Viele Ukrainer verlassen derzeit aufgrund des russischen Angriffs ihr Land. 300 bis 350 von ihnen könnten bereits in der Ortenau angekommen sein, schätzt der Kreis. Foto: Brandt

Der Angriff Russlands hat die Ukraine ins Chaos gestürzt – die Folgen spürt auch die Ortenau. Immer mehr Flüchtlinge kommen, meist aufgrund privater Initiativen, in die Region.

Ortenau - Der Angriff Russlands hat die Ukraine ins Chaos gestürzt – die Folgen spürt auch die Ortenau. Immer mehr Flüchtlinge kommen, meist aufgrund privater Initiativen, in die Region. Land und Kreis kämpfen darum, einen Überblick zu gewinnen. Der im Ortenaukreis für Flüchtlingsfragen zuständige Dezernent Michael Loritz und Migrationsamtsleiterin Alexandra Roth gaben am Dienstag bei einer Online-Pressekonferenz einen Überblick über die aktuelle Lage.

Wie viele Flüchtlinge sind bereits hier?

"Wir wissen nicht, wie viele Flüchtlinge sich in der Ortenau aufhalten", erklärte Michael Loritz. Bisher habe es 140 Terminanfragen von Menschen, die Leistungen – ähnlich Hartz IV – beziehen wollen, gegeben. Offizielle Registrierungen bei der Ausländerbehörde des Kreises waren es etwa 70. Aufgrund vieler privaten Initiativen, Menschen an der ukrainischen Grenze aufzulesen und in die Region zu bringen, liege die tatsächliche Zahl jedoch deutlich höher. So schätzte der Dezernent, dass es bereits "zwischen 300 und 350 Flüchtlingen in der Ortenau geben dürfte".

Mit wie vielen Ukrainernrechnet der Ortenaukreis?

"Wir bekommen keine Prognose, wissen nicht wie viele Menschen kommen werden und wie lange das weiter geht", konstatierte Loritz. Vom Land gebe es im Moment keine Zuweisungen. "Das liegt daran, dass das Land überhaupt keinen Überblick hat, wer wo ist." Die UN gehe derzeit von 2,8 Millionen Flüchtlingen aus, bis zu vier Millionen könnten es werden. Andere Quellen sprechen gar von acht Millionen. Kämen eine Million Menschen nach Deutschland, müssten laut Loritz rund 6000 Flüchtlinge auf den Ortenaukreis entfallen.

Wieso fehlt im Moment der Überblick?

Die aktuelle Krise hat offenbar das Aufnahmesystem Baden-Württembergs ausgehebelt. Denn eigentlich würden Flüchtlinge in einer Landeserstaufnahmestelle zunächst registriert, erläuterte Loritz. Von dort würden sie gemäß eines festen Schlüssels den Kreisen zugewiesen. Doch Ukrainer brauchten keine Aufenthaltserlaubnis für die ersten 90 Tage – sie kommen vielfach direkt in den Kreis. Die zeitaufwendige Registrierung so vieler Menschen könne die Ortenau selbst jedoch nicht leisten.

Wofür ist die Registrierung bei der Behörde gut?

"Wenn die Menschen nichts wollen, besteht keine Notwendigkeit sich bei den Ausländerbehörden zu melden", so Loritz. Das Problem: Ohne Registrierung erhalten Flüchtlinge keine finanzielle Unterstützung und keine Kostenübernahme von Krankenbehandlungen. Viele Menschen seien verzweifelt, weil sie versuchten, Termine zu bekommen, um sich registrieren zu lassen. "Das Funktioniert aber nicht, weil wir schon bis April ausgebucht sind", so Loritz. Die Registrierung werde noch lange dauern und die Ausländerbehörden des Kreises und der fünf großen Kreisstädte belasten. Wer Geld braucht oder krank werde, könne aber nicht warten.

Wie sieht die Lösung für das Problem aus?

"Es gibt einen ganz neuen Erlass vom Justizministerium: Die Menschen müssen sich nur in eine Liste eintragen und bekommen dann eine ›Vorsprachebescheinigung‹ der Behörde", berichtete Dezernent Michael Loritz. "Allein damit kann man jetzt bei uns Leistungen beantragen." Für eine alleinerziehende Mutter wären das 364 Euro, für ein Kind 282 Euro im Monat. Für Behandlungen beim Arzt müssen die Flüchtlinge sogenannte Krankenscheine beantragen – das gehe im Notfall schnell, versicherte Migrationsamtsleiterin Alexandra Roth.

Wie organisiert der Kreis die Unterbringung?

Aktuell gibt es in der Ortenau 1220 Plätze in der sogenannten vorläufigen Unterbringen – davon seien 840 jedoch belegt. Bereits vor dem Ukraine-Krieg stiegen die Flüchtlingszahlen deutlich an. Im Moment führe man Gespräche mit vielen Hotels – wo, wolle man erst sagen, sobald Verträge unterschrieben sind. Auch wieder auf Container-Standorte zurückzugreifen sei Teil der Überlegungen. Und noch drastischere Maßnahmen könnten notwendig sein: "Wenn der Zustrom so bleibt, müssen wir wieder an die eigenen Schulhallen ran", so Loritz. Aktuell seien kurzfristig 300 zusätzliche Plätze geplant, ergänzt Migrationsamtsleiterin Alexandra Roth. Mehrere hundert sollen in den kommenden Monaten folgen.

Wie viele private Wohnungsangebote gibt es?

"Wir haben im Moment 400 Angebote aus der Bevölkerung, Menschen unterzubringen. Das Angebot wollen wir nutzen, bevor wir Gemeinschaftsunterkünfte belegen", betonte Loritz. Über die Angebote sei der Kreis sehr froh. Dabei handele es sich um ganz verschiedene Angebote, ergänzte Roth, "von einer Couch in einem Wohnzimmer bis zur kompletten Wohnung." Zudem gebe es eine große Hilfsbereitschaft.

Wie geht’s weiter?

"Es arbeiten alle mit Krisenstäben – auch die Städte –, um Herr dieser Lage zu werden", berichtete Michael Loritz. Es sei bereits seine fünfte Krise im Amt. Jede sei anders, trotzdem könne man bestimmte Erfahrungen anzapfen. "Wir sind noch in der Chaos-Phase", konstatierte der Dezernent, das werde sich aber ändern. "Man kann nur allen wünschen, dass der Krieg bald zu ende geht. So wie ich die Menschen einschätze, werden sie dann schnell zurückwollen."