Ende 2017 soll das Werk des Reifenherstellers „Goodyear“ in Philippsburg geschlossen werden. 890 Beschäftigte sind betroffen. Foto: AP

Anfang der Woche wurde die Schließung des Reifenwerks von Goodyear in Philippsburg bekanntgegeben. In der nordbadischen Stadt herrschen nun Empörung und Fassungslosigkeit – es droht ein finanzieller „Super-Gau“.

Philippsburg - Im kommenden Jahr hätte das 1967 auf der „Grünen Wiese“ am Ortsrand von Philippsburg an den Start gegangene Reifenwerk des US-amerikanischen Konzerns Goodyear sein 50-jähriges Bestehen feiern können. Doch daraus wird aller Wahrscheinlichkeit nichts: Anfang der Woche hatte der deutsche Konzernsitz im hessischen Hanau die Schließung bekannt gegeben. In der nordbadischen Stadt überwiegt derzeit eine Stimmung von Wut und Fassungslosigkeit.

Aus heiterem Himmel und völlig überraschend hatte Jean-Claude Kihn, Präsident des Konzerns für die Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika, mitteilen lassen, das Werk „spätestens zum Ende des Jahres 2017 zu schließen“. Die Begründung in einer Mitteilung klingt eher technokratisch: Von einem „Einklang mit dem strategischen Fokus von Goodyear“ und der „wachsenden Nachfrage in den hochwertigen Segmenten“ ist die Rede. Übersetzt heißt das in etwa: mit Pkw-Reifen ist derzeit immer weniger Gewinn zu erzielen. Insider sprechen von einer Marge von etwa fünf Euro für einen Pkw-Reifen. Bei Reifen für Nutzfahrzeuge und Lkw liege dieser „deutlich im zweistelligen Bereich“, heißt es. Zudem gab es offenbar Absatzeinbrüche.

Für die Stadt Philippsburg ist die Entscheidung im hessischen Hanau – die vermutlich auf Vorgaben aus der US-Konzernzentrale in Akron, der südlich von Detroit und Cleveland im Bundesstaat Ohio gelegenen Stadt, zurück geht – so etwas wie eine mittlere Katastrophe. Bereits zwei Betriebsversammlungen hatte es diese Woche im Werk selbst gegeben – zudem am Mittwochabend eine „Spontan-Demonstration“ von mehreren hundert Mitarbeitern vor den Werkstoren der Produktionsstätte. „Wir werden kämpfen“, hatten die Mitarbeiter lauthals bekundet, und wutentbrannt gerufen: „Wir sind Goodyear“. Der Betriebsrat unter Leitung von Horst Haag und mit Beistand der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) hat zudem bereits mehrere Gesprächsrunden mit Vertretern des Rathauses und örtlichen Parlamentariern hinter sich, um „noch zu retten, was zu retten ist“.

„Goodyear“ ist mit 890 Beschäftigten der größte Arbeitgeber in Philippsburg

Auch Philippsburgs Bürgermeister Stefan Martus ist „empört über die Art des Vorgehens“: dabei gehe es doch um Menschen, Existenzen, um Familieneinkommen, sagt er. Die „ganze Struktur einer Stadt“ sieht er im Wanken. Derzeit ist Goodyear mit 890 Beschäftigten noch größter Arbeitgeber der Stadt – und mit Abstand größter Gewerbesteuerzahler. War bislang die 12 000 Einwohner-Stadt vor allem mit den zwei Kühltürmen der nur wenige hundert Meter nördlich der Besiedelung liegenden Kernkraftmeiler bekannt, steht nun ein großer Teil der Kommunalfinanzen auf dem Spiel. Mit Beschluss zur Abschaltung des Blocks 1 des Kraftwerks im Jahr 2011 sei „mit einem Schlag“ die Gewerbesteuer des Energiekonzerns EnBW „auf Null gesunken“, so Martus. Der Stadt droht nun – neben Wegfall der Arbeitsplätze – auch noch der finanzielle „Super-Gau“.

Nach der überraschenden Mitteilung vom Montag, über die Pläne zur Schließung des Reifenwerks, gab sich die deutsche Konzernzentrale von Goodyear in weiteren Mitteilungen im Laufe der Woche etwas moderater. Philippsburg sei „die geeignetste Option, vorhandene Überkapazitäten zu reduzieren“, sagt eine Sprecherin. Man stehe „unter einem hohen Wettbewerbsdruck durch Billigimporte aus Drittländern“. Eine Modernisierung des Standorts Philippsburg „wäre nicht die richtige Lösung“. Es gebe zudem „ausreichende Fertigungskapazitäten für Reifen in größeren Zollgrößen in unserem europäischen Produktionsverbund“. Wohin die Produktion der Reifen für Nutzfahrzeuge und Lkw verlagert werden soll – dazu gibt es derzeit keine Auskunft. Nach dem so genannten „Produktmix“ beträgt der Anteil der Reifen mit mehr als 17 Zoll Größen auch in Philippsburg schon seit geraumer Zeit rund 30 Prozent. Das bestätigt die Konzernleitung. „Seit zehn Jahren kämpft der Standort um einen besseren Produktmix“, sagt der Bürgermeister. Bislang offenbar vergebens.

Industriegewerkschaft und Betriebsrat wollen ein Alternativkonzept erarbeiten

Genau daran entzündet sich jetzt die Kritik der Gewerkschaften: Der Produktmix sei offenbar gezielt so vorgegeben worden, dass „in Philippsburg nahezu 70 Prozent der niedrig-zolligen Reifen produziert werden“, moniert Karsten Rehbein, Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE). Für ihn „sieht das nach einer entsprechenden Planung aus“. Eine Ausweitung der Produktion der Groß-Zoll Reifen wäre, sagte Rehbein, „ohne weiteres möglich“. Er kündigte jetzt an „gemeinsam mit dem Betriebsrat ein Alternativkonzept zu erarbeiten, um damit die Arbeitsplätze zu retten“. Er glaube, die getroffene Entscheidung erfolge „allein aus Gründen der Profitmaximierung.“ Insider sprechen davon, dass Goodyear in Philippsburg zuletzt bis zu zehn Prozent Marktanteile verloren habe. Bestätigen will das allerdings keiner.

Für den 8. November – dem Tag, an dem bei der US-Präsidentschaftswahl auch viele Menschen auf den so genannten „Swing State“ Ohio, mit der Stadt Akron, dem US-Konzernhauptsitz von Goodyear, schauen werden - hat die Hanauer Konzernzentrale laut Bürgermeister Martus eine öffentliche Gemeinderatssitzung in der Stadthalle von Philippsburg angekündigt: die Pressestelle von Goodyear spricht jetzt von „einem eröffneten Konsultationsverfahren mit der zuständigen Arbeitnehmervertretung“. Die Planung zur Schließung des Werks scheint damit noch nicht endgültig in Stein gemeißelt zu sein.