Der Rottweiler Künstler Jürgen Knubben ist seit fast 30 Jahren Mitglied bei Rotary. Ein Gespräch über seine Anfänge, Projekte und den Vorwurf des Elitären.
Oberndorf/Rottweil - Serviceclubs setzen sich für das Gemeinwohl ein, wirkten in der Vergangenheit häufig im Hintergrund. Jürgen Knubben erklärt, was Rotary ausmacht, berichtet von Besuchen in den Townships in Südafrika und erklärt, wie die gemeinsame Arbeit ihn voranbringt.
Herr Knubben, Sie sind Künstler. Diesen Beruf bringt nicht jeder unmittelbar mit Rotary in Verbindung. Wie sind Sie Rotarier geworden?
Ich bin seit 1994 Mitglied und war damals noch relativ jung. Ich bin vom damaligen Rottweiler Oberbürgermeister Ulrich Regelmann gefragt worden, der übrigens kulturell sehr interessiert war, ob ich Interesse hätte. Ich musste mich tatsächlich zunächst über Rotary erkundigen, sagte dann aber: warum nicht? Und ich weiß mittlerweile: Es ist eine gute Sache: Wir treiben gemeinsam Dinge an und begegnen uns auf Augenhöhe.
Wer steckt hinter diesem Wir, wer ist Teil von Rotary?
Grundsätzlich sind Rotarier ein internationales Netzwerk, ein Serviceclub von Männern und Frauen, 1905 in den USA gegründet. Wir haben weltweit zirka 1,4 Millionen Mitglieder und sind vertreten in mehr als 200 Ländern mit rund 46 000 Clubs.
In Deutschland gibt es etwa 1100 Clubs mit rund 57 000 Mitgliedern. Wir sind parteipolitisch unabhängig, und die Religionszugehörigkeit spielt auch keine Rolle. Präsident und Vorstände wechseln jährlich. In diesem rotarischen Jahr ist Steffen Herz aus Epfendorf unser Präsident. Ziel Rotarys ist es, nachhaltige Veränderungen zu schaffen.
Sie sind auch vor Ort stark verankert.
Ja, beispielsweise mit dem Rottweiler Club. Unsere Mitglieder stammen aus Rottweil, Oberndorf, Schramberg und Umgebung. Wir wurden 1965 gegründet. Wir sind in sozialen und kulturellen Projekten aktiv, und zwar auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene.
Wofür setzt sich der Rotaryclub Rottweil ein?
International haben wir zwei große Projekte. In La Paz in Bolivien unterstützen wir zum Beispiel Pfarrer Josef Neuenhofer, der bei uns Ehrenmitglied ist. Arco Iris heißt sein soziales Unternehmen. Es geht darum, Kindern, die auf der Straße leben, eine Zukunftsperspektive zu geben. In diesem Zusammenhang entstanden ein Krankenhaus für Mittellose, kleine Handwerksbetriebe, Kindergärten und Schulen.
Wir begleiten das Projekt seit Jahrzehnten finanziell und zusätzlich durch ein sogenanntes Hands-on-Projekt: Wir putzen jedes Jahr Schuhe von Besuchern des Wochenmarktes – analog zu den vielen Straßenkindern, die mit dieser Tätigkeit etwas Geld verdienen. Das Geld, das wir einnehmen, verdoppeln wir und schicken es ebenfalls nach Bolivien. Uns geht es darum, nicht nur aus der eigenen Tasche zu spenden, sondern etwas zu tun, um auch deutlich zu machen, was es heißt, wirklich solidarisch zu sein. Es gibt außerdem das Projekt CBN, Children’s Book Network, das unter anderem Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche in südafrikanischen Townships unterstützt. Die direkten Verbindungen sind uns bei allen diesen Projekten wichtig, so dass die Hilfen zu 100 Prozent ankommen. Wir sind immer wieder vor Ort. Außerdem gibt es ein großes weltweites Schüleraustauschprogramm.
Und im Südwesten?
In der Region haben wir zum Beispiel ein Projekt mit Schulen und Kindergärten, es heißt "Trau dich was". Kinder und Jugendliche können lernen, wie sie sich gegen Gewalt wehren können, ohne selbst Gewalt anzuwenden. Auch ein ökologisches Projekt startet durch: 2021 haben wir eine große Streuobstwiese, "Bäume der Freundschaft" genannt, mit 40 Bäumen in Rottweil angepflanzt, zusammen mit unseren Partnerclubs aus Frankreich und der Schweiz.
Die Freunde haben Schweizer und französische Bäume zu uns gebracht, in Lons le Saunier und in Zürich-Limmattal werden ebenfalls Streuobstwiesen entstehen. Und wir vergeben unseren Kulturpreis alle zwei Jahre an aufstrebende und professionelle Künstlerinnen und Künstler in der Region – zuletzt an den Bösinger Liedermacher Pius Jauch.
Waren Sie selbst bei Projekten vor Ort?
In Südafrika bei Children’s Book Network. Dabei geht es in erster Linie darum, unterprivilegierten Kindern den Zugang zu Büchern und zu Bildungsworkshops zu ermöglichen, aber zuletzt ging es coronabedingt auch um Hungerhilfe. Und wir finanzieren Kurse, in denen Kinder lesen lernen. Allein durch Bildung erhalten die Kinder Zugang zu einer besseren Zukunft.
Wie ist es, die Projekte mit eigenen Augen zu sehen, berührt das persönlich noch mehr?
Ja. Absolut. Wir waren mehrere Freunde, die Südafrika zusammen besucht haben. Und der gesamte Club engagiert sich seitdem auf vorbildliche Weise. Unter anderem beziehen wir Wein aus einem Weingut in Südafrika, das das Projekt ebenfalls großzügig unterstützt. Diesen Wein verkaufen wir in den eigenen Reihen und weit darüber hinaus, und der erzielte Gewinn geht zu 100 Prozent an das Projekt. Genuss und Förderung ergänzen sich ideal.
Mitten in den Townships haben wir die große Not gesehen, erkannt, wie unterschiedlich die südafrikanische Gesellschaft immer noch geprägt ist von der Kluft zwischen Arm und Reich.
Solche Projekte machen Sie bekannter. Denn viele Menschen wissen nicht genau, was hinter den Serviceclubs steckt.
Wir sind in den vergangenen Jahren sichtbarer geworden, öffnen uns deutlich. Wir verstehen uns nicht als Gemeinschaft, die sich abgrenzt. Wir versuchen seit Jahren, dem Vorwurf des Elitären entgegenzutreten.
Auch andere Clubs versuchen, diesen Vorwurf zu entkräften. Wo gibt es denn Möglichkeiten, Sie zu treffen?
Wir sind mittlerweile mehr in der Öffentlichkeit unterwegs als noch vor Jahren. Zum Beispiel bei Hands-on-Projekten wie Schuhputz- und Polioaktionen. Wir sind nicht selten vor Ort und eröffnen gerne die Möglichkeit, mit uns in Kontakt zu treten.
Üblicherweise kann man bei Rotary allerdings nicht einfach eintreten, man wird eingeladen. Was, wenn sich jemand bei den Rotariern engagieren möchte?
Die Clubmitglieder können jederzeit Personen als Neumitglieder vorschlagen. Der Vorstand berät zunächst über den Vorschlag und entscheidet, ob dieser allen Mitgliedern vorgelegt wird. Die Mitglieder treffen am Ende die Entscheidung über eine Neuaufnahme.
Wir haben aus allen gesellschaftlichen Bereichen Mitglieder, aus der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur. Selbstständige, Beamte, Angestellte und Handwerker. Allerdings haben wir unsere Mitgliederzahl auf 60 beschränkt; darüber hinaus ist es schwierig, freundschaftliche Beziehungen zu pflegen.
Die Clubs wachsen auch dadurch nicht grenzenlos, dass es pro Beruf je Club nur ein Mitglied geben kann.
Die Idee ist, dass jeder Beruf einmal vertreten ist. Das lässt sich aber nicht 100-prozentig durchhalten. Ein Richter und ein Rechtsanwalt, beide aus dem Bereich Justiz, das ist denkbar. Es sind aber eher keine zwei Französischlehrer im Club. Wir sind übrigens seit vielen Jahren dabei, unseren Club wesentlich zu verjüngen. Das ist uns auch gut gelungen. Wir sind ein sehr lebendiger und von der Altersstruktur her sehr unterschiedlich geprägter Club. Das ist nicht unbedingt die Regel.
Lernen Sie auch voneinander?
Wir lernen immer voneinander. Wir treffen uns wöchentlich, hören Vorträge meist, aber nicht nur aus den eigenen Reihen – das ist ganz wesentlich, um sich fortzubilden. Darüber hinaus werden Freundschaften gepflegt. Mit der Jugendorganisation Rotaract wollen wir auch junge Menschen für Rotary begeistern. Um mitzumachen, müssen sie aber aus der jeweiligen Region stammen, denn Präsenz spielt bei uns keine untergeordnete Rolle.
Nochmals zurück zu Ihren eigenen Erfahrungen. Was hat Sie in den fast 30 Jahren am meisten beeindruckt?
Die Bereitschaft zu sozialem und kulturellem Engagement, die Toleranz und Offenheit der Mitglieder untereinander und die Freundschaften, auf die ich nicht mehr verzichten möchte.
Also hat es sich gelohnt, dass der Ex-Oberbürgermeister Sie damals angesprochen hat.
Ja. Anfangs war ich kritisch, ich habe mich gefragt, ob ich da hineinpasse, vor allem als Künstler – diese Befürchtungen haben sich aber nicht bewahrheitet. Ich bin von Anfang an sehr freundschaftlich aufgenommen worden, war 2009/2010 Präsident des Clubs und möchte die Begegnungen mit den Freunden, auch und gerade aus den Partnerclubs, nicht missen. Jeder spielt eine eigene Rolle, und die daraus entstehende große Vielfalt macht die Mitgliedschaft zu einem großen persönlichen Gewinn. Man gibt und nimmt. Was gibt es Besseres?