Netzengpässe verhindern immer wieder, dass billiger Windstrom vom Norden in den Süden gelangt. Der günstige Preis kommt aber an. Das ist ein Problem. Die Lösung auch.
Nutzer der Warn-App StromGedacht erhalten regelmäßig Meldungen, sie sollten zu bestimmten Zeiten ihren Stromverbrauch drosseln. Der Grund dafür waren bisher immer Netzengpässe, die verhinderten, dass zuhauf vorhandener Windstrom aus Norddeutschland in den Süden gelangte. Aus physikalischen Gründen muss dann im Süden die Nachfrage reduziert und/oder mehr Strom produziert werden. Weil der Windstrom aber den Preis am Spotmarkt so senkt, springen gleichzeitig die Pumpen von Wasserspeicherkraftwerken an und konterkarieren die Notwendigkeiten der Physik. Das ist natürlich widersinnig. Was dagegen helfen würde, wäre, Deutschland in mehrere Strommärkte aufzuteilen. Doch dagegen gibt es Widerstände.
Das Beispiel 10. Februar
Den vorletzten Sparaufruf versandte die Transnet-BW-Warnapp StromGedacht in der Nacht zu Freitag, 10. Februar. Zwischen 11 und 13 Uhr sollten die Baden-Württemberger möglichst viel Strom sparen, so der Aufruf. Zwar wehte im Norden der Republik eine steife Brise, aber der so erzeugte billige Strom konnte nur zum Teil in den Süden transportiert werden, weil die Kapazität des Netzes dafür nicht ausreichte. Das ist ein Problem, denn um die europaweit einheitliche Netzfrequenz bei 50 Hertz zu halten, muss das gesamte Netzgebiet austariert sein. Deshalb werden im Norden Erneuerbare-Energien-Anlagen herunterreguliert und wird im Süden sogenannte Redispatch-Leistung, in diesem Fall Strom aus der Schweiz, hinzugekauft. Die Kosten dafür werden von den zuständigen Übertragungsnetzbetreibern auf die Netzentgelte und damit auf die Verbraucher umgelegt.
Der Preis
So viel Wind im System hat auch Auswirkungen auf den Preis, denn Windstrom ist billig. An der Strombörse für kurzfristige Geschäfte, der Epex Spot in Paris, sank entsprechend der Preis für die Megawattstunde in Deutschland deutlich, was den Einsatz konventioneller Kraftwerke unrentabel macht. Gleichzeitig aber war der Strompreis attraktiv, um mithilfe von Strom die Speicherbecken von Pumpspeicherkraftwerken zu füllen. Die Marktdaten für den 10. Februar zeigen, dass in den beiden Stunden zwischen 11 und 13 Uhr zeitweise mehr als 500 Megawatt Leistung von solchen Kraftwerken genutzt wurden. Genau zu dem Zeitpunkt, als die Baden-Württemberger dazu aufgerufen waren, Strom zu sparen. Und mehr als 500 Megawatt an Ausgleichsleistung, sogenannter Redispatch, aus der Schweiz importiert werden mussten, um die Netzspannung aufrechtzuerhalten.
Das Problem
Kurz gesagt: Der Stromüberfluss kommt aus physikalischen Gründen nicht vollständig in Süddeutschland an, wohl aber der dadurch verursachte niedrige Preis. Und der wiederum lässt Anlagen anspringen, die gezielt Zeiten nutzen sollen, in denen Strom im Überfluss da ist. Im Moment sind das vorwiegend und lediglich Pumpspeicherkraftwerke, in Zukunft aber sollen auch Waschmaschinen, Ladegeräte für E-Autos oder auch Elektrolyseure zur Herstellung von Wasserstoff dann Strom nutzen, wenn der Preis niedrig ist, also einen Stromüberfluss anzeigt. „Das ergibt ja auch Sinn“, sagt Christoph Maurer, Energiemarktexperte und Miteigentümer des Beratungsunternehmens Consentec. „Aber es macht natürlich keinen Sinn, wenn der billige Strom nicht dorthin gelangt, wo er verbraucht wird, und stattdessen teure Ausgleichsleistung beschafft werden muss.“
Die Lösung
Eine Lösung wäre ein massiver weiterer Ausbau des Netzes. „Die hoffentlich Ende der 2020er fertig gestellten Gleichstromleitungen basieren auf Bedarfsplanungen von vor zehn Jahren. Seither ist viel passiert“, sagt Lion Hirth, Energieökonom und Energiepolitikprofessor an der privaten Hochschule Hertie School in Berlin. Er hält es für unrealistisch, das Netz so auszubauen, dass es mit den seither massiv erhöhten Ausbauzielen jederzeit mithalten kann. Die andere Lösung bestünde darin, den einheitlichen deutschen Strommarkt so aufzuteilen, dass er Engpässe berücksichtigt. Das könnte beispielsweise eine Teilung in einen norddeutschen und einen süddeutschen Markt bedeuten. Offshore-Windstrom würde dann nur im Norden verkauft werden und in den Süden maximal exportiert werden, wofür dann aber auch die Netzkapazitäten frei sein müssen.
Die Folgen
„Dann würden sich Preise bilden, die tatsächlich Knappheit oder Überfluss an Strom abbilden“, erklärt Energieexperte Hirth. Im Klartext: Weht im Norden viel Wind und im Süden ist es bewölkt, wäre Strom in der Nordhälfte relativ günstig und im Süden teurer. Scheint die Sonne und im Norden herrscht Flaute, wäre es umgekehrt. „Im Schnitt wäre Elektrizität im Süden wahrscheinlich aber teurer als im Norden“, so Hirth. „Das sind wir nicht gewohnt. Aber als Ökonom sage ich: Preise müssen die Verfügbarkeit eines Guts reflektieren. In Ecuador sind Bananen auch leichter verfügbar und entsprechend billiger als in Deutschland.“
Die Preisdifferenz
Bis 2018 gehörte auch Österreich zur deutschen Gebotszone, dann wurde die Alpenrepublik wegen Engpässen abgetrennt und ist seither ein eigener Strommarkt. Anfangs, so berichtet Johannes Mayer, der Leiter der Volkswirtschaftsabteilung der österreichischen Regulierungsbehörde E-Control, habe der kurzfristige Börsenstrompreis in Österreich sieben bis neun Euro pro Megawattstunde über dem deutschen gelegen, dann sei die Differenz auf 2,50 Euro gesunken. Mit der zunehmenden Energiekrise habe die Spreizung aber auf bis zu 25 Euro zugenommen. Das entspricht pro Kilowattstunde 2,5 Cent. Die österreichischen Verbraucherpreise liegen laut Mayer dennoch unter den deutschen. Allerdings ist die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland auch höher. Aktuelle Prognosen, mit welchen Auswirkungen bei einer Gebotszonenteilung in Deutschland zu rechnen wäre, gibt es nicht.
Die Industrie
In Schweden, Norwegen, Dänemark und Italien gibt es bereits mehrere Preiszonen. Hier sind die Unterschiede im kurzfristigen Handel teils immens: Ende Februar kostete die Megawattstunde in Nordschweden am Spotmarkt gut 27 Euro, während im Süden fast 128 Euro zu zahlen waren. Allerdings befinden sich die schwedischen Wasserkraftwerke auch vorwiegend im Norden – eine Massierung von günstiger, relativ wetterunabhängiger Erzeugung, die es in Deutschland so nicht gibt. Die Folge: „Es ist zu beobachten, dass die energieintensive Industrie in den schwedischen Norden zieht“, sagt Energieexperte Hirth. „Facebook hat beispielsweise ein riesiges Rechenzentrum in Nordschweden gebaut, und es gibt Pläne, grüne Stahlerzeugung dort anzusiedeln.“ Gemeint sind damit Stahlwerke, die mit aus erneuerbaren Energien erzeugtem Wasserstoff statt Gas betrieben werden.
Die Politik
Entsprechend wenig beliebt ist die Idee, Deutschland in zwei Märkte aufzuteilen, in der deutschen Politik. Vor allem in Bayern und Baden-Württemberg sind die Widerstände groß. So bescheidet das Umweltministerium in Stuttgart etwa: „Wir lehnen getrennte Strompreiszonen in Deutschland ab. Das ist vor allem in der derzeitigen Situation ein völlig falscher Vorstoß, weil solche Debatten zu weiterer Verunsicherung der Menschen und der Unternehmen führen.“ Auch die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sich stets energisch gegen eine Preiszonenaufteilung in Deutschland aus. Im Rahmen der vor wenigen Tagen angestoßenen Plattform klimaneutrales Stromsystem wird das Thema nun aber immerhin als eine von mehreren Möglichkeiten diskutiert. Allerdings bröckelt die Solidarität der norddeutschen Länder, unter denen Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen im Herbst vergangenen Jahres den Aufstand probten und eine Gebotszonenteilung verlangten. Vor allem mit dem Hinweis, dass schließlich Bayern den Netzausbau jahrelang behindert habe.
Die Regulierung
Anders als in Deutschland geht die EU offen mit der Aufteilung von Strommärkten um. Aktuell läuft zum zweiten Mal die Überprüfung der europäischen Marktzuschnitte unter Führung der Agentur der europäischen Regulierungsbehörden. Für Deutschland werden mehrere Modelle mit zwei bis fünf Preiszonen geprüft. Eine Entscheidung soll im August 2024 fallen. Bindend ist diese nicht.