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Wer war Tim K.? Beim Amokprozess versucht das Gericht, dieser Frage auf den Grund gehen. 

Stuttgart - Wer war Tim K.? Wer war der 17 Jahre alte Jugendliche, der am 11. März vorigen Jahres bei einem Amoklauf in Winnenden und Wendlingen 15 Menschen erschoss, ehe er sich selbst richtete? Die Polizei hat einen enormen Aufwand getrieben, um der Person Tim K. näherzukommen.

Beim Prozess gegen den Vater des Amokschützen, der sich wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz vor dem Landgericht Stuttgart verantworten muss, entsteht ganz allmählich ein Bild.

Nur ein Anruf auf dem Handy

Tims 51-jähriger Vater hatte bei der Polizei gesagt, sein Sohn sei ruhig und zurückhaltend gewesen, habe viel Zeit allein in seinem Zimmer vor dem Computer verbracht - und er habe keine Freunde gehabt. Mehr ist vom Vater über den Sohn nicht zu erfahren. Jörg K. schweigt im Prozess - zur Enttäuschung von inzwischen 43 Angehörigen der Opfer, die mit 19 Anwälten vor Gericht als Nebenkläger auftreten.

Keine Freunde. Das scheint sich durch das Leben des Tim K. gezogen zu haben wie ein roter Faden. Woran das lag, bleibt Spekulation. Während Jugendliche kaum noch ohne ihr Handy auskommen, hat Tim K. sein Mobiltelefon nicht benutzt. Es lag meist in seiner Nachttischschublade. In der Zeit vom 1. Januar 2009 bis zum Amoklauf am 11.März ist auf dem Handy nur ein einziger Anruf verzeichnet. Die gespeicherten Nummern? Ausnahmslos Familienangehörige, keine Freunde.

Tim mehr geärgert als andere

Die Polizei hat Mitschülerinnen und Mitschüler, Lehrerinnen und Lehrer seiner Abschlussklasse der Albertville-Realschule befragt. Immer dasselbe: Tim sei ruhig gewesen, unauffällig, korrekt, freundlich, passiv, ein Mitläufer. Sein letzter Klassenlehrer sagt allerdings, er sei "nicht unbedingt integriert" gewesen.

Man wundert sich. Denn Tim K. spielte durchaus erfolgreich Tischtennis in mehreren Vereinen und maß sich mit Gegnern in einem Kraftsportverein. Im Schützenverein seines Vaters soll er dagegen nur selten aufgetaucht und geschossen haben.

Tim mehr geärgert als andere

In der Schule hat er sich aber offenbar nicht wohlgefühlt. Einer Pädagogin, die ihm immerhin von November 2003 bis April 2008 Nachhilfe in Deutsch und Englisch gab, soll er gesagt haben, er werde gemobbt. "Er sagte, die Klasse habe über ihn gelacht, die Lehrer ignorierten ihn", so die Nachhilfelehrerin zur Polizei. Tim sei verunsichert gewesen und habe unter Versagensängsten gelitten. Schon morgens im Bus sei er wegen seiner Kleidung und seiner Brille gehänselt worden. Der Spott habe sich auf dem Schulhof fortgesetzt. Am schlimmsten hätten es dabei Mitschülerinnen aus seinem Heimatort Weiler zum Stein getrieben.

Nach dem Amoklauf schrieb die Lehrerin an Tims Mutter: "Wir wissen, dass die Schule ihre Hände nicht in Unschuld waschen kann." Der Ermittlungsleiter sagt dagegen, er habe keine Erkenntnisse, dass Tim mehr geärgert worden sei als andere Schüler. In Tims Zimmer fand die Polizei mehrere Horror- und Gewaltfilme, ebenso Sadomaso-Pornos und Informationen über die Amokläufe von Erfurt, Emsdetten und andere. Zudem sei der 17-Jährige als versierter Ego-Shooter-Spieler bekannt gewesen. Dabei handelt es sich um sogenannte Ballerspiele. Macht dies alles einen Jugendlichen zum Amokläufer? Der Prozess wird diese Frage wohl nicht beantworten können.