Beim Waldspielplatz wurde ein grausiger Fund gemacht. Foto: Tim Nagengast

Wieder ein totes Baby: Der tote Junge, der eingewickelt in einen Müllsack in Maulburg gefunden wurde, weckt unweigerlich Erinnerungen an ähnliche Fälle in der Region.

Im Februar war in Steinen-Hüsingen ein totes Kind auf einer Wiese gefunden worden. Später meldete sich die jugendliche Mutter mit ihren Eltern bei der Polizei.

 

Weitere Befragungen

Ob der aktuelle Fall im nahen Maulburg ähnlich gelagert ist, ist indes reine Spekulation. Bekannt ist bisher lediglich, dass es sich bei dem toten Kind, das in einem Müllsack beim Maulburger Waldspielplatz aufgefunden wurde, um einen Jungen handelt. Ob es eine Totgeburt war, das Baby getötet wurde oder ob es eines natürlichen Todes starb, darüber machte die Polizei auch am Dienstag keine weiteren Angaben. Es seien mehrere Teams vor Ort, Befragungen würden weiterhin durchgeführt, Spuren und Zeugen gesucht, einigen Aussagen gehe man nach.

Neben dem aktuellen und dem in Hüsingen gab es zuletzt einen weiteren tragischen Fall: Anfang März wurden in einer Gemeinde im Markgräflerland zwei Säuglinge gefunden. Den Erkenntnissen nach lagen sie schon eine längere Zeit tot in einem Haus. Die Polizei ermittelte auch in diesem Fall gegen eine Heranwachsende.

Was sagt ein Frauenarzt

Spekulationen, warum das Kind in Maulburg starb, verbreiten sich naturgemäß weit über den Ort hinaus. Viele stellen sich die Frage nach dem Warum. Der erfahrene Frauenarzt Oliver Dib arbeitet in einer Gemeinschaftspraxis in Schopfheim, also nicht weit von Maulburg entfernt. Auch ihn bewegt die Nachricht von dem tragischen Fund sehr. „Mein erster Reflex war, dass ich alle Schwangeren aus meiner Praxis vor meinem inneren Auge gescannt habe, ob ich da vielleicht irgendetwas übersehen habe“, erzählt er auf unsere Nachfrage.

Ist eine Schwangerschaft ungewollt und fehlt ein sicheres soziales Umfeld, kann sie Frauen in psychische Extremsituationen bringen. Foto: Pixabay

Was macht es mit einem Frauenarzt, der täglich mit vielen glücklichen werdenden Müttern zu tun hat, wenn er von so einem Fall hört? Man müsse als Arzt lernen, einen gewissen Abkapselung-Reflex zu aktivieren, sagt Dib.

Noch ist keineswegs klar, ob das in Maulburg aufgefundene Baby getötet wurde. So oder so müsse man leider festhalten: „Fälle wie die Tötung von Babys durch überforderte oder verzweifelte Mütter werden sich nie komplett verhindern lassen.“

Eine verzweifelte Mutter?

In jedem Fall versucht der Schopfheimer Frauenarzt in seinem Berufsalltag mit viel Empathie genau hinzuschauen. „Wir können aber nur direkt eingreifen, wenn eindeutig Gefahr im Verzug ist“, erklärt er. Ansonsten bleibe ihm nur, die Mutter auf die zahlreichen Hilfsangebote hinzuweisen. Neben Beratungsmöglichkeiten ist das zum einen die Babyklappe im Lörracher Elisabethen-Krankenhaus. Zum anderen die Möglichkeit der anonymen Geburt, die es seit einigen Jahren gebe. „Davon wissen viele leider nichts“, bedauert der Mediziner.

In diesem Zusammenhang beklagt Dib auch die ärztliche Mangelversorgung in Südbaden. „Es gibt zu wenig Ärzte. Manche Betroffene schaffen es nicht, sich an die entsprechende Versorgung anzubinden oder haben nicht das nötige soziale Umfeld, das sie unterstützt.“ Da könne es bei einer unerwünschten Schwangerschaft schon zu maximaler Verzweiflung kommen.

Erstaunliche Fälle

Auch weiß Oliver Dib von erstaunlichen Fällen, in denen Schwangerschaften bis zur Geburt von der Mutter selbst unentdeckt bleiben. „Da gibt es sogar den vermeintlich entzündeten Blinddarm, der dann Stunden später auf die Welt kommt.“ Dass so etwas nur ganz jungen Frauen passiere, verneint er.

Trotz des Stresses im Praxisalltag ist er überzeugt, dass die meisten Kollegen sehr sensibel mit ihren Patientinnen umgehen und spüren, wenn sich eine werdende Mutter in einer schwierigen Situation befindet – und ihr Hilfe anbieten. „Das erfordert dann Gespräche, die man nicht im Schnellverfahren abhaken kann.“

Wenn es ihm notwendig erscheint, bietet Oliver Dib bei intensiven Fällen auch nach seiner Sprechstunde Gespräche an, gerne auch mit einer zweiten vertrauten Person der Schwangeren. Eine Form der Zuwendung, die die Mutter des toten Säuglings vielleicht nicht hatte.

Belastung der Einsatzkräfte

An die psychische Belastung für die Einsatzkräfte, die den tragischen Maulburger Todesfall behandeln, hatte Bürgermeisterin Jessica Lang bereits in einer ersten Stellungnahme am Montag erinnert. Denn auch für die ermittelnden Beamten sind solche Fälle stark belastend.

Am Schlimmsten ist es, wenn Kinder betroffen sind

Das kann Dietmar Ernst, der in Höllstein lebt, nur bestätigen. Er war bis zur Pensionierung stellvertretender Stabsstellenleiter der Öffentlichkeitsarbeit im Polizeipräsidium Freiburg. Der Polizeibeamte im Ruhestand hat in seiner Dienstzeit nahezu alles mitgemacht: vom Amoklauf über die Auslöschung ganzer Familien bis zur Kindstötung. „Die Fälle familiärer Gewalt oder verwahrloster Kinder waren für mich die schlimmsten“, erinnert er sich im Gespräch mit unserer Zeitung.

Traurige Gedanken

Beim aktuellen Fall kommen ihm viele traurige Gedanken. Ein Kind, das noch ein ganzes Leben vor sich hatte, ist tot. Ernst denkt aber auch an die Mutter. „Falls es eine Kindstötung war: Was muss sie durchmachen, wie muss sie sich gefühlt haben, dass sie so eine Entscheidung trifft“, fragt er sich.

Der frühere Polizeipressesprecher Dietmar Ernst, der inzwischen im Ruhestand ist, hat in seiner Dienstzeit viel erlebt. Foto: Meller

Er weiß aber auch, welch enorme Belastung so ein Fall für die ermittelnden Beamten ist. Oft war er selbst Teil einer Soko. „Egal, ob die Kollegen von der Spurensicherung, die Tatortbegeher, der Pressesprecher oder die Befrager – der Fall eines toten Kindes bringt alle an ihre Grenzen.“

Natürlich gebe es spezielle Schulungen, zudem könnten sich die Beamten auch während der Ermittlungen Hilfe holen. Beim Hüsinger Fall beispielsweise habe sich ein ermittelnder Beamter mit ihm kurz geschlossen.

Nicht jeder hält das aus

Es werde beim Einsatz auch Rücksicht genommen, gerade wenn die Kollegen junge Familienväter oder -mütter sind. „Nicht jeder ist geeignet, Fälle von häuslicher Gewalt oder Kindstötung zu bearbeiten.“ Ist er selbst froh, den tragischen Maulburger Fall nicht bearbeiten zu müssen? Die Antwort ist ein klares Ja.

Auf einen Blick

Die Polizei
ermittelt weiter. Es wurde eine Ermittlungsgruppe eingerichtet. Das Kommissariat sucht Zeugen, die rund um den Waldspielplatz Maulburg verdächtige Beobachtungen gemacht haben. Hinweise können rund um die Uhr unter Tel. 0761/8825990 abgegeben werden.