Die Kriegsschäden in der Ukraine sind immens. Für die Zeit des Wiederaufbaus gibt es inzwischen Hilfsangebote zuhauf – aber auch Konkurrenz unter den Geldgebern.
Mit jedem Raketeneinschlag, jeder explodierenden russischen Granate werden in der Ukraine Menschen gefährdet, verletzt oder gar getötet – aber auch immense Vermögenswerte zerstört. Allein wäre das Land mit dem Wiederaufbau überfordert. Längst wird über einen „neuen Marshallplan“ diskutiert, um Investitionsmittel zu mobilisieren, mit denen die Kriegsschäden beseitigt und der Ukraine eine neue Zukunft finanziert werden können.
Wie hoch sind die Schäden?
Die Schätzungen dazu ändern sich fast täglich. Mehr als 15 000 mehrgeschossige Wohnblocks und 120 000 Einfamilienhäuser wurden schon beschädigt, dazu viel Infrastruktur. Im Herbst hatte die Weltbank von einem Finanzbedarf für den Wiederaufbau von 750 Milliarden Dollar gesprochen. Inzwischen seien sicherlich ein paar Hundert Milliarden hinzugekommen, sagte Jürgen Rigterink von der Osteuropabank EBRD jüngst. Der Schweizer Militärökonom Marcus Keupp hat die Kosten des Wiederaufbaus auf 800 Milliarden Dollar beziffert.
Wer zahlt?
Bei einer Wiederaufbau-Konferenz in Lugano wurde mit Zuschüssen von befreundeten Staaten in Höhe von 250 bis 300 Milliarden Dollar kalkuliert, 200 bis 300 Milliarden Dollar an Krediten und mehr als 250 Milliarden Dollar von privaten Investoren. Larry Fink, Chef der US-Investmentgesellschaft Blackrock, meint: Es stünden genügend Kapitalanleger bereit, um die Ukraine mit Geld „zu fluten“.
Muss Moskau Schadenersatz leisten?
Das ist umstritten. „Russland muss den Wiederaufbau mitfinanzieren“, sagte Kanadas Finanzministerin Chrystia Freeland beim Weltwirtschaftsforum in Davos. In ihrem Land gibt es bereits ein Gesetz, das es erlauben würde, eingefrorenes russisches Vermögen zu beschlagnahmen. In Europa ist das anders. Es gibt hohe juristische Hürden, bevor auf die von der EU per Sanktion blockierten 300 Milliarden Euro Devisenreserven der russischen Zentralbank zugegriffen werden könnte. Juliane Kokott, deutsche Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof, hielte das für „nicht gerechtfertigt“. Die EU-Kommission prüft einen eventuellen Zugriff seit geraumer Zeit. Ersatzweise könnte das Geld als Treuhandfonds angelegt werden, dessen Zinsen als Zuschüsse in den Wiederaufbau fließen könnten. Im Völkerrecht gilt das Prinzip der Staatenimmunität, das besagt, dass kein Staat über andere souveräne Staaten zu Gericht sitzen (geschweige denn im Vorgriff auf ein Urteil Strafen verhängen) darf. „Putin und seine Entourage sollten die Rechnung bekommen“, hatte die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang unlängst in einem Interview erklärt. „Juristisch ist das nicht leicht, gerecht wäre es allemal.“
Taugt der Marshallplan als Blaupause?
Der Marshallplan, benannt nach dem US-Außenminister George C. Marshall (1888 bis 1959), war ein Wirtschaftsförderprogramm, mit dem die USA den europäischen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ankurbeln wollten. Zwischen 1947 und 1951 flossen 13 Milliarden Dollar an Hilfsmitteln nach Europa, 130 Milliarden nach heutiger Kaufkraft. Ein Großteil des Geldes wurde als Importhilfen für US-Waren verwendet, der Rest als Investitionszuschüsse. Am meisten profitiert hatten damals Großbritannien (25 Prozent), Frankreich (20 Prozent), Italien (elf) und Deutschland (zehn).
Nach einer Studie der George Washington University haben die USA den Wiederaufbau in Afghanistan mit 100 Milliarden Dollar gefördert, in den Irak sind demnach 60 Milliarden geflossen. Der Aufbau Ost nach dem Mauerfall hat nach Schätzungen diverser Wirtschaftsinstitute ein bis zwei Billionen Euro an öffentlichen Mitteln verschlungen. Die Entwicklungshilfe sämtlicher Industriestaaten weltweit summiert sich laut OECD auf 185 Milliarden Dollar im Jahr.