Mit dem Deutschlandticket ist die Fahrkartenkontrolle in den Bussen schwierig geworden. Foto: WBO

Das Deutschlandticket ist populär. Doch noch nie waren Bus und Bahn in Deutschland finanziell so bedroht. Wie kommt der öffentliche Verkehr aus der Sackgasse? Folge zwei: Ein System an der Schmerzgrenze.

Vielleicht würde es das Finanzloch im Nahverkehr schon ein wenig stopfen, wenn Fahrgäste wenigstens bezahlen würden. „Ich schätze, dass seit dem Deutschlandticket bei uns so etwa 20 bis 30 Prozent der Fahrgäste schwarzfahren“, sagt Franz Schweizer, mittelständischer Busunternehmer aus Freudenstadt.

 

Mit der Einführung des Deutschlandtickets hat man sich von einer effektiven Fahrkartenkontrolle im Busverkehr verabschiedet. Es fehlt in den meisten Bussen in Deutschland an der Technik, um etwa Chipkarten zu überprüfen. „Es sollte das Ganze ja unbedingt nur digital geben“, sagt Schweizer. Der Frust bei seinen Busfahrern über diesen Missbrauch, dem sie hilflos zusehen müssen, sei groß, sagt der Busunternehmer.

Blindflug bei den Finanzen

„Ich bin im Blindflug“, sagt Schweizer, der seine Linien eigenwirtschaftlich und nicht im Rahmen eines Verkehrsvertrages betreibt. Seit Monaten befinde man sich bei den Ausgleichszahlungen für das Deutschlandticket in einer absoluten rechtlichen Grauzone, weil Bund und Länder sich nicht einigen. „Wie in einer Bananenrepublik“, sagt der Unternehmer, der für die CDU im Kreistag sitzt.

Haftbar sind am Ende Kommunen und Landkreise. Sie müssen aus ihren Haushalten die Rechnung begleichen. „Andernfalls wird mir nichts anderes übrig bleiben, als Fahrten zu streichen“, sagt der Unternehmer. Und das betreffe dann nicht nur Randzeiten, sondern auch wenig ausgelastete Verbindungen im Schülerverkehr. Solche Streichungen wären laut Yvonne Hüneburg, Geschäftsführerin des Verbandes baden-württembergischer Busunternehmer (WBO) eine Katastrophe: „Fahrgäste, die Sie deshalb verlieren, sehen Sie nicht so schnell wieder“, sagt sie. „Sie müssen auf dem Land die Leute ja letztlich davon überzeugen, dass sie ein Auto weniger anschaffen“, sagt sie. Dafür brauche es Verlässlichkeit, die wichtiger sei als der Preis. Hüneburg glaubt dennoch nicht an eine baldige Lösung im Finanzstreit: „Niemand will eine dauerhafte Verpflichtung eingehen.“

Jede Streichung vergrault Fahrgäste

Vier Milliarden Euro – dieses Defizit in der Kasse der Verkehrsunternehmen sagt der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) für dieses Jahr voraus. Es addiert sich aus steigenden Kosten etwa bei Löhnen und Energie sowie aus weggebrochenen Fahrgeldeinnahmen. Eigentlich hatte der Bund versprochen, 2023 nicht verbrauchtes Geld für das Deutschlandticket auf 2024 umzubuchen. Doch nicht einmal das ist bisher geschehen.

Schwarze-Peter-Spiel von Bund und Ländern

„Die Befürchtung der Branche ist, dass das Bundesfinanzministerium diese Zusage blockiert, weil man jetzt jeden Euro benötigt“, sagt ein Sprecher des VDV. Und so geht der Poker weiter: Die Länder wollen nur zahlen, wenn der Bund sich verpflichtet.

Der 1. Oktober könnte zum Tag der Wahrheit werden: Die Bundesländer müssen dann den Tarif neu genehmigen. „Damit wäre das Deutschlandticket de facto am Ende, denn dann gäbe es im schlimmsten Fall Bundesländer, in denen es dieses Ticket nicht mehr gäbe“, heißt es beim VDV. Doch die Wut der Bürger will wohl niemand riskieren. Selbst FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner denkt nur an einen höheren Preis. Hinter die radikale Tarifvereinfachung, die das Ticket gebracht hat, will niemand zurück.

Die Schraube zu sehr angezogen

Zudem lauern massive Strukturprobleme. Vor zehn Jahren hatte die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg einen massiven Ausbau den Schienennahverkehrs beschlossen. Auf allen Strecken sollte etwa von morgens bis spätabends jede Stunde ein Zug fahren. Lange profitierte man davon, dass ein für die Bahnen teils ruinöser Ausschreibungswettbewerb die Preise niedrig hielt.

Der binnen eines Jahrzehnts um ein Viertel gesteigerte Regionalverkehr überlastet die Infrastruktur, die tief im Sanierungsstau steckt. „Im Streben nach mehr Angebot auf der Schiene stoßen wir an den Rand der Leistungsfähigkeit des maroden Systems“, sagt Verkehrsminister Winfried Hermann.

Die zusätzliche Nachfrage durch das Deutschlandticket lässt sich nur deshalb verkraften, weil sie sich anders verteilt als vor Corona: Der morgendliche Pendlerverkehr ist dank Homeoffice nicht mehr so angespannt. Dafür klemmt es im Freizeitverkehr.

Vorhandenes Angebot gefährdet

Das Land will die Fahrgastzahlen bis 2030 noch einmal kräftig steigern. Doch jenseits einer deutlichen Kapazitätsausweitung rund um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 sind in größerem Maßstab ausgebaute Schienenkapazitäten nicht in Sicht. Das bräuchte zusätzliche Investitionen. Rund um Stuttgart sei die Taktung bereits heute sehr gut und werde mit Stuttgart 21 an einigen Stellen nochmals besser, sagt Hermann: „Daher wird es künftig weniger um Taktverdichtungen gehen, sondern mehr darum, durch längere Züge mehr Kapazitäten anzubieten.“

Doch selbst das vorhandene Angebot ist nicht gesichert. Zwar hat der Bund bei den Mitteln für den von den Ländern organisierten Schienennahverkehr draufgesattelt. Doch das gleicht die Kosten nicht aus. Die Finanzlücke durch das Deutschlandticket kommt nun hinzu. Wenn Berlin nicht mehr Geld überweise, „sind durchaus relevante Abbestellungen im gesamten Land ab dem Fahrplanjahr 2026 nicht ausgeschlossen“, sagte Landesverkehrsminister Hermann schon Ende des vergangenen Jahres.

Leserforum mit Verkehrsminister Hermann

Diskussion
„Mobilitätswende ausgebremst?“ Unter dieser Fragestellung lädt die Zeitungsgruppe Stuttgart Leserinnen und Leser am Mittwoch, 17. Juli um 18 Uhr im Pressehaus Stuttgart, Plieninger Str. 150 zu einer Diskussion über die Zukunft von Bus und Bahn. Sie findet in Kooperation mit dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und DB Regio statt. Das Deutschlandticket hat die Tarife revolutioniert – doch nun streitet die Politik ums Geld. Wo drückt die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs der Schuh? Was sind mögliche Lösungen?

Gäste
Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) wird sich zusammen mit VVS-Geschäftsführer Thomas Hachenberger in einer ersten Runde den Erfahrungen von Fahrgästen stellen. Anschließend diskutieren mit ihm auf dem Podium Vertreterinnen und Vertreter des VDV, der Deutschen Bahn, der Wirtschaft und der Kommunen.

Anmeldung
Interessierte können sich ab sofort unter dem Link www.zeitung-erleben.de/mobil online anmelden. Es gibt hier auch die Gelegenheit, an einer Umfrage zum Thema öffentlicher Nahverkehr teilzunehmen – unabhängig von einer Teilnahme an der Veranstaltung. Die Plätze sind begrenzt.