Stuttgart - Ein Lexikon, an dem jeder mitarbeiten kann? Dass Wikipedia funktioniert, ist auch zehn Jahre nach ihrer Gründung ein Rätsel: Tausende investieren ihre Freizeit, um das Wissen der Welt zu sammeln. Millionen Artikel wurden erfasst, unzählige Veränderungen vorgenommen und diskutiert.

Genau das war 2000 das Neue an Wikipedia. Was sonst nur Redakteuren bei Brockhaus vergönnt war, stand nun plötzlich jedem offen. Einzige Voraussetzung war und ist ein Internetzugang. Um den Missbrauch einzudämmen, fußt das Mitmachlexikon auf den Grundsätzen, dass jeder User Beiträge erstellen, verändern oder sogar löschen kann. Allerdings überwachen Administratoren alle Veränderungen, können diese rückgängig machen oder Artikel ganz sperren.

Im Lauf der zehn Jahre entstanden im deutschen Wikipedia über eine Million Artikel. Aber auch von Skandalen blieb es nicht verschont. So wurde die Arbeitsweise durch den "Namensskandal" um den damals neuen Wirtschaftsminister zu Gutenberg in Frage gestellt, aber auch die manchmal mangelnde Diskussionskultur stand im Licht der Öffentlichkeit.

Dennoch ist Wikipedia wohl eine der größten Entwicklungen die das Internet in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Denn noch nie war wohl so viel Wissen auf einen Klick so leicht verfügbar. In unserer Bilderstrecke und auf den folgenden Seiten werfen wir einen Blick auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Projekts.

Als "Spaß-Projekt" gestartet und als kleiner Bruder der Nupedia gedacht, überholte Wikipedia schnell seinen Vorgänger. Ebenso schnell wie der Aufstieg die beiden Gründer Wales und Sanger überraschte, kündigten beide via E-Mail an, Wikipedia international zu machen. Bald gab es Wikipedia auch auf Deutsch, Katalanisch und Französisch. Zum Ende des ersten Jahres in der noch jungen Wikipedia-Geschichte war die Seite in 18 Sprachen erreichbar.

Die Geschichte von Wikipedia hat selbstverständlich ihre eigne Seite auf der Wissensplattform. Zusätzlich befindet sich Wikipedia gerade im Review-Prozess. Das bedeutet, dass die ursprünglichen Autoren "sich nicht mehr in der Lage sehen, den Text allein zu verbessern", wie Wikipedia in der Projektseite von "Review" schreibt. Der Artikel über die Geschichte von Wikipedia hat also alles, was das wohl größte und aufwändigste Wissensprojekt der Menschheit ausmacht.

Begonnen hat alles mit einer vollkommen anderen Idee. Denn eigentlich war Wikipedia nur ein Spaßprojekt der beiden Gründer Jimmy Wales und Larry Sanger. Die Idee für eine von Usern selbst erstellte Wissensseite ist allerdings nicht neu, schon 1993 hatte Rick Gates die Idee, konnte sie aber nicht zum Erfolg führen.

Ursprünglich ein Lexikon mit einem Philosophie-Professor als Chefredakteur

So lag es also an Internet-Unternehmer Wales und Philosophie-Professor Sanger, den Stein ins Rollen zu bringen. Im Jahr 2000 ging die Nupedia online, die in ihren Leitsätzen nicht weiter weg vom heutigen Mitmach-Lexikon sein konnte. Denn alles, wirklich alles, was in der Nupedia online ging, wurde überprüft und mehrfach gecheckt. Es war mehr ein Online-Brockhaus mit Sanger als Chefredakteur. Die User mussten sich mit Texten und Themen bewerben, welche dann von Themenkundigen überprüft wurden und schließlich online gingen. Die Texte waren so zwar inhaltlich richtig, aber es dauerte lange, bis der ganze Prozess durchlaufen war.

Das änderte sich schnell mit Wiki (hawaiianisch für schnell). Schon seit 1972 wurde das System eingesetzt. Die Idee hinter Wiki ist, dass Inhalte auf Webseiten schnell und einfach editiert, erstellt und verbessert werden können, was vor allem im sich ständig erneuernden Feld des Wissensmanagements wichtig ist. Dabei steht gerade das Arbeiten mehrerer Personen an der gleichen Webseite von unterschiedlichen Standorten aus im Mittelpunkt. Das einfache Bearbeiten steht dabei nur an zweiter Stelle, wichtiger das gemeinsame Schaffen.

Das System war also nicht neu, Sanger und Wales modifizierten nur die Idee, und schließlich ging am 15. Januar 2001 wikipedia.com online. Das Bahnbrechende war die einfache Benutz- und Editierbarkeit. Statt eines Informatikstudiums war nur noch ein Internetzugang notwendig, um sich selbst einzubringen.

Als "Spaß-Projekt" gestartet und als kleiner Bruder der Nupedia gedacht, überholte Wikipedia schnell seinen Vorgänger. Ebenso schnell wie der Aufstieg die beiden Gründer Wales und Sanger überraschte, kündigten beide via E-Mail an, Wikipedia international zu machen. Bald gab es Wikipedia auch auf Deutsch, Katalanisch und Französisch. Zum Ende des ersten Jahres in der noch jungen Wikipedia-Geschichte war die Seite in 18 Sprachen erreichbar.

Ohne Anschauungsmaterial nur halb so lehrreich

2002 gab es den ersten Skandal, als Autoren des spanischen Wikis sich zurückzogen und ein eigens Wiki aufsetzten. Der Grund für die Abspaltung: Da Wikipedia mit Servern und Rechten der Wales-Firma Bomis gehörte (die ihr Geld hauptsächlich mit nackten Brüsten und Werbung verdienten), wuchs die Angst der spanischen Wiki-Schreiber, dass Wikipedia ebenfalls mit Werbung zugekleistert werden könnte. Doch Jimmy Wales sah in Wikipedia offenbar sein Schicksal, verkündete, dass die Seite für immer werbefrei bleiben würde, zog die Seite von .com zu der gemeinnützigen URL .org um und gründete schließlich am 20. Juni 2003 die ebenfalls uneigennützige Wikipedia Foundation. Namesrechte, Server und alles, was sonst mit Wikipedia zu tun hatte, gingen an diese Stiftung. Was Bomis und Wikipedia noch eint, ist der Standort. Beide sind in Florida angesiedelt, da dort, laut Wales' eigener Aussage, die Gesetze im Bereich Nacktheit am lockersten sind. Der Biologiebereich in Wikipedia wäre ohne Anschauungsmaterial wohl nur halb so lehrreich.

Da Nupedia nicht mit dem Erfolg von Wikipedia mithalten konnte und Wikipedia keinen Chefredakteur brauchte, wurde die Stelle von Sanger gekündigt. Er verließ daraufhin das ganze Projekt. Seit damals hat sich die Idee der Wikipedia gut gehalten, das Design wurde mehrfach aufgefrischt und wikipedia.org und alle seine Unterseiten sehen nun so aus, wie Wales sich das zu Beginn vorstellte. Mittlerweile ist Wikipedia in über 260 Sprachen - von Abchasisch bis Zulu - zu finden und umfasst 17.549.968 Artikel (Stand: 1. Januar 2011). Sogar auf Klingonisch. Die deutsche Wikipedia rangiert bei Inhalten mit knapp 1,2 Millionen auf Platz 2.

Die Grundsätze

Die Grundsätze hinter Wikipedia fasst die Organisation selbst in vier Punkten zusammen:

1. Wikipedia ist eine Enzyklopädie.
Das bedeutet eine Sammlung allgemeinbildenden Wissens. Nur was wichtig und was eher uninteressant ist, das sorgt oft für Streitereien. So gibt es bei der Vielzahl an Autoren immer jemanden, der etwas daran auszusetzen hat. In langen Diskussionen streiten die Autoren regelrecht darum, ob das Thema nun relevant für Wikipedia ist oder nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass Wikipedia keinen Kriterienkatalog hat, was nun relevant bedeutet. 

2. Beiträge sind so zu verfassen, dass sie dem Grundsatz des neutralen Standpunkts entsprechen.
Dies ist wohl der am schwersten zu erfüllende Punkt. Denn oft sind Firmen und Privatpersonen daran interessiert, zum Beispiel die eigene Vergangenheit zu beschönigen. Das passiert aber nicht nur "skrupellosen" Unternehmen, auch Wikipedia-Chef Jimmy Wales "überarbeitete" seine Vergangenheit. Das Startkapital für Wikipedia kam von Bomis, einer nicht gerade jugendfreien Website. Wales verletzte den von ihm selbst aufgestellten Grundsatz des "neutral point of view", als er in einem Wiki-Artikel die durchaus treffende Bezeichnung des "Bomis Babe Report" zum Softporno veränderte.
Mit dem "neutral point of view" soll sichergestellt werden, dass jeder Artikel neutral verfasst wird und keine Seite einer Meinung vertritt.

3. Geltendes Recht – insbesondere das Urheberrecht – ist strikt zu beachten.
Erklärt sich von selbst: Texte dürfen nicht von anderen Seiten kopiert werden und beispielsweise dürfen auch keine urheberrechtlich geschützten Fotos einfach so verwendet werden.

4. Andere Benutzer sind zu respektieren und die Wikiquette einzuhalten.
Die Wikiquette, ein Kunstwort aus Wiki und Etiquette, gibt den Rahmen für den Umgang der User miteinander vor. Diese fußt auf Respekt den anderen gegenüber und dem Grundsatz "gehe von guten Absichten aus". Dennoch kommt es oft zu langen und vor allem sich im Kreis drehenden Diskussionen, die sich dabei nicht immer an die Wikiquette halten.

Zukunft: Wo fängt Wissen an?

Die Zukunft von Wikipedia sieht gut aus. Konkurrenten wie die britische Encyclopædia Britannica oder der deutsche Brockhaus verzichten auf ihre gedruckten Werke und wandern ins Netz, teils dürfen User dort auch Inhalte verändern. Allerdings löst das nicht die Grundproblematik: Wenn jeder alles verändern kann, was ist dann die Wahrheit? Wikipedia besteht zwar auf Quellen, um den Inhalt zu sichern, doch diese Quellen könnten wiederum aus Wiki gespeist sein. So verlassen sich vertrauenswürdige Seiten auf den Inhalt, der bei Wikipedia steht, ohne ihn zu überprüfen. Wikipedia nennt diese Webseiten dann als Quellen für die falsche Information.

Ein weiteres Problem ist der Kampf zwischen den "Inklusionisten" und den "Exklusionisten". Die einen wollen alles und jeden Wissenshappen in der Datenbank und sehen Wikipedia als Speicher des globalen Wissens. Die Gegner, Exklusionisten genannt, sehen darin eine Gefahr. Denn je ausführlicher ein Artikel ist und umso mehr Informationen darin enthalten sind, desto schwieriger wird es, alles mit Quellen zu belegen. Somit schleichen sich zwangsläufig Fehler ein.

Doch egal, welche der beiden Vorstellungen sich am Ende durchsetzt, Wikipedia wird weiter wachsen und sich immer mehr zum Wissenssammelpunkt der Menschheit wandeln. Entscheidend ist nur, dass man sich immer bewusst sein muss, dass jeder den Artikel verändern kann. Und dass sich nicht jeder an die vier Grundsätze von Wikipedia hält.