Über eine Million kleine Fotovoltaik-Anlagen gibt es auf deutschen Privathäusern. Die Betreiber gelten in vielen Fällen als Unternehmer. Foto: dpa

Viele Bürger, die eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach haben, sind zwangsweise IHK-Mitglied. Das freut weder sie noch die Kammer.

Stuttgart - Die Sonne scheint über Stuttgart-Neugereut. Thomas Stetter hat deshalb eigentlich allen Grund zu strahlen. Die Fotovoltaik-Anlage auf seinem Wohnhaus produziert fleißig Strom und speist ihn ins Netz der EnBW ein. Doch die Freude ist getrübt. Denn Stetter ist wie viele andere seit Installation der Anlage Gewerbetreibender und damit Pflichtmitglied in der örtlichen Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart.

Als solches zahlt er auch Beiträge, etwa 50 Euro im Jahr, weil seine Anlage ordentlich Strom produziert. „Darum geht es mir aber gar nicht“, sagt der 61-Jährige, der wegen einer Augenkrankheit blind ist. „Man wird zu etwas gezwungen, was man gar nicht will, nur weil ich eine technische Anlage auf meinem Dach habe, um etwas Altersvorsorge zu betreiben und saubere Energie zu liefern.“

Stetters Steuerberater wollte die Umsatzsteuer aus der Investition zurückholen. Deshalb hat Stetter ein Kleingewerbe angemeldet – wie so viele andere auch. Damit gilt er als Unternehmer und wird IHK-Pflichtmitglied. Laut Schätzung der IHK sind allein in der Region Stuttgart 4000 bis 5000 Leute von dieser Regelung betroffen. „Diese Bürger schlüpfen in eine Doppelrolle“, sagt Ulrich Wecker, Geschäftsführer des Stuttgarter Haus- und Grundbesitzervereins, „sie bleiben Hausherren, gründen aber gleichzeitig ein Gewerbe.“

IHK: Pflichtmitgliedschaft finanziell kein Thema

Wecker glaubt, dass man ihnen mit der Pflichtmitgliedschaft keinen Gefallen tut. „Der normale private Hausbesitzer betreibt eine solche Anlage höchstens als Nebenerwerb, den sollte man eigentlich mit solchen Formalien in Ruhe lassen.“ Es handle sich schließlich nicht um den klassischen Unternehmer. Stattdessen fordere die Gesellschaft ja geradezu das Nutzen erneuerbarer Energien und fördere diese auch. Das stehe im Widerspruch zu der anschließenden Zwangsverpflichtung der Bürger.

Auch die Kammern selbst sind über die Regelung nicht glücklich. „Ich halte es nicht für sinnvoll, dass private Hausbesitzer mit einer kleinen Anlage auf dem Dach IHK-Mitglieder sind“, sagt Andreas Richter. Der Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart verweist darauf, dass die Kammer diesen Mitgliedern die normalen Leistungen für Unternehmer anbieten müsse, ohne dass sie im Normalfall darauf zurückgreifen wollten. „Zu solchen Kuriositäten kommt es immer wieder“, beklagt Richter und erinnert an ein anderes Beispiel. Vor einigen Jahren gab es eine Phase, in der man wählen konnte zwischen Arbeitslosengeld und einem Existenzgründerzuschuss. Wer den Zuschuss nahm, musste ein Gewerbe anmelden – und war plötzlich IHK-Mitglied.

Laut Richter ist für viele Betroffene mit Solaranlage die Pflichtmitgliedschaft aber zumindest finanziell kein Thema. „Die meisten erreichen die Beitragsuntergrenze nicht“, sagt er. Bezahlen muss nur, wer als Kleinunternehmer mehr als 5200 Euro Gewinn pro Jahr erzielt. Oft vergäßen die Steuerberater, auf die Folgen hinzuweisen.

Bundesweit über 1 Million Anlagen installiert

Die Frage, wann eine Fotovoltaik-Anlage auf dem privaten Dach ein Gewerbe darstellt, ist in den vergangenen Jahren durchaus unterschiedlich behandelt worden. Der Bund-Länder-Ausschuss Gewerberecht etwa hat sich bei einer Sitzung im Frühjahr 2010 mit dem Problem befasst. Er kam zu folgendem Schluss: „Nicht erforderlich ist eine Gewerbeanmeldung, wenn die Anlage auf Dächern eigengenutzter Gebäude installiert wird.“ Privatleute wären damit aus dem Schneider. „Die Vielzahl dürfte das Problem deshalb nicht betreffen“, sagt Christian Hallerberg vom Bundesverband der Solarwirtschaft in Berlin.

Doch die Praxis wird in jedem Bundesland und oft in jeder Kommune anders angewandt. Mancherorts wird mit der Leistung der Anlage gerechnet. Kleinere mit bis zu drei Kilowatt Peak (kWp) werden oft ausgenommen. Alles darüber gilt als Gewerbe. Betreiber sollten sich deshalb vor Installation erkundigen, wie das Thema in ihrem Wohnort gehandhabt wird.

Experten schätzen, dass bundesweit Hunderttausende Privatleute, die sich für Solarstrom entschieden haben, inzwischen offiziell zu Unternehmern mit IHK-Pflichtmitgliedschaft geworden sind. Laut Hallerberg sind in Deutschland mittlerweile 1,06 Millionen kleinere Anlagen installiert, die größtenteils von Hausbesitzern betrieben werden. Allein in Baden-Württemberg sind es derzeit 210 000. Viel Potenzial für die Energiegewinnung – und für die IHKs.

„Ich will keinen Streit mit der Kammer, ich habe Verständnis für die hoheitlichen Aufgaben, die sie wahrnimmt“, sagt Thomas Stetter in Neugereut. „Aber in meinem Fall schießt man mit Kanonen auf Spatzen.“