörden die Streitfälle entscheiden.

Aus dem 66seitigen Planungsleitfaden, in dem das Land die Umsetzung der Vorschrift erläutert, geht zwar hervor, dass auch künftig nicht jeder einfach ein Großprojekt kippen kann. „Es erscheint aber fraglich, dass der Leitfaden tatsächlich gelesen und verinnerlicht wird“, so die IHK.

Die IHK befürchtet, dass die neuen Vorschriften auch Investoren abschrecken werden. Aber die grün-rote Landesregierung stand nun mal im Wort, auf die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 mit einer erweiterten Bürgerbeteiligung zu reagieren. Bei der IHK wundert man sich daher nicht wirklich, dass die Kritik an dem Vorhaben nun nicht erhört wurde. „Man hat das Gefühl“, sagt Chefjustiziar Zwernemann, „dass das Ganze ideologisch vorgeprägt war.“