Bei der Untersuchung des Klumpfußes wird genau hingeschaut. Foto: Silke Hartenstein

216 Jahre ist es her seit der Uraufführung von Heinrich von Kleists „Der zerbrochene Krug“. Nun setzte das Kesselhaus-Ensemble mit drei sehr gut besuchten Aufführungen des Theaterklassikers die zeitlos menschlichen Themen frisch und lebendig in Szene.

„Aaah!“ Mit wilden Schmerzensschreien beginnt der wohl schlechteste Tag im Leben von Dorfrichter Adam. Sofort ist das Publikum mittendrin in der Handlung rund um Ehre, Neid, Lug und Trug und ein bisschen Liebe. Schon mehr als 200 Jahre ist es her seit der Uraufführung von Heinrich von Kleists „Der zerbrochene Krug“. Nun setzte das Kesselhaus-Ensemble mit drei sehr gut besuchten Aufführungen des Theaterklassikers die zeitlos menschlichen Themen frisch und lebendig in Szene.

 

Neben der komischen Handlung mit tragischen Untertönen besticht der Reichtum der Sprache, behutsam modernisiert durch Carsten Richters Bearbeitung. Regisseurin Simone Lüdi straffte die Handlung leicht und baute Monologe ein, die tiefere Einblicke ermöglichen in das Seelenleben der Handelnden.

Schwarz oder weiß sind die Charaktere der weiß gekleideten Schauspieler vor schwarzer Kulisse nicht, und so sprechen sie am Bühnenrand über sich, derweil die anderen Darsteller eingefroren in ihren Bewegungen verharren. Selbst der korrupte Dorfrichter, kraftvoll verkörpert von Thomas Schuster, zeigt hier seine verletzte Seele: „Ob ich eine schöne Kindheit hatte?“. Die hatte der gemobbte Junge mit dem Klumpfuß nicht. Umso mehr genießt er nun seine Macht über die naiven eingeschüchterten Bewohner des Dorfes Huisum: „Ich bin die Justiz“.

Auch der von Neid zerfressene Schreiber „Licht“ schildert im Monolog, wie ihm sein Jurastudium nichts brachte als die Position des Schuhabtreters für einen korrupten Choleriker. Licht ist hier doppelt besetzt durch Lorenza Antonucci und Maike Kraus, die mal allein, mal spiegelbildlich agieren, stets mit höhnisch-missgünstiger Miene.

Die Wende bringt Gerichtsrat Walter. Souverän verkörpert von Carmine Melino, zieht Walter von Dorfrichter zu Dorfrichter, prüft Prozesse auf ihre Formalitäten und trieb damit bereits einen Richter fast in den Selbstmord. Nun begleitet er eine Gerichtsverhandlung, bei der alle einander kennen und behaupten: „Ich hab ihn nicht zerbrochen, diesen Krug“. Unklar ist, was das Musterbild selbstgerechter Wohlanständigkeit Frau Marthe (Anja Meyer) härter trifft: Will sie Rache für die befleckte Ehre ihrer Tochter Eve (Eva Winter) oder für den Verlust ihres heiß geliebten Krugs? Richter und Täter Adam, zu Prozessbeginn noch in kraftvoller Pose auftretend, katzbuckelt rasch vor dem Gerichtsrat, versucht, den Trinkfesten mit Wein einzulullen, stellt suggestive Fragen an die Zeugen und will mit allen Mitteln den Verdacht auf Andere lenken, allen voran Eves Ex-Verlobter Ruprecht (Marc Stadelmann).

Erst der Auftritt von Brigitte, gefühlvoll-wortreich mit starker Bühnenpräsenz verkörpert von Claudia Palladino, setzt dem ein Ende. Die Spur eines Klumpfußes im Schnee, die Richterperücke in den Weinranken unter Eves Fenster und Lichts Bezeugen von Brigittes Aussage treiben Adam in die Flucht. Zuletzt wird das Verlöbnis erneuert und Eve hält ihren Monolog: „Das höchste Glück ist die Ehe, sagt meine Mutter“. Glücklich sind auf jeden Fall die zum Dorfrichter ernannten Schreiber. Auf ihren Freudentanz zu Rockmusik folgen langer, kräftiger Applaus und drei „Vorhänge“.