Endlich Gold: Svenja Würth hat sich zurück an die Spitze gekämpft. Foto: Nordic Focus

Nordische Ski-WM: Kampfgeist der Baiersbronner Skispringerin zahlt sich aus. Langer Weg zurück an die Spitze.

Zurückhaltend steht die Baiersbronnerin Svenja Würth an eine Absperrung gelehnt und wartet, bis die medial bestens trainierten Skisprung-Herren den Platz vor den Journalisten endlich für sie räumen.

Während Markus Eisenbichler seine Gefühle nach dem Titelgewinn der Mixed-Mannschaft in Lahti in Worte fasst und während sich Andreas Wellinger feixend nach vorne drängt, um extrovertiert der Freude über seine derzeit überragende Form Ausdruck zu verleihen, versucht Svenja Würth nur, eventuell von irgendjemandem mal etwas zu trinken zu bekommen. Viele Fernsehinterviews machen durstig.

Und als die Herren den Platz räumen, stürzt sich die Menge auch schon auf Doppelweltmeisterin Carina Vogt. Svenja Würths Gedanken gehen derweilen zurück. Immer wieder muss die Baiersbronnerin an jenen schicksalhaften Tag am 3. Januar 2014 im russischen Tschaikowski denken. Der Tag, an dem sich vieles in ihrer Karriere verändert hatte.

Es war ein Tag der Katastrophe für die damals 20-Jährige. "Ich habe im Flug schon die Kontrolle verloren", erzählt sie. Und das Erzählen tut sie routiniert. Denn bei jedem Erfolg, bei jedem gelungenen Sprung ist jener Januar-Tag in Russland in ihrem Gepäck, als sie schwer stürzte und sich den sechsten Halswirbel brach. "Zertrümmert", wie sie erzählt. Und immer wieder schwappt die damalige Angst an die Oberfläche, "dass ich mein restliches Leben im Rollstuhl verbringen muss".

Sie hat sich den Sturz auf Video angesehen, "zusammen mit einem Therapeuten" – und musste beim Studium der Bilder schlucken: "Das sah doch ganz schön heftig aus." Das wollte sie so nicht stehen lassen und kämpfte um ein Comeback. Nicht selbstverständlich nach einem solchen Erlebnis. "Es haben mir schon einige nahegelegt, dass ich die Ski in die Ecke stellen soll", berichtet sie von ihrem Umfeld, das versucht hat, sie zu überzeugen, nach der Genesung kein Risiko mehr einzugehen. Doch das war für Svenja Würth keine Option. Sie wollte zurück auf die Schanze.

Langer Weg zurück an die Spitze

"Das war nicht ganz so einfach", erinnert sie sich an die Zeit danach, "körperlich war ich relativ schnell wieder auf einem guten Niveau. Das Schwierige war dann, bei allen Bedingungen vom Kopf her wieder an die Grenzen ranzugehen." Dieser Prozess hat lange gedauert, und so war die vergangene Wintersaison von den Ergebnissen her sehr unbefriedigend. So unbefriedigend, dass sie sogar aus den Kadern des Deutschen Ski-Verbands flog. "Das hat es noch schwieriger gemacht", hatte Svenja Würth schwer an dieser Entwicklung zu knabbern. "Aber ich habe die ganzen Rückschläge gut weggesteckt und springe jetzt meine beste Wintersaison", spannte sie den Bogen dann doch wieder in die Gegenwart, und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht: "Ich denke, das ist der verdiente Lohn."

Von Beginn der Wintersaison 2016/2017 an hatte die heute 23-Jährige die Erfahrung endgültig verarbeitet und konnte mit Hilfe eines Mentalcoachs ihre Sprünge "wieder so aggressiv anspringen, dass es reicht, um vorne mitzuspringen". In Lillehammer holte sie Anfang Dezember gleich einen Top-Ten-Platz, auf der Großschanze von Oberstdorf war sie im Januar als Siebte sogar beste Deutsche. "Die Svenja hat ja ein unglaubliches Potenzial", war Männer-Bundestrainer Werner Schuster ganz hin und weg und attestierte der Baiersbronnerin die Möglichkeit, nächstes Jahr bei Olympia um Gold mitzumischen: "Sie muss nur ihre Sprünge ganz ausfliegen."

Genau das ist noch das Problem. Zwar sind die Sprünge in ihrem Timing optimal, doch ganz unten bringt sich die 23-Jährige bei der Landung selbst in Probleme, weil sie "die Sprünge zu früh öffnet" – Frauen-Bundestrainer Andreas Bauer weiß um die Schwachstelle der frisch gekürten Weltmeisterin, "da haben wir noch eine Aufgabe, und da müssen wir bis Olympia noch hart dran arbeiten".

Harte Arbeit ist Svenja Würth ja gewohnt. "Ich glaube schon, dass ich sehr ehrgeizig bin, sonst wäre ich heute nicht hier", sagt sie in ihrer gewohnt zurückhaltenden Art und überlässt den anderen wieder die große Bühne. Sie lässt lieber Taten sprechen. Wie am Sonntagabend.

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