Jemand zu Hause? Sebastian Witter schaut am Habitatbaum nach oben. Der aufgesprühte Specht schützt beide: die mächtige Buche und ihren Bewohner. Foto: Urban

Reportage: Wie Habitatbaum-Gruppen und Refugien zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen / Im Totholz ist viel Leben

Kreis Freudenstadt. Seltsame Zeichen im Wald bei Kälberbronn: Eine große Buche taucht auf, an der mit pinker Leuchtfarbe ein Vogel gesprüht wurde. Auf den ersten Blick könnte man denken, hier hätten Graffiti-Sprayer ihr Unwesen getrieben. Aber das Farbzeichen ist amtlich und legal. "Das soll ein Specht sein", erklärt Sebastian Witter, der für Kälberbronn zuständige Forstrevierleiter, und lacht.

"Eine schöne Buche", kommentiert Julian Renz, der bei Forst BW für Waldpädagogik zuständig ist. "Gesund, stark, kerzengerade gewachsen. Im Normalfall würden wir sagen, dass der Baum hiebreif ist. Aber weil hier eine Spechthöhle ist, können wir ihn nicht fällen", sagt er. Der pinke Specht auf der Rinde schützt also beide vor der Motorsäge: die mächtige Buche und ihre Bewohner.

Wie Inseln im Forst

Diese Buche ist ein so genannter Habitatbaum. Das sind in der Sprache der Forstwirtschaft Bäume, die nicht mehr bewirtschaftet, sprich gefällt, werden. Sie bilden die Lebensgrundlage für seltene Tier- und Pflanzenarten und leisten damit einen großen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt. Pro drei Hektar Wald soll es eine Habitatbaum-Gruppe geben, das ist das Ziel der Forst BW.

Diese Gruppen sollen gleichmäßig auf die gesamte Waldfläche verteilt sein und als "Trittsteine" oder "Inseln" im Wald fungieren, zwischen denen dann ein Austausch stattfinden kann. Offiziell gibt es solche Baumgruppen erst seit zehn Jahren. "Aber der Grundgedanke des Bewahrens der natürlichen Abläufe im Wald steckt schon lange in der DNA der Förster", sagt Simon Stahl, Forstbezirksleiter im mittleren Schwarzwald.

Der Waldboden dort ist bedeckt mit Ästen und Totholz, die unter den schweren Wanderschuhen knacken und die Stille des Waldes durchbrechen. Witter deutet auf einen alten Baum, der rundherum mit blauen Wellenlinien angesprüht wurde. "Das ist ein Grenzbaum einer Habitatbaum-Gruppe", erklärt er. "Dahinten ist noch mal einer", ergänzt Renz und zeigt in die andere Richtung.

Koordinaten sind erfasst

Eine Habitatbaum-Gruppe besteht aus zehn bis 15 Bäumen, die einen Ring bilden. Innerhalb dieses Kreises wird der Wald sich selbst überlassen. "Es entsteht sozusagen ein Mini-Nationalpark", fasst Renz zusammen. Witter trägt die ganze Zeit ein Tablet in seinen Händen. "Die Baumgruppen sind mittels Koordinaten im System erfasst und farblich auf der Karte hervorgehoben." Nützlich ist das zum Beispiel für Waldarbeiter, damit sie nicht versehentlich in einer Habitatbaum-Gruppe arbeiten, aber auch für künftige Generationen ist die Dokumentation der Standorte wichtig.

Der Weg führt weiter durch den Wald, zwischen jungen, abgestorbenen Fichten, die an den Jacken entlangkratzen, und über Moos, Blätter und Äste hinweg, mitten ins Waldrefugium hinein. Wer’s gern ordentlich mag, wird sich wundern: Alles liegt voll abgebrochener Äste und Splitter abgebrochener Bäume.

Andere Zeitmaßstäbe

Dazwischen ragt ein geborstener Stamm wie ein Skelett in die Höhe, entrindet, dafür voller Löcher und Höhlen ringsum. "Ein Waldrefugium ist ein wilder Wald, in dem jegliche Bewirtschaftung eingestellt wurde", erklärt Renz. Es bewege sich in einer Größenordnung zwischen einem und zehn Hektar. Zum Vergleich: Der Nationalpark Schwarzwald ist 10 000 Hektar groß. Im Wald gelten andere Maßstäbe für Zeit. Wer sie lesen kann, dem erzählt er eine Geschichte vom Werden und Vergehen. "Alles, was wir im Wald tun, müssen wir über einen langen Zeitraum denken, über Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte", betont Renz. Alles orientiere sich am Prinzip der Nachhaltigkeit.

Kreislauf bleibt erhalten

Simon Stahls Hund bellt, und von irgendwoher hört man Motorsägengeräusche. Der Forstbezirksleiter erklärt, worum es bei den "Mini-Nationalparks" gehe: "Wir wollen lernen, wie sich die Wälder entwickeln, wenn wir sie einfach sein lassen, um zu sehen, was wir tun müssen. Wir wollen sie so behandeln, dass er aus sich heraus auf klimatische Ereignisse reagieren kann, ihn als Ökoreserve betrachten." Achtsam mit der Natur umgehen, Maß halten und nachhaltig wirtschaften, all diese Dinge haben sich die drei Männer zur Aufgabe gemacht, um den "kontinuierlichen Kreislauf" im Ökosystem Wald zu erhalten.