Selma Burkart wurde am 17. April 1885 in Löwen/Oberschlesien geboren. Sie arbeitete während des Ersten Weltkrieges als Krankenschwester; ihr wurde das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen. 1928 zogen die Eheleute Burkart nach Winterlingen, wo Emil Burkart, der aus Oberschwaben stammte, eine ausgeschriebene Arztstelle angenommen hatte. 1933 übernahmen die Nazis auch in der 2700-Seelen-Gemeinde das Regiment. Der Ortsgruppenleiter der NSDAP und seine Schergen übten massiven Druck auf Selma Burkart aus und schikanierten sie, wo sie konnten. Als die SA-Leute im Ort ihr mit Gewalt drohten, floh sie – kurz vor der Reichspogromnacht im November 1938 – zu ihren Eltern und Schwestern nach Breslau. Dies auch, um ihren Ehemann, dessen Praxis mittlerweile von den Winterlingern gemieden wurde, vor weiteren Anfeindungen und finanziellen Einbußen zu schützen.
Am 9. April 1942, wenige Tage vor ihrem 57. Geburtstag, erhielt Selma Burkart, den sogenannten Gestellungsbefehl. Sie wurde am 12. oder 13. April vom Breslauer Bahnhof Odertor "nach dem Osten" deportiert. Endstation war Izbica im Südosten Polens. Von dort stammt auch das letzte Lebenszeichen Selma Burkarts: eine handgeschriebene Postkarte mit dem Izbicaer Poststempel vom 25. April.
Das letzte Lebenszeichen kommt aus Izbica
Wann, wo und wie Selma Burkart starb, ob sie bereits kurz nach ihrer Ankunft in Izbica ermordet wurde, ob sie im Durchgangslager Izbica an Krankheiten, an Hunger oder anderem starb oder ob sie von Izbica aus in das Vernichtungslager Belzec deportiert und dort getötet wurde – all das ist unbekannt. Das Amtsbericht Balingen erklärte sie am 7. November 1948 für tot.
Der Berliner Künstler Gunter Demnig hat seit 1996 deutschlandweit Tausende von Stolpersteinen als künstlerisches Mahnmal vor den ehemaligen Wohnhäuser ermordeter Juden angebracht. Am Montag macht der Künstler Station in Winterlingen, um auf dem Gehweg der Ortsdurchfahrt vor dem ehemaligen Wohnhaus der Burkarts zwei Stolpersteine zu verlegen – einen mit den Lebensdaten Selma Burkarts und einen für ihren Mann, der zwar die Nazizeit überlebt hat, aber seine Frau verlor und aufgrund der erlittenen Diskriminierung ein Gezeichneter blieb. Ergänzt werden die Stolpersteine durch eine Infotafel.
Eigentlich hätte die Stolpersteinverlegung mit vielen Gästen gefeiert werden sollen, erzählt Ludwig Maag. Geplant war, dass Schüler und eine Delegation des Partnerschaftskomitees aus Izbica kommen sollten – bekanntlich sind sich Winterlingen und die polnische Gemeinde dank Heiner Schulers Initiative seit langem freundschaftlich verbunden. Doch die Coronapandemie zwingt die Initiatoren dazu, die vergoldeten Mahnmale am Montag im kleinen Kreis in den Boden einzulassen.
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