Das einzige verbliebene Foto von Selma Burkart findet sich auf diesem Ausweis. Foto: Gemeinde Winterlingen Foto: Schwarzwälder Bote

Stolperstein: Selma Burkart wurde von den Nazis ermordet – nun erhält sie ein Mahnmal vor ihrem Wohnhaus

Dem Holocaust sind etwa sechs Millionen Juden zum Opfer gefallen. Eine davon war die Winterlingerin Selma Burkart. Am Montag bringt der Künstler Gunter Demnig zwei sogenannte Stolperstein als Mahnmal vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Ebinger Straße 15 an.

Winterlingen. Die Jahre des Zweiten Weltkriegs und der Judenverfolgung durch das NS-Regime zwischen 1941 und 1945 sind eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Menschen jüdischen Glaubens wurden von den Nazis systematisch verfolgt und zum größten Teil in Massenvernichtungslagern ermordet. Auch die Winterlinger Jüdin Selma Burkart, geborene Muschel, fiel dem Holocaust zum Opfer. Heiner Schuler hat ihre Geschichte in fast 20-jähriger Arbeit penibel aufgearbeitet und ihre Lebensstationen abgereist – er war in Breslau, Warschau, Izbica und Lublin. Das Ergebnis seiner Recherche hat er in einer 160-seitigen Dokumentation zusammengefasst, die er dem Jüdischen Historischen Institut in Warschau zur Verfügung gestellt hat.

Heiner Schuler arbeitete ihr Schicksal auf

Schuler hatte stets das Ziel, Burkart, die ihr Leben sinnlos wegen einer zerstörerischen Ideologie verlor, ein Andenken in ihrer Heimatgemeinde zu schaffen. Am Montag werden vor ihrem einstigen Wohnhaus in der Ebinger Straße 15 zwei sogenannte Stolpersteine in den Boden eingelassen – einer für Burkart selbst und einer für ihren Mann, den damaligen Winterlinger Ortsarzt Emil Burkart. Anders als seine Frau, war er kein Jude, sondern Katholik. Doch wie sie wurde auch er ausgegrenzt und drangsaliert. "Vor der Nazizeit waren die Burkarts eine angesehene Familie in Winterlingen", weiß Hauptamtsleiter Ludwig Maag zu berichten, der die Stolpersteinlegung von Seiten der Gemeinde koordiniert.

Selma Burkart wurde am 17. April 1885 in Löwen/Oberschlesien geboren. Sie arbeitete während des Ersten Weltkrieges als Krankenschwester; ihr wurde das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen. 1928 zogen die Eheleute Burkart nach Winterlingen, wo Emil Burkart, der aus Oberschwaben stammte, eine ausgeschriebene Arztstelle angenommen hatte. 1933 übernahmen die Nazis auch in der 2700-Seelen-Gemeinde das Regiment. Der Ortsgruppenleiter der NSDAP und seine Schergen übten massiven Druck auf Selma Burkart aus und schikanierten sie, wo sie konnten. Als die SA-Leute im Ort ihr mit Gewalt drohten, floh sie – kurz vor der Reichspogromnacht im November 1938 – zu ihren Eltern und Schwestern nach Breslau. Dies auch, um ihren Ehemann, dessen Praxis mittlerweile von den Winterlingern gemieden wurde, vor weiteren Anfeindungen und finanziellen Einbußen zu schützen.

Am 9. April 1942, wenige Tage vor ihrem 57. Geburtstag, erhielt Selma Burkart, den sogenannten Gestellungsbefehl. Sie wurde am 12. oder 13. April vom Breslauer Bahnhof Odertor "nach dem Osten" deportiert. Endstation war Izbica im Südosten Polens. Von dort stammt auch das letzte Lebenszeichen Selma Burkarts: eine handgeschriebene Postkarte mit dem Izbicaer Poststempel vom 25. April.

Das letzte Lebenszeichen kommt aus Izbica

Wann, wo und wie Selma Burkart starb, ob sie bereits kurz nach ihrer Ankunft in Izbica ermordet wurde, ob sie im Durchgangslager Izbica an Krankheiten, an Hunger oder anderem starb oder ob sie von Izbica aus in das Vernichtungslager Belzec deportiert und dort getötet wurde – all das ist unbekannt. Das Amtsbericht Balingen erklärte sie am 7. November 1948 für tot.

Der Berliner Künstler Gunter Demnig hat seit 1996 deutschlandweit Tausende von Stolpersteinen als künstlerisches Mahnmal vor den ehemaligen Wohnhäuser ermordeter Juden angebracht. Am Montag macht der Künstler Station in Winterlingen, um auf dem Gehweg der Ortsdurchfahrt vor dem ehemaligen Wohnhaus der Burkarts zwei Stolpersteine zu verlegen – einen mit den Lebensdaten Selma Burkarts und einen für ihren Mann, der zwar die Nazizeit überlebt hat, aber seine Frau verlor und aufgrund der erlittenen Diskriminierung ein Gezeichneter blieb. Ergänzt werden die Stolpersteine durch eine Infotafel.

Eigentlich hätte die Stolpersteinverlegung mit vielen Gästen gefeiert werden sollen, erzählt Ludwig Maag. Geplant war, dass Schüler und eine Delegation des Partnerschaftskomitees aus Izbica kommen sollten – bekanntlich sind sich Winterlingen und die polnische Gemeinde dank Heiner Schulers Initiative seit langem freundschaftlich verbunden. Doch die Coronapandemie zwingt die Initiatoren dazu, die vergoldeten Mahnmale am Montag im kleinen Kreis in den Boden einzulassen.