Objekt der Begierde: Kapitän Franz Beckenbauer erhält den Goldpokal 1974 als Erster. Foto: Reeh Foto: Schwarzwälder Bote

Weltmeisterschaft: Dieter Amann macht "Public Viewing" bereits 1974 möglich

Rottweil/Wellendingen-Wilflingen (apf). Wer glaubt, "Public Viewing" (also das öffentliche und gemeinsame Anschauen von Fußballspielen) sei erst bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland erfunden worden, der blickt etwas ungläubig auf, als er folgende Geschichte des Wilflingers Dieter Amann hört.

"Public Viewing" habe es bereits vor fast 50 Jahren in Wilflingen gegeben, erzählt der 74-jährige Fernsehtechniker. Damals, bei der ersten Mondlandung, im Sommer 1969, wurden die erforderlichen Gerätschaften im Garten eines Mitglieds des Musikvereins Wilflingen in der Klösterlestraße aufgebaut. Fernsehgerät, kleine, überdachte Tribüne, Lautsprecher sowie dies und das. Sogar eine Gastkapelle spielte zur Unterhaltung auf. Alles lief in einem einfachen, unkomplizierten Stil ab.

Es erwies sich dann am 7. Juli 1974 als glückliche Fügung, dass das Endspiel der Weltmeisterschaft 1974 zwischen Deutschland und Holland just an dem Sonntag (7. Juli) stattfand, als gleichzeitig der Musikverein ein Gartenfest feierte: dieses Mal in der Bergstraße auf Gemeindegrund oberhalb des Friedhofs.

Dieter Amann besaß zu jener Zeit ein Geschäft in Rottweil in der Königsstraße, unweit des Landratsamts. Ein Fernsehgerät wurde im Freien aufgestellt. 1974 war ein regnerischer Sommer, doch an diesem Sonntag schien die Sonne. Farbfernsehen war in Westdeutschland seit August 1967 möglich, und die guten alten Röhrengeräte waren damals wuchtiges, schweres Mobiliar. Eine Zierde vieler Wohnzimmer.

Über eine Lautsprecheranlage und weiteres Equipement verfügte Amann, er spielte in einer Band mit. Das Endspiel wurde in München um 16 Uhr angepfiffen. Etwa 50 Wilflinger unterbrachen den Festbetrieb. Überwiegend Jüngere, erinnert sich Dieter Amann, Kinder, Jugendliche, Heranwachsende bis 24 Jahre.

Aber auch einige Ältere schauten und fieberten mit, als die deutsche Mannschaft das frühe 0:1 aufholte und noch vor dem Halbzeitpfiff durch Mittelstürmer Gerd Müller mit 2:1 in Führung ging. Die Begeisterung war natürlich groß, als die Holländer in der zweiten Hälfte trotz aller Mühen und Angriffsversuche nicht mehr trafen und Deutschland das zweite Mal Weltmeister wurde. Mit dem heutigen Bohei keinesfalls zu vergleichen. "Wir haben uns gefreut – und dann ging der Festbetrieb weiter", sagt Dieter Amann.

Also keine Sommerfasnet in Schwarz-rot-gold, keine Hupen oder Tröten, kein Autokorso. Beinahe so überschaubar war es, wie es im Vorspann der damals bekannten Fernsehserie "Königlich bayrisches Amtsgericht" geheißen hat: "Es war eine liebe Zeit, die gute, alte Zeit..."

An weitere "Public Viewing" in Wilflingen in jenen Jahren kann sich der "Mann von Ton und Licht" des Musikvereins nicht mehr erinnern.