Svenja Würth Foto: Schwarzwälder Bote

Skispringen: Sportlerin vom SV Baiersbronn will zu Olympischen Spielen in Peking. "Kindheitstraum soll in Erfüllung gehen."

Als Svenja Würth vor genau einem Jahr zu Gast im Fernsehstudio von Eurosport ist, war das für sie im Reha-Alltag eine willkommene Abwechslung. Die große Bühne ist es für die Skispringerin gleichwohl nicht: "Nächstes Mal stehe ich dann doch lieber auf der Schanze", sagte sie augenzwinkernd – und so sollte es auch kommen.

Plötzlich geht alles ganz schnell: Nach langer Verletzungspause und nur acht Wochen Training wieder in den Weltcup einzusteigen, "hielten einige für mutig", sagt Würth. Mit den Plätzen 19 und 21 und damit den ersten gesammelten Weltcuppunkten in diesem Jahr wieder nach Hause zu fahren – der verdiente Lohn. "Es gibt mit Sicherheit noch viel zu tun, aber gute Ansätze sind schon dabei. Insgesamt ein sehr gelungenes Weltcup-Comeback", sagt Würth über den Wettkampf im österreichischen Hinzenbach.

Diesem Satz wird noch mehr Gewicht verliehen, richtet man den Blick zurück. Und wenn man weiß, dass Würth ihren Sport seit jeher mit Enthusiasmus betreibt, Freude an ihm hat und plötzlich außer Gefecht gesetzt wird. Eine harte Probe war das für die 25-Jährige vom SV Baiersbronn über mehr als ein Jahr: Am 16. Dezember 2017 war Würth auf Hinterzartens Rothausschanze nach 97 Metern gelandet. Eine starke Weite zur Weltcup-Premiere des Teamwettbewerbs, eine zu starke Weite: Im stumpfen Neuschnee strauchelte Svenja Würth, sie stürzte und rutschte rücklings gegen die Bande. Diagnose: Riss des vorderen Kreuzbandes im linken Knie.

Lücke wieder schließen

Pikant dabei: In späteren Weltcupspringen werden auch die Skispringer David Siegel und Richard Freitag stürzen. Jedes Mal sind Norweger als sogenannte Technical Director zuständig. "Die mögen spektakuläre Wettkämpfe und freuen sich über jeden Schanzenrekord", sagt Würth. Und das geht dann mitunter auf Kosten der Gesundheit.

"Es war ein ewig andauernder Heilungsprozess. Zwar denkt man nicht unmittelbar ans Karriereende, aber es war schon bitter, damit klarzukommen. Es hat zwei Wochen gebraucht, das alles zu verdauen, einige Tränen sind geflossen", sagt Würth. Aber aufgeben ist für die ausgebildete Polizeimeisterin keine Option. Dass es auch diesmal wieder funktionieren würde, da war sie sich sicher. Ja, diesmal, denn extrem viel Glück hatte Würth schon drei Jahre zuvor, im Jahr 2014. Ein Trainingssprung im russischen Chaikovsky, eine Windböe, der Sturz aus einiger Höhe mit fatalen Folgen: Bruch des sechsten Halswirbels. Der operierende Arzt wird später von einem "eingeengten Rückenmarkskanal" sprechen, von "wenigen Millimetern", die Würth davor bewahrt hatten, querschnittsgelähmt zu sein. Auch dass sie wohl vollkommen geheilt werde, wird er sagen, und dass sie gute Chancen habe, ihren Sport weiter auszuüben. Das hatte sich Würth ohnehin längst vorgenommen. Olympia, nachdem Sotschi so jäh würde ohne sie stattfinden müssen, blieb der große Traum; Lohn aller Reha, allen Schuftens, allen Schwitzens sollte Pyeongchang 2018 sein – dann war auch der Futsch. "Olympia ist ein Kindheitstraum von mir. Und der soll endlich in Erfüllung gehen. Wenn es zweimal nicht geklappt hat, dann eben beim nächsten Mal."

Wie das gelingt? Am besten mit der Rückkehr in den Weltcup. "Mir flog ja die Decke auf den Kopf. Eine gute Abwechslung war da, dass ich mich an der Fernuni Hagen für Rechtswissenschaften eingeschrieben habe", sagt Würth. Nebenbei absolviert die Schwarzwälderin an ihrem Polizeistützpunkt ein Extra-Training, um endlich wieder dabei zu können.

Ende August versuchte sich Würth dann erstmals wieder springend. In Bad Griesbach im Schwarzwald, Mattenschanze, Hillsize 63 Meter. 63? Bei einer persönlichen Bestweite von 137 Metern? Sie werde, sagt Svenja Würth, "da jetzt nichts überstürzen." Sie ackert, weiß, dass ihre Kraftwerte noch lange nicht auf dem alten Stand sind, "die Kniestabilität ist noch lange nicht bei 100 Prozent".

Aber Würth beißt sich durch, wird für sie auch überraschend für das Weltcupspringen im österreichischen Hilzenbach nominiert. "Ich muss die Saison nutzen, um die Lücke nach vorne wieder zu schließen", gibt sie sich selbstbewusst. Erstmal aber sei es "einfach nur schön, Weltcuppunkte zu sammeln, wieder in den Rhythmus zu kommen, es ist schon anders als im Training".

Dass es vergangenes Wochenende im slowenischen Ljubno nicht ganz so lief wie gewünscht, lässt sie dabei eher locker. Erkältet sei sie schon angekommen zu der Schanze, die ihr eigentlich liegt, wie sie sagt. Im ersten Einzelspringen wird sie immerhin 27., im zweiten Springen am Sonntag macht dann das Wetter nicht so mit. Erst wird das Qualifikationsspringen abgebrochen, dann haben die Athletinnen mit böigem Wind zu kämpfen, der Start wird verschoben.

Mal Glück, mal Pech

Als es dann grünes Licht gibt, ist Svenja Würth die erste deutsche Springerin, die den Bakken runtergeht – allerdings zwei Luken höher startend als ihre Vorgängerinnen. Würth springt weit, aber erhält jede Menge Punktabzüge, schafft es am Ende nicht unter die ersten 30, die die Endrunde unter sich ausmachen, um einen Zehntelpunkt verpasst sie die Finalteilnahme.

"Aber so ist es eben beim Outdoorsport, mal hast du Glück, mal Pech. Ich glaube, dass sich das über die komplette Saison ausgleicht", bleibt Würth fair. Und auch, dass sie bei der Weltmeisterschaft wohl nicht dabei sein wird, geht für sie in Ordnung: "Ich habe einfach zu wenig Sprünge absolviert." Umgekehrt könnte man aber auch sagen, dass es wohl keine Springerin gibt, die es – vor allem auch nach einer Verletzungsphase – in so kurzer Zeit von der kleinen auf eine große Schanze in so kurzer Zeit geschafft hat.

Und die nächste Herausforderung wartet bereits. Am kommenden Wochenende steht das Weltcupspringen in Oberstdorf an, eine Großschanze. "Da ist natürlich der Respekt da und ich warte die Bedingungen ab, ob es zur Teilnahme reicht. Das entscheidet auch der Trainer, weil ich die Stabilität noch nicht komplett habe. Aber bei gutem Wetter kann ich mir schon vorstellen, zu springen", sagt Würth. Und wenn es nur als Training gedacht ist – es dürfte ihr allemal lieber sein als in einem Fernsehstudio zu sitzen.