Der Wikileaks-Gründer Julian Assange wird wie ein Schwerverbrecher gejagt - ein Porträt.

Berlin - Der Wikileaks-Gründer ist auf der Flucht, gejagt wie ein Schwerverbrecher. Schwedens Justiz ermittelt gegen ihn wegen Vergewaltigung, Interpol fahndet weltweit nach ihm, und in den USA droht ihm eine Anklage wegen Spionage.

Julian Assange hat viele Feinde. Der 39-jährige Australier ist derzeit der meistgesuchte Mann auf dem Planeten, für viele ist er auch der gefährlichste. Seit Assange Ende 2006 mit Gesinnungsgenossen die Internet-Plattform Wikileaks gründete, sammelt und veröffentlicht er Dokumente, die von Regierungen und Konzernen als geheim eingestuft werden. Sein Streben nach Transparenz und der geradezu missionarische Eifer, möglichst viele sensible Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, macht ihn für Regierungen zu einer unkontrollierbaren Bedrohung.

Wikileaks ist allgegenwärtig, doch ihr Gründer ist nicht greifbar. Genauso wenig wie die Quellen seiner Enthüllungen. Manche meinen, dass das Phänomen Assange selbst kaum zu begreifen sei. Nie ist man sicher, woher der 39-Jährige gerade kommt, wohin er geht, woran er arbeitet. Rastlos reist er um den Globus. Nun ist er auf der Flucht: In Schweden wegen des Verdachts der Vergewaltigung und sexueller Nötigung von zwei Frauen gesucht, steht Assange auf der Fahndungsliste von Interpol.

Die in Lyon ansässige internationale Polizeibehörde bestätigte gestern, dass sie am 20. November eine Red Notice, einen Steckbrief des 39-Jährigen, an alle 188 Mitgliedstaaten verschickt habe. Nach Schwedens offizieller Zustimmung sei sie öffentlich gemacht worden, um "im Zusammenhang mit einer Anzahl sexueller Vergehen" nach Julian Assange zu suchen, wie es offiziell heißt. Er soll eine Frau vergewaltigt und eine weitere belästigt haben - was er aber bestreitet. Die schwedischen Behörden ordneten am 18. November seine Festnahme an. Assange wollte Schweden als Basis für Wikileaks nutzen, weil das Land strenge Regelungen zum Schutze der Pressefreiheit hat.

Der Mann mit den dünnen blonden Haaren bleibt ein Rätsel: Omnipräsent auf der Bühne der Weltöffentlichkeit, zeigt er sich nur auf Pressekonferenzen. Auf der Suche nach einem sicheren Unterschlupf hat er schon erwogen, politisches Asyl in der Schweiz zu beantragen. Wikileaks, so Assange, könne nur in der Schweiz, in Island und Kuba sicher arbeiten. In Kuba jedoch nur so lange, wie die Plattform nicht über Kuba berichten würde.

Schon als Jugendlicher talentierter Hacker

So unstet wie sein Leben als Wikileaks-Chef war auch Assanges Werdegang. Am 3. Juli 1971 im australischen Townsville geboren, zog er mehrfach in Australien um, seine Eltern betrieben ein Wandertheater. Er studierte Physik an der Universität Melbourne, lebte und arbeitete in China, im Iran, in Australien, in den USA und in Großbritannien. Schon früh machte er sich einen Namen als Hacker, arbeitete als politischer Aktivist, Journalist und hat nach eigener Aussage "im Internet Geld verdient".

Bereits als Jugendlicher beschäftigte er sich mit Computern, stöberte in Online-Netzwerken herum. Mit 24 Jahren geriet Assange erstmals in Konflikt mit den Behörden, die ihm und einigen seiner Hacker-Freunden den Einbruch in geschützte Netzwerke vorwarfen. Angeblich soll er sich auch in das Computersystem der US-Raumfahrtbehörde Nasa eingeschlichen haben.

Als Assange Wikileaks 2006 mit einer Handvoll Computerspezialisten, Menschenrechtlern und Journalisten gründete, wollte er damit drei Dinge erreichen: "Die Presse befreien, Missstände aufdecken und Dokumente retten, die Geschichte machen." Er ist zweifellos ein Weltverbesserer und Idealist. Doch die mangelnde Transparenz von Regierungen, Geheimdiensten und Wirtschaftsunternehmen, gegen die er zu Felde zieht, wird ihm selbst vorgeworfen.

"Julian Assange ist ein Mann mit einer Vision, der bereit ist, dafür zu kämpfen. Aber er bezieht andere nicht mit ein. Obwohl ich sein Sprecher war, wusste ich oft selbst nicht, was Sache war", betont Daniel Domscheit-Berg. Der deutsche IT-Spezialist war bis September neben Assange der einzige bekannte Name der Whistleblower-Plattform. Nachdem Domscheit-Berg die autoritäre Führung seines Chefs und die Informationspolitik von Wikileaks kritisierte, stieg er mit anderen aus der Führungsriege aus. Ab Mitte Dezember will er mit einem neuen, bisher namenlosen Netzwerk an die Öffentlichkeit gehen und Wikileaks und seinem früheren Weggefährten Konkurrenz machen.

Er soll sich als Diktator geriert haben

Glaubt man Domscheit-Berg, soll in den eigenen Reihen ein rauer Ton geherrscht haben. So soll sich Assange gegenüber einem isländischen Studenten als Diktator geriert und gesagt haben: "Ich bin das Herz und die Seele dieser Organisation, ihr Gründer, Theoretiker, Sprecher, erster Programmierer, Organisator, Finanzier und alles Übrige. Wenn du ein Problem mit mir hast, verpiss dich." Domscheit-Berg charakterisiert Assange als "brillante Persönlichkeit, und er hat viele sehr, sehr spezielle Talente".

Die Wikileaks anonym zugeschickten Dokumente sollen fragwürdige gesellschaftliche und politische Zustände offenlegen. Schon lange vor der Gründung war dieses Whistleblower-Konzept (Whistleblower sind Hinweisgeber für Missstände oder illegales Handeln) von Einzelpersonen und Initiativen als Mittel zur Förderung demokratischer Transparenz gefördert worden. Assange hat dieses Konzept perfektioniert und so die Mächtigen das Fürchten gelehrt. Mit der Veröffentlichung einer internen Video-Dokumentation der US-Streitkräfte zu einem Luftangriff auf Zivilpersonen im Irak gerieten Assange und Wikileaks im April international in die Schlagzeilen. Seitdem lebt er aus dem Koffer, übernachtet oft konspirativ bei Bekannten.

Assange glaubt, dass er sich im Visier der Geheimdienste befindet. Spätestens seit seinem jüngsten Coup dürfte er damit recht haben. Während Wikileaks eine neue Offenheit propagiert, treiben Verschwörungstheorien bizarre Blüten. "Seit April haben wir keine Ruhe gehabt", sagte Assange im Interview. Wikileaks stehe Organisationen gegenüber, "die sich nicht an die Regeln halten. Wir stehen Geheimdiensten gegenüber."

Auch hinter den Ermittlungen der schwedischen Justiz sieht er ein Komplott der US-Regierung. Sein schwedischer Anwalt Björn Hurtig hat angeboten, dass sein Mandant über Telefon, Videolink oder andere Kommunikationswege vom Ausland aus zu den Vorwürfen vernommen werden könnte. Die schwedische Justiz besteht aber auf persönlicher Anwesenheit des Beschuldigten.

Assange fordert Rücktritt von Clinton

Vom unbekannten Ort aus meldete sich Assange am Dienstag beim "Time Magazine" zu Wort - über Skype, dessen Internet-Telefonate als abhörsicher gelten. Dabei forderte er den Rücktritt von US-Außenministerin Hillary Clinton, wenn sich herausstellen sollte, dass sie US-Diplomaten zur Spionage bei der UN aufgerufen haben sollte. Die Enthüllungen von Wikileaks sollen, so Assange, Reformen anstoßen: "Organisationen können entweder effizient, offen und ehrlich sein, oder sie können geschlossen, konspirativ und ineffizient sein."

Auf seine Mutter jedenfalls kann sich der Gesuchte verlassen. Sie sei besorgt über die internationale Fahndung und wolle nicht, dass Jagd auf ihren Sohn gemacht werde, sagte Christine Assange im australischen Rundfunk. Vieles, das über ihn geschrieben werde, sei einfach nicht wahr.