Fahrer Yusuf Köse wartet mit dem Sammeltaxi VVS-Rider am Bahnhof Geislingen auf Fahrgäste. Foto: /Andreas Geldner

Das beliebte Deutschlandticket soll teurer werden. Denn noch nie waren Bus und Bahn finanziell so bedroht. Wir beleuchten, wie die Rettung des öffentlichen Verkehrs gelingen könnte – und wo die Schmerzgrenze beim Preis fürs Deutschlandticket liegt.

Für den 16-jährigen Stefan aus Deggingen hat die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs schon begonnen. Nach dem Unterricht steigt er vor dem Schulgebäude in den schwarz-orangenen Kleinbus, der ihn von Geislingen nach Hause bringt. Ein paar Meter voraus biegt ein weiterer achtsitziger Minibus, voll besetzt mit Mitschülern, auf eine andere Route ab. „Wenn die Schule vorbei ist, gibt es keinen Linienbus – der fährt nur jede Stunde“, sagt Stefan.

 

VVS experimentiert mit Sammeltaxis

VVS-Rider heißt das Sammeltaxi, das seit Ende 2023 im Kreis Göppingen flexible Fahrten per Anmeldung verspricht – zum Nahverkehrstarif. Für Stefan ist es bis zu einer Dreiviertelstunde schneller, wenn man die kürzere Wartezeit einbezieht. „Den Rider nehme ich inzwischen vier bis fünf Mal die Woche,“ sagt er.

Er sitzt heute mit einem anderen Fahrgast im Fahrzeug. Der ist Richtung Göppingen zu einer Klinik unterwegs und muss einen zehnminütigen Umweg in Kauf nehmen, damit der Schüler unterwegs abgesetzt werden kann.

Fahrer Yusuf Köse muss den Fahrgästen noch Feinheiten des Angebots beibringen. „Sie können entweder fürs Abholen oder ihre Ankunft eine Wunschzeit angeben“, sagt er. An einem oder dem anderen Ende der Fahrt muss man eine halbe Stunde flexibel sein. Doch kaum nutzten Jugendliche intensiv das Angebot, gab es Ärger: Eigentlich soll die Buchungs-App die Nutzer erst auf den normalen Bus lenken, sofern man nicht mehr als dreißig Minuten warten muss. Hier soll nachgebessert werden.

Nahverkehr braucht neue Ideen

Sammeltaxis könnten einspringen, wenn eine Buslinie zu teuer ist. Und sie könnten Anschlüsse verlässlicher machen, weil man auf vorangemeldete Reisende warten kann. „Ob das unterm Strich billiger ist, das ist schwer zu sagen, da auch hier Personalkosten anfallen, egal ob die Fahrzeuge unterwegs sind oder auf Buchungen warten,“ sagt Ulrich Weber, Geschäftsführer der Landesgruppe Baden-Württemberg im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV).

Gerade haben die Länder-Verkehrsminister angekündigt, dass der Preis von 49 Euro beim Deutschlandticket 2025 nicht zu halten ist. Doch es bräuchte auch neue Ideen, wie der Nahverkehr mit begrenzten Mitteln besser werden kann. „Ein großes Thema ist die Zuverlässigkeit“, sagt Weber. Doch mehr Zeitpuffer, realistische Umsteigezeiten, Reserven – das braucht Fahrzeuge und Personal. Die Fahrgäste tolerieren vielleicht dafür auch einmal einen dünneren Fahrplan. Sofern sie sich dann auf ihn verlassen können.

Auf den Schienen ist so oder so kaum noch Platz. „Neue Züge bieten aber auch neue Möglichkeiten“, sagt Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). In der für Stuttgart 21 vom Land bestellten neuen Zugflotte wird es etwa Triebwagen geben, die einstöckige und doppelstöckige Waggons kombinieren. Auf gleicher Zuglänge und an denselben Bahnsteigen sind so mehr Sitzplätze möglich.

Wirtschaft in der Pflicht?

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sieht dank des einfachen Deutschlandticket-Tarifs Sparpotenzial bei den Verkehrsverbünden. Die dadurch angestoßene Digitalisierung könnte auch Fahrkartenautomaten überflüssig machen. Andererseits ist die monatliche Kündigungsmöglichkeit teuer.

VDV-Geschäftsführer Weber sieht die Wirtschaft stärker in der Pflicht. „Für attraktive Arbeitgeber sollte es selbstverständlich werden, einen Zuschuss zum Deutschlandticket anzubieten“, sagt er. Durch Jobtickets gewonnene Nutzer brächten mehr Geld. Auch Mobilitätsbudgets statt Dienstwagen seien hilfreich. Und wenn der Staat Subventionen für das Auto wie das Dienstwagenprivileg abbaue, würde das Mittel freisetzen.

Suche nach neuen Geldquellen

Oder braucht es, wie Verkehrsminister Hermann meint, ganz neue Finanzierungsinstrumente? Der von ihm propagierte Mobilitätspass würde den Kommunen eine Geldquelle jenseits von Steuern, Zuschüssen und Fahrgeldeinnahmen eröffnen. Angedacht sind eine Nahverkehrsabgabe für Einwohner oder Kfz-Besitzer, eine City-Maut oder eine Arbeitgeberabgabe. Dafür gäbe es für jeden, der einzahlt, ein Ticket für den Nahverkehr, wie bei den aus studentischen Beiträgen finanzierten Semestertickets. Doch die Begeisterung der Kommunen für neue Belastungen der Bürger ist gering.

Wo liegt die Schmerzgrenze beim Preis?

Am Ende führt an einer deutlichen Preissteigerung des Deutschlandtickets kein Weg vorbei. Der niedrige Einführungspreis war vor allem nötig, um den Tarifdschungel zu lichten. Eine aktuelle Studie des Fraunhofer-Instituts zeigt dabei, dass den Nutzern weniger die deutschlandweite Gültigkeit wichtig ist, sondern dass sie regional nicht auf Tarifzonen schauen müssen. Die Schmerzgrenze beim Preis liegt laut Studie bei etwa 75 Euro.

Es gäbe eine Vision: Erst eine Zusage von Bund und Ländern, dass sie den Zuschuss fürs Deutschlandticket weiterzahlen. Und dann eine Entscheidung, wie dessen Preis an die Kostenentwicklung bei Bus und Bahn gekoppelt werden kann. Ergänzt würde das mit günstigen Sozial- und Jugendtickets. Im Idealfall würde der Zusatzerlös in ein besseres Angebot fließen – wie bei der Maut. VDV-Experte Weber hält das politisch aber für heikel: „Kein Politiker lässt sich beim Geld gerne das Heft aus der Hand nehmen.“

Diskussionsrunde

Diskussion
„Mobilitätswende ausgebremst?“ Unter dieser Fragestellung lädt die Zeitungsgruppe Stuttgart Leserinnen und Leser am Mittwoch, 17. Juli um 18 Uhr im Pressehaus Stuttgart, Plieninger Straße 150 zu einer Diskussion über die Zukunft von Bus und Bahn. Sie findet in Kooperation mit dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und DB Regio statt. Das Deutschlandticket hat die Tarife revolutioniert – doch nun streitet die Politik ums Geld. Wo drückt die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs der Schuh? Was sind mögliche Lösungen?

Gäste
Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) wird sich zusammen mit VVS-Geschäftsführer Thomas Hachenberger in einer ersten Runde den Erfahrungen von Fahrgästen stellen. Anschließend diskutieren mit ihm auf dem Podium Vertreterinnen und Vertreter des VDV, der Deutschen Bahn, der Wirtschaft und der Kommunen.

Anmeldung
Interessierte können sich ab sofort unter dem Link www.zeitung-erleben.de/mobil online anmelden. Es gibt hier auch die Gelegenheit, an einer Umfrage zum Thema öffentlicher Nahverkehr teilzunehmen – unabhängig von einer Teilnahme an der Veranstaltung. Die Plätze sind begrenzt.