Noch bilden sie eine Einheit: die jungen Mädchen, doch bald zerbrechen die Freundschaften und ein grausames Spiel entwickelt sich. Foto: Schwarzwälder Bote

Theater: Junge Frauen fragen auf der Kleinkunstbühne K3, wo die Frauen heute stehen / Macht des Netzes und Gruppendynamik

Es ist eine besondere Premiere in der Kleinkunstbühne K3 gewesen. Besonders deshalb, weil die sieben junge Frauen zwischen 14 und 21 Jahren ein aktuelles Thema gewählt hatten und eine außergewöhnliche Leistung zeigten.

Winterlingen. Mehr als zwei Stunden standen Alexandra Volkov, Carolina Schönherr, Nicole Jasmin Lumma, Hannah Klein, Fiona Buhl und Sarah Schiebel auf der Bühne. Für die kurzfristig ausgefallene Tugba Öztürk sprang Regisseurin Evelin Nolle bei der Premiere ein.

Auf der Bühne wird die Geschichte von Scarlett erzählt, die zu den "Auserwählten" einer Vorzeigeklasse von St. Helen mit 20 Mädchen gehört. Schockierend gleich der Anfang: Schlampe, Nutte, Hure und noch mehr solcher deftiger Ausdrücke schleuderten die Mädchen in den Zuschauerraum und fällten somit das vernichtende Urteil über eine Mitschülerin: Mädchen, die gemeinsam eingeschult wurden, gemeinsam Geburtstage feierten, alles voneinander wissen und mit den Jahren Freundinnen geworden sind. Glaubten sie, doch innerhalb von Minuten ist alles anders.

Ein Nacktfoto von Scarlett taucht während einer langweiligen Geschichtsstunde im Klassenchat auf und sofort beginnt ein beispielloser Spießrutenlauf. "So etwas macht man doch nicht! Mädchen wie die bringen alle Mädchen in Verruf." Dann taucht ein zweites Nacktfoto auf. Seltsam nur: Warum ist Scarletts Foto ein Aufreger, das ihres Freundes Liam aber nicht? Ein Mädchen spricht aus, was alle denken: Liam ist ein Junge, und das ist der Unterschied und "ein Schlüssel, der eine Menge Schlösser aufkriegt, ist ein richtig guter Schlüssel. So’ne Art Generalschlüssel. Aber ein Schloss, das eine Menge Schlüssel öffnen können, ist ein echt beschissenes Schloss." Niemand ergreift Partei für Scarlett. Als sie plötzlich verschwindet, haben die Mädchen auf einmal Angst, sie könnte sich etwas angetan haben. Doch das Drama nimmt ein erstaunliches Ende.

Zwischen die erste Erzähl-Ebene mischen sich drei Streifzüge durch die Geschichte der Frauenbewegung. Von einer Zeit, in der es für Frauen als "unschicklich" galt, in der Öffentlichkeit zu rauchen oder zu trinken, über den Versuch der 68-er, sich als Frau neu zu definieren, bis hin zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz als Praktikantin – die Rückblenden zeigen, wie viele Bereiche des Lebens von patriarchalen Machtstrukturen durchsetzt sind. Es sind die Frauen aus Scarletts Familiengeschichte, die sie erforscht hat. Scarlett kehrt noch einmal nach St. Helen zurück, mutig tritt sie ihren Mitschülerinnen entgegen und verspricht: "Die Welt wird erfahren, was ihr für Mädchen seid. Ihr werdet mich nicht vergessen. Schließlich habt ihr mein Foto als Erinnerung."

Bei dieser Inszenierung geht es um mehr als ein Mädchenschicksal. Es zeigt, welche Macht das Netz ausübt und wie grausam Kinder und Jugendliche werden können, wenn sie sich zu einer Gruppe formieren und ein gemeinsames Opfer gefunden haben. Und es wirft noch eine Frage auf, die gerade 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechtes in Deutschland eine besondere Bedeutung hat. Wo stehen die Frauen heute? Sind die Frauenschicksale von Scarlett wirklich Vergangenheit?

Weitere Aufführungstermine sind am 25. November, 18 Uhr, am 29. November, 18 Uhr, am 1. Dezember, 20 Uhr, und am 6. Dezember, 18 Uhr, im K3. Regie führt Evelin Nolle-Rieder.