Der Bürgersaal in Wilflingen ist gut gefüllt, als Ortsvorsteher Andreas Muschal über die unechte Teilortswahl informiert und Anwesende zu Redebeiträgen ermuntert. Fotos: Pfannes Foto: Schwarzwälder Bote

Aufreger: Informationsveranstaltung zur unechten Teilortswahl gibt Einblick in die Seele Wilflingens

Der drohende Verlust der garantierten Anzahl von fünf Sitzen im Wellendinger Gemeinderat – dank der unechten Teilortswahl – mobilisiert die Wilflinger Bevölkerung.

Wellendingen-Wilflingen. Der Bürgersaal ist gut gefüllt. Annähernd 100 Personen, davon etwa zehn Prozent aus Wellendingen-Ort, besuchen die Informationsveranstaltung des Wilflinger Ortschaftsrats. Sehr viele demonstrieren Geschlossenheit. Mit Wortbeiträgen, teils sachlich angelegt, teils emotional. Mit Verve oder mit einem Tremolo in der Stimme. Mit Beifall, wenn ein Wilflinger oder ein "guter" Wellendinger spricht; mit Stille, wenn andere Wellendinger reden.

Die grundsätzliche Botschaft dieses Abend ist eindeutig: Wir, Wilflingen, wollen uns von Wellendingen nichts wegnehmen lassen. Die unechte Teilortswahl soll bei der Kommunalwahl im Mai 2019 weiterhin gelten. Wie seit beinahe 45 Jahren. Wie seit der Gemeindereform Mitte der 70er-Jahre.

Diese Botschaft nehmen die Gemeinderäte mit und können sie bei ihrer Entscheidung, die in der Oktober-Sitzung getroffen werden soll, einfließen lassen.

Damals im Juni

Zur Erinnerung: In der Juni-Sitzung erhielt der Antrag der Verwaltung, die unechte Teilortswahl zu belassen, keine Mehrheit. Die Abstimmung endete acht zu acht, ein Gemeinderat fehlte damals entschuldigt (wir haben berichtet). Dies bedeutet, dass die Hauptsatzung, die Verfassung der Gemeinde, eine entsprechende Änderung – Abschaffung der unechten Teilortswahl – erfahren soll. Und für diese Änderung sind neun Ja-Stimmen der insgesamt 17 erforderlich.

Ortsvorsteher Andreas Muschal, der die Informationsveranstaltung leitet, führt in die Thematik ein – die unechte Teilortswahl hat nichts mit dem Ortschaftsrat und dem Ortsvorsteher zu tun; beide können sich nur selber abschaffen. Die unechte Teilortswahl, die den kleineren Teilorten Sitze im Gemeinderat garantiert, wurde in Baden-Württemberg im Zuge der Gemeindereform eingeführt. Muschal nähert sich schnell den Knackpunkten.

Fünf Knackpunkte

Erstens: die Statistik. Laut Ortsvorsteher halten "weiterhin weit mehr als die Hälfte" der Gemeinden, die Mitte der 70er-Jahre mit unechter Teilortswahl gestartet sind, an ihr fest.

Zweitens: die Stimmenausschöpfung. 14 Stimmen hat der Wähler in der Gemeinde Wellendingen. Während Gegner angesichts einer Stimmenausschöpfung von knapp 80 Prozent argumentieren, Stimmen gehen verloren (Ohne unechte Teilortswahl gebe es eine Stimmenausschöpfung von 90 Prozent), können Befürworter mit einer bewussteren Vergabe der Stimmen dagegenhalten.

Drittens: Definitiv unbestritten ist dagegen, dass bei der unechten Teilortswahl die Anzahl der ungültigen Stimmen um etwa zwei Prozent höher liegt.

Viertens: Die Punkte der Befürworter einer Abschaffung im Wellendinger Gemeinderat (Bürgerliste und SPD-Fraktion) argumentieren – so hat es Andreas Muschal zusammengefasst – mit Gerechtigkeit, Transparenz und Zusammenwachsen. Er fragt sich jedoch, was gerecht sei. Schließlich habe ein Kandidat aus dem Hauptort bessere Chancen, in den Gemeinderat zu kommen, als ein Kandidat aus dem Teilort, selbst wenn beide auf der gleichen Liste stehen.

Er stellt fest, dass beide Seiten teilweise mit den gleichen Argumenten in die Diskussion ziehen, aber andere Schlüsse daraus ziehen.

Fünftens: das Zusammenwachsen. Für den Ortsvorsteher ist einerseits jede Gemeinde anders (Wellendingen und Wilflingen also nicht vergleichbar mit, zum Beispiel, Deißlingen und Lauffen). Und andererseits eine gute Partnerschaft – wie im privaten Bereich – eine sei, in der es Höhen und Tiefen gebe, man sich jedoch nach einem Streit wieder versöhne.

Er wertet die 40 Jahre mit Wellendingen als erfolgreiche Jahre für die Gesamtgemeinde. Er spricht davon, dass auf Dauer nur eine Partnerschaft auf Augenhöhe erfolgreich sei. Und er stellt fest, dass Wellendingen keinen Nachteil durch die unechte Teilortswahl habe. Dann haben Bürger das Wort.

Ethos eines Gemeinderats

Die Vielzahl der Wortbeiträge lassen – teilweise tief – in die Befindlichkeit der Anwesenden blicken. So gibt es in Wilflingen "notorisch das Gefühl", man werde benachteiligt, wie Oliver Angst formuliert. So sagt Siegfried Muschal, dass man die Einheit nicht von oben diktieren könne, dass eine Abschaffung Ärger und Streit bringe und die Leute mitnichten zusammen. Und so stellt Thomas Meyer fest, dass ihm kein Fall bekannt sei, wo der Gemeinderat die unechte Teilortswahl abgeschafft habe, wenn der kleinere Ortsteil für ihre Beibehaltung sei.

Interessant ist, eine teilweise Ambivalenz festzustellen im Zusammenhang mit dem Ethos eines Gemeinderats. Zwar wird von Entscheidungen "nach bestem Wissen und Gewissen im Sinne der Gesamtgemeinde" gesprochen – und solche hat es in den vergangenen Jahren sehr viele – die allermeisten einstimmig getroffen – gegeben, sonst würde Wellendingen ja nicht als potent und mächtig im Landkreis wahrgenommen werden –, aber gleiches wird in einer Zukunft ohne unechte Teilortswahl indirekt in Zweifel gezogen. Etwas, das Wolfgang Minder nicht nachvollziehen kann: "Jeder Gemeinderat ist für die Gesamtgemeinde verpflichtet. Und das hat mit der unechten Teilortswahl nichts zu tun."

Die Argumente von Befürwortern der Abschaffung werden im Bürgersaal zur Kenntnis genommen. Hier sind einige genannt. Thomas Schauber spricht den Übergangscharakter der unechten Teilortswahl an, die eigentlich für zehn, 15 Jahre damals gedacht gewesen sei. Er ist für einen Schritt nach vorne im Zusammenleben von Wellendingen und Wilflingen.

Tobias Schlenker sieht Vorteile in dem vereinfachten Wahlsystem und merkt an, dass ohne unechte Teilortwahl 2014 jeder Ort jeweils einen Gemeinderat weniger im Gremium hätte, Wilflingen also keinesfalls unberücksichtigt geblieben wäre.

Wolfgang Minder kann die Ängste der Wilflinger "in gewisser Weise verstehen", aber er findet, dass auf kommunalpolitischer Ebene (im Gegensatz zu Vereinen) ein Anfang gemacht werden müsse. "Wir bekommen nie eine Einheit, wenn jeder seine Suppe weiterkocht."

Albrechts Überlegungen

Das Schlusswort des Abends bleibt dem Bürgermeister vorbehalten. Thomas Albrecht spricht von Ängsten und Befürchtungen. "Und die kann man nicht wegdiskutieren." Jedenfalls sei es in den vergangenen 40 Jahren mit diesen Befindlichkeiten nicht gelungen. Er überlegt, in den kommenden fünf Jahren Bürgerversammlungen in beiden Ortsteilen anzubieten – und die Themen unechte Teilortswahl sowie Zukunft von Ortschaftsrat und Ortsvorsteher aufs "Tablett" zu bringen.