Franz Groll mit seinem Bautrupp auf der neu errichteten Nagelbinderkonstruktion für eine Holzwerkstatt. Der Gechinger war mehrfach als Entwicklungshelfer in Haiti im Einsatz. Foto: »Pro Haiti«

Nicht nur die Menschen in Europa sind von den Folgen des Ukrainekriegs wie Lieferengpässe betroffen, sondern auch entfernt liegende Länder wie Haiti, mit dem der Verein "Pro Haiti" seit fast 30 Jahren freundschaftlich verbunden ist. Ein Lagebericht.

Gechingen/Aidlingen - "Jetzt geht wieder so ein komisches Jahr zu Ende. Viele Menschen hatten sich für 2022 ein Ende der Coronakrise und ein friedvolles, normales Jahr gewünscht. Aber insbesondere durch den kriegerischen Angriff auf die Ukraine kam alles anders als gehofft. Statt Frieden und Erholung kamen neue Krisen und Unsicherheiten in die Welt." Das schreiben die "Pro Haiti"-Vorstandsmitglieder Martin Hovekamp, Rolf Kossbiel und Franz Groll in ihrem jüngsten Jahresbericht. Der Verein hat seinen Sitz in Aidlingen und zahlreiche Mitglieder sowie Unterstützer im Gäu. Bekanntester Entwicklungshelfer aus dem Gäu im wahrsten Sinne des Wortes ist Franz Groll aus Gechingen, der bereits mehrfach Einsätze in dem Land absolviert hat.

Politische und wirtschaftliche Lage nach wie vor prekär

Durch die guten Partnerschaften in Haiti und die Zusammenarbeit mit anderen deutschen Initiativen, die für die haitianische Bevölkerung aktiv sind, sei der Vorstand stets gut informiert über die dortige Lage. "Aber insbesondere seit dem Präsidentenmord im Juli 2021 und seit dem schweren Erdbeben im August 2021 war die politische und wirtschaftliche Situation in Haiti immer schlechter geworden", so die drei Vorstandsmitglieder weiter. Die handlungsunfähige politische Regierung habe gleichzeitig den Spielraum für kriminelle Banden vergrößert, was zu noch instabileren und unsichereren Lebensverhältnissen geführt habe. Die von der Politik enttäuschte Bevölkerung habe sich immer wieder an Protesten beteiligt und dies nicht nur in der Hauptstadt, sondern zunehmend auch in ländlichen Regionen. "Zuletzt hat eine kriminell organisierte Blockade der haitianischen Treibstoffversorgung zur wochenlangen Lähmung des gesamten Landes geführt, da selbst für die Lebensmittelversorgung keine Transporte mehr möglich waren. Der Verkehr war zusammengebrochen und die Schulen konnten nicht rechtzeitig ihren Betrieb aufnehmen", ist im Jahresbericht 2022 weiter zu lesen.

Wiederaufbauprojekte geraten ins Stocken

All dies führe auch im entlegenen Jérémie zu Versorgungsengpässen, die direkte Auswirkung auf den dortigen, vom Verein initiierten Ausbildungs- und Produktionsbetrieb haben. Auch der Selbsthilfeverein Omadej sei aktuell stark eingeschränkt und könne seine Wiederaufbauprojekte nicht so zügig voranbringen, "wie wir es aus der Vergangenheit schon gut verfolgen konnte".

Ein Jahrzehnt großer Naturkatastrophen

Dabei gebe es nach einem Jahrzehnt großer Naturkatastrophen (2010: großes Erdbeben, 2016: Hurrikan "Matthew", 2021: wieder heftige Erdbeben) mehr als genug zu tun. "Wir sind froh und dankbar für die großartige Unterstützung, die wir für die Selbsthilfeprojekte von Omadej von den Weltläden aus Herrenberg und Aidlingen erhalten haben. Besonders glücklich sind wir auch, dass regelmäßig Schüler in Deutschland für Schüler in Haiti aktiv sind und mit besonderen Aktionen wie dem Sponsorenlauf an der Schlehengäuschule Gechingen so wertvolle Unterstützung leisten", so das Trio weiter. Man sei allen Spendern sehr dankbar, durch die Hilfsprojekte zur Selbsthilfe erst ermöglicht werden könnten.

Zeichen der Hoffnung

Es habe in der ersten Jahreshälfte 2022 aber auch hoffnungsvolle Zeichen in Sachen Wiederaufbau gegeben. Der langjährig organisierte Container, befüllt mit Baumaterial, war laut Vereinsvorstand endlich Ostern 2022 am Ziel im Ausbildungszentrum in Jérémie gut angekommen – obwohl er nach monatelanger Wartezeit in der Hauptstadt durch von Banden kontrolliertes Gebiet gebracht werden musste. Auch in Jérémie selbst sei der Transport alles andere als einfach und riskant gewesen, weil das Erdbeben 2021 die einzige Brücke zur Stadt schwer beschädigt hatte. "Etwas später konnte dort eine neue Ersatzbrücke in Betrieb gehen, sodass Jérémie jetzt theoretisch wieder besser erreichbar ist. Aber die Materialbeschaffung ist auch in Jérémie immer noch schwierig, wodurch auch das aktuelle Produktionsprojekt ›Bänke und Tische für Beaumont‹ behindert wird." Die Berufsschule CTSJ habe im Dezember 2022 den Schulbetrieb wieder aufgenommen und "Pro Haiti" unterstütze die autarke Stromversorgung durch die eigene Photovoltaikanlage mit einem Satz neuer Batterien, die baldmöglichst ausgetauscht werden sollen, damit die Anlage wieder mit voller Leistung für Ausbildung und Produktion genutzt werden kann. Trotz aller Rückschläge wollen die Mitglieder von "Pro Haiti" weiter vielfältige Aufgaben und anstehende große Projekte unterstützen.