„Zu viel Demokratie ist ekelerregend“, findet der weißrussische Staatschef Lukaschenko. Foto:  

Im Zeichen der Ukraine-Krise inszeniert Weißrusslands Diktator seine klare Wiederwahl – und kämpft doch ums politische Überleben. An diesem Sonntag wird in Weißrussland gewählt.

Berlin/Minsk - An diesem Sonntag ist es wieder soweit: Alexander Lukaschenko lässt wählen. Wie seit mehr als zwei Jahrzehnten üblich, ruft der „letzte Diktator Europas“ das weißrussische Volk an die Urnen, um sich im Amt des Präsidenten bestätigen zu lassen, das er seit 1994 innehat. Eine echte Wahl haben die Bürger traditionell nicht. „Zu viel Demokratie ist ekelerregend“, betonte der 61-Jährige einmal. Die Gegenkandidaten sind auch diesmal handverlesen, der Wahlkampf verkommt zur Lukaschenko-Propagandashow, und wenn alles nichts helfen sollte, so liefern die regierungstreuen Zählkommissionen jenes Ergebnis, das der 61-jährige Amtsinhaber gern hätte. Erwartet werden rund 90 Prozent.

Vor fünf Jahren, im Spätherbst 2010, hatte Lukaschenko die Latte auf „nur“ 70 Prozent Zustimmung gelegt. Er liebäugelte damals mit einer Annäherung an die  EU und inszenierte eine scheindemokratische Schau. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle reiste nach Minsk und machte dem Diktator im Namen der EU seine Aufwartung. Er lockte mit wirtschaftlichen Vorteilen – im Gegenzug für demokratische Reformen.

„Ich bin lieber Diktator als schwul!“

Das allerdings war ein gigantisches Missverständnis. Am Ende erhielt Lukaschenko offiziell fast 80 Prozent der Stimmen, während regimekritische Demoskopen rund 35 Prozent ermittelten. Als daraufhin Tausende Oppositionelle in Minsk auf die Straße gingen, ließ der Diktator das Protestvolk zusammenknüppeln. Die EU wandte sich schockiert ab und verhängte Sanktionen. Lukaschenko konterte pöbelnd, an die Adresse Westerwelles gewandt: „Ich bin lieber Diktator als schwul!“

Weißrussland fiel damals in eine neue Eiszeit. Wenig später brach die Wirtschaft ein. Nur Milliardenkredite aus Moskau retteten das Land vor der Pleite. Im Gegenzug verkaufte Lukaschenko Pipelines und Raffinerien an russische Staatsunternehmen – und damit das Herzstück der weißrussischen Wirtschaft. Kremlchef Wladimir Putin frohlockte. Lukaschenkos Belarus, so der offizielle Staatsname, gehöre „zur russischen Welt“, erklärte er mehrfach. Beobachter sind sich einig: „Gegen Moskau geht nichts in Minsk.“ Was das heißt, zeigte sich vor und während der Ukraine-Krise. Nach seiner gescheiterten Annäherung an die EU 2010 schloss sich Lukaschenko, anders als die Machthaber in Kiew, der russisch dominierten eurasischen Wirtschaftsunion an.

Genug von Lukaschenkos Fassadendemokratie

Doch als in der Ukraine die Maidan-Revolution losbrach, Russland die Krim annektierte und Putin einen separatistischen Krieg im Donbass beförderte, brach in Minsk Panik aus. Lukaschenko schürte die Furcht vor einer russischen Invasion zusätzlich und erteilte seinen Militärs einen Schießbefehl, sollten in Weißrussland, wie auf der Krim, russische Soldaten ohne Hoheitsabzeichen auftauchen. „Die Krim gehört nur faktisch, aber nicht rechtmäßig zu Russland“, tönte Lukaschenko und versuchte, wieder mit der EU ins Gespräch zu kommen, um seine Position gegenüber Moskau zu stärken. Es ist kein Zufall, dass die internationalen Ukraine-Verhandlungen seit dem Sommer 2014 in Minsk stattfinden. Im Februar handelte dort Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in einer Nachtsitzung ein wichtiges Friedensabkommen aus.

Der oft so genannte letzte Diktator Europas gibt den unbestechlichen Makler zwischen Ost und West. In der weißrussischen Realität allerdings musste Lukaschenko zuletzt der Einrichtung einer russischen Militärbasis in seinem Land zustimmen. „Wir werden zum kompletten Vasallen des Kremls“, erklärte kürzlich der weißrussische Oppositionspolitiker Alexei Janukewitsch – und traf damit den Kern der Lage. Lukaschenko ist längst eine Marionette des Kremls. Er ist Putins „unwilliger Helfer“, der in der Außenpolitik ebenso wenig eine Wahl hat, wie er sie seinen Bürgern im Innern lässt.

Viele Einwohner hätten ihre Heimat aus Enttäuschung über mangelnde Fortschritte bereits verlassen, sagt Anatoli Lebedko von der Vereinigten Bürgerpartei. „Immer mehr Menschen haben genug von Lukaschenkos Fassadendemokratie“, meint er. Schon jetzt leben rund eine Million Weißrussen zum Beispiel in Polen, im Baltikum oder in Berlin. Für Lukaschenko sind dies „Verräter“. Er vermisse „solche schlechten Patrioten“ nicht, sagte er einmal.