Anblicke für Götter: 1) Lemberg, höchster Berg der Schwäbischen Alb, mit Wilflingen, an seinem Fuße hingeschmiegt (unteres Bild). – 2) Wellendingen im Mai: Blick vom Altberg auf Kirche und Rathaus (oberes Bild). Paradiesische Zustände. Sie werden allzeit – im Gemeinderat – angestrebt. Foto: Schwarzwälder Bote

Kommunalwahl: Informationen zur unechten Teilortswahl / Im Juni und eventuell im Juli ein Thema

Wellendingen gehört zu einer Gruppe in Baden-Württemberg mit stetig sinkender Zahl: nämlich zu den Gemeinden mit unechter Teilortswahl. Ob die Gemeinde dieses Schiff im Sommer verlässt, entscheidet demnächst der Gemeinderat. Fachlichen Rat wurde ihm unlängst von einer Expertin zuteil.

Wellendingen. Im Zusammenhang mit der unechten Teilortswahl, einer Spezialität des "Ländle", stellen sich etliche Fragen, die eine Fachfrau des Gemeindetags aufgriff und die Ratsmitglieder mit Informationen versorgte.  Unechte Teilortswahl: Sie betrifft die Gemeinderatswahl. Kommt also im Mai 2019 zum Tragen – oder auch nicht mehr. Sie besagt, dass Bewerber in den Wahlvorschlägen getrennt nach Wohnbezirken aufzuführen seien: Bewerbungen aus dem Wohnbezirk Wellendingen und Bewerbungen aus dem Wohnbezirk Wilflingen. Nach dem derzeitigen Stand der Hauptsatzung, quasi dem Grundgesetz der Gemeinde, neun Sitze für Wellendingen und fünf für Wilflingen.  Historie: Sie ist im Zusammenhang mit der Gemeindereform Anfang/Mitte der 70er-Jahre entstanden. Gemeinden, die ihre Selbständigkeit verloren, wollten die Gewähr einer direkten und repräsentativen Beteiligung. Sie ist jedoch nicht automatisch auf Dauer vorgesehen. Deshalb soll dieser Passus vor jeder Kommunalwahl überprüft werden: einerseits die Verteilung der Sitze, andererseits die unechte Teilortswahl an sich.  Statistik: Laut Statistik sind bei der 2014er-Kommunalwahl von den 1101 Gemeinden des Bundeslandes noch 438 solche mit unechter Teilortswahl. Diese Zahl ist seit 1989 rückläufig. 1989: 680, 1994: 637, 1999: 596, 2004: 537, 2009: 483 und eben 2014: 438. In Prozent: 39,8.  Besonderheiten und Fallstricke: Die gibt es zweifelsohne. Hier eine Auswahl. Erstens: Zulässig sind nur Bewerber, die im jeweiligen Wohnbezirk wohnen. Die Fachfrau merkte an, dass dieser Fakt die Bewerberakquise erschweren könnte. Zweitens: Die Zahl der Bewerber eines Wahlvorschlags ist durch die Zahl der festgelegten Vertreter in den einzelnen Wohnbezirken begrenzt. Nur ein Beispiel: Die Bürgerliste Wellendingen durfte bisher nicht mehr als neun Bewerber aufstellen. Drittens: Sicher ein Fallstrick. Der Wähler kann – über alle Wahlvorschläge hinweg – nur so vielen Bewerbern Stimmen geben, wie Vertreter für den jeweiligen Wohnbezirk zu wählen sind. Ein Beispiel: Der Wilflinger Wähler kann nur fünf Wilflinger Bewerbern Stimmen geben (auch wenn es 14 geben sollte). Noch ein Beispiel: Der Wellendinger Wähler kann nur neun Wellendinger Bewerbern Stimmen geben (auch wenn es 14 geben sollte). Von den 14 Stimmen, die er hat, darf er einer Person maximal drei geben. Folge: Bei Nichtbeachtung dieser Vorschrift ist die Stimmabgabe für alle Bewerber des betreffenden Wohnbezirks ungültig.

Dass dies nicht einfach ist, beweist die Zahl der ungültigen Stimmen. Auch hier eine landesweite Statistik: In Gemeinden mit unechter Teilortswahl wurden das letzte Mal 4,6 Prozent ungültige Stimmen notiert – in der Gemeinde Wellendingen gar 5,65 Prozent – und in Gemeinden ohne unechte Teilortswahl lediglich 2,3 Prozent.  Systembedingte Folgen: Die Referentin spricht einige an. Eine gewisse Bedeutung haben sicherlich die Punkte: Vergrößerung des Gemeinderats durch Ausgleichssitze. Derzeit gibt es in Wellendingen 16 Ratsmitglieder (statt 14); beide "Überhangmandate" nehmen Bewerber der Bürgerliste Wellendingen ein. Aber auch das komplizierte Wahlsystem wird genannt. Ebenso die Erhöhung der ungültigen Stimmen. Und: Die Wahlchancen der Bewerber Kernort und Teilort seien ungleich.  Aufhebung der unechten Teilortswahl: Dies kann nur der Gemeinderat mit der Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder, im Falle von Wellendingen also neun der 17 (16 Gemeinderäte plus Bürgermeister); die Mehrheit der Anwesenden bei dieser Abstimmung reicht nicht aus.  Folgen: Zum einen natürlich die freie Bewerberwahl, also nicht mehr die ortsteilbezogene Akquise. Zum anderen: Der Wähler kann unter Beachtung der Gesamtstimmenzahl beliebig vielen Bewerbern aus einem Ortsteil Stimmen geben. Beispiel: Es müssten also nicht nur maximal neun Wellendinger mit den 14 Stimmen bedacht werden. Aber alles ist keine Einbahnstraße: Die Chance für den kleineren Ortsteil ist gleichfalls gegeben, mehr Sitze als die derzeit fünf zu erhalten. Maximal könnten sogar 14 Wilflinger in den Wellendinger Gemeinderat gewählt werden.  Motiv für die Abschaffung der unechten Teilortswahl: Eigentlich lediglich für die erste Zeit nach der Gemeindereform (zwei oder drei Legislaturperioden) gedacht, könnte zwischenzeitlich argumentiert werden, dass die Integration der Ortsteile abge-schlossen sei. Auf jeden Fall würde das Wahlverfahren vereinfacht werden.  Ortschaftsrat: Dieses Gremium hat mit der unechten Teilortswahl nichts zu tun. Konkret: Der Wilflinger Ortschaftsrat kann sich einzig und allein selber abschaffen.  Wie geht es im Wellendinger Gemeinderat weiter? In der Juni-Sitzung soll entschieden werden, wie es weiter gehen soll, gibt Bürgermeister Thomas Albrecht den Weg vor. Drei Varianten stehen zur Wahl. Erstens: Es bleibt, wie es ist: unechte Teilortswahl und die Sitzverteilung neun zu fünf. Zweitens: Es kommt ein Antrag auf Veränderung, der dann in der Juli-Sitzung entschieden werden soll. Nach Paragraph acht, Absatz drei: die Überprüfung der Sitzverteilung. Rein nach Bevölkerungszahl müsste sie zehn zu vier lauten; Wellendingen hat 2259 Einwohner, Wilflingen 901. Besondere örtliche Verhältnisse erlauben jedoch Abweichungen von der reinen Lehre. Darunter zählt ein ausgesprochen reges Vereinsleben. Oder eine spezielle Topographie. Nicht jedoch die Steuerkraft, wie von der Referentin auf Nachfrage zu erfahren war. Ein weiterer Aspekt: Die Abschaffung des Ortschaftsrats könnte mit einer höheren Zahl an Gemeinderatssitzen "ausgeglichen" werden.

Grundsätzlich – und davon unabhängig – wäre eine Verkleinerung oder Vergrößerung des Gremiums um ein oder zwei Ratssitze möglich. Drittens: Es kommt ein Antrag auf Veränderung, der dann in der Juli-Sitzung entschieden werden soll. Nach Paragraph acht, Absatz vier: Die unechte Teilortswahl, am 22. Juni 1973 beschlossen, wird abgeschafft.  Stimmung im Ratssaal: Diese etwa eineinhalbstündige Klausurtagung des Gemeinderats diente der Information und der Darlegung der verschiedenen Sichtweisen. Das Ziel, mit einer Wissenserweiterung nach Hause zu gehen, wurde erreicht.  Anmerkung: Zwischen den Gemeinderäten aus Wellendingen und Wilflingen geht es – doch, ja – grundsätzlich harmonisch zu. Unterschiedliche Sichtweisen gibt es schließlich selbst in der allerbesten Ehe. Wie der Bürgermeister anmerkt, dürfe aber nicht vergessen werden, dass Wellendingen eine Gemeinde mit Geld sei. Dies sei Fluch und Segen zugleich. Deutlich jedoch mehr Segen, so Albrecht. "Wir diskutieren über Themen, die andere Gemeinden nicht auf der Tagesordnung haben."