Walter Schultheiß als 90 Jahre alter Patriarch in dem Kinofilm „Global Player“. Mehr Fotos des Schauspielers in unserer Bildergalerie. Klicken Sie sich durch! Foto: Verleih Movienet

Er gilt als Vorzeige-Schwabe, bescheiden, pointensicher, kantig, knitz. Wenn er den Trubel um seinen 90. Geburtstag am Sonntag überstehe, sagt Walter Schultheiß, sei er reif für die Reha: „Man ist halt keine 85 mehr!“Aber ein Held seiner Heimat bleibt der große Mime für immer.

Er gilt als Vorzeige-Schwaben, bescheiden, pointensicher, kantig, knitz. Wenn er den Trubel um seinen 90. Geburtstag überstehe, sagt Walter Schultheiß, sei er reif für die Reha: „Man ist halt keine 85 mehr!“Aber ein Held seiner Heimat bleibt der große Mime für immer.

Stuttgart - Auf die erste Kinohauptrolle seines Lebens musste er warten, bis er 88 Jahre wurde. Aber was heißt schon warten? Walter Schultheiß ist niemals den Sendern und Produzenten hinterhergelaufen. PR in eigener Sache liegt ihm nicht. Lieber zerbeißt er sich die Zunge, als dass er seine Stärken auch nur in einem Halbsatz erwähnt.

Wer von ihm wissen will, auf welchen Film er in der Rückschau besonders stolz ist, bekommt eine klare Antwort. „Wieso sollte ich stolz sein?“, wehrt der gebürtige Tübinger ab, „ich hab’ doch nur meine Arbeit getan – das machen viele in ihrem Bereich.“

Sein „Bereich“ ist das Schwäbische. Es gab Zeiten, da gefiel es ihm nicht (auch wenn er es öffentlich nie zugegeben hätte!), wenn man ihn einen „Volksschauspieler“ nannte. Klingt dieses Wort nicht nach heimattümmelnd, womöglich nach „Schwobaseggel“? Doch im Alter sieht man vieles nicht mehr so streng. „Ich hab’ den Beruf des Schauspielers gelernt“, sagt er zwar, also nicht den Beruf des Volksschauspielers. Seiner Frau Trudel Wulle – sie ist ebenfalls Schauspielerin, beide haben sich 1947 auf der Bühne kennen gelernt und feiern an seinem 90. Geburtstag ihren 64. Hochzeitstag – überlässt er die Antwort. „Volksschauspieler – das ist doch eine Auszeichnung!“, sagt sie, „dieser Begriff unterstreicht, dass ihn das Volk mag.“

Großartige Kritiken für den Kinofilm "Global Player"

Und wie ihn das Volk mag! Nach dem großartigen Kritiken, die Schultheiß für die Rolle des schwäbischen Textilunternehmers Paul Bogenschütz in dem Kinofilm „Global Player“ von Hannes Stöhr auch in der überregionalen Presse erhielt, vielleicht noch ein bisschen mehr – falls da überhaupt noch eine Steigerung möglich ist.

Wenn man im Kino sieht, wie die überdimensionalen Gesichtszüge des Seniorchefs entgleiten, weil das Lebenswerk dieses zuvor stolzen Patriarchen, dessen Anweisung Gesetz war, an die Chinesen verramscht wird, und wie dieser gebrochene Held mit 90 Jahren von dem traumatischen Schmerz der Kriegserinnerungen heimgesucht wird, mag man Walter Schultheiß nicht mehr als Volksschauspieler abtun. So intensiv spielt er diesen Bogenschütz, dass die Männer bei sich eine Gänsehaut spüren und die Frauen sich ihrer Tränen nicht schämen.

Sein Beispiel zeigt: Mitunter kommt das Beste erst sehr spät. Schultheiß ist ein Mann wie sein Land, in dem Understatement zur wahren Stärke wird. Man sollte Schwaben nicht unterschätzen – am Ende stehen sie als Sieger dar, weil keiner mit ihnen rechnet.

Auch das Lob für „Global Player“ schiebt der „Ehrenspielführer“ der Stuttgarter Schauspielbühnen mit einer Pointe auf Distanz. Das Schwierigste bei den Dreharbeiten, sagt er, sei es gewesen, ihn mit seinen damals 88 Jahren auf 90 zu schminken.

Ein echter Kalauer-Experte

Ein Gespräch mit Walter Schultheiß wird zu einem turbulenten Slalom von einem Kalauer zum anderen. Bevor man die nächste Frage stellen kann, muss man sich lachend erst mal sammeln. Ein geborener Monarchist sei er, erfährt man, „denn ich wurde per Kaiserschnitt geboren“. Die Frage nach dem Rollenwunsch, die sich bis heute nicht erfüllt hat, beantwortet er mit „Die Jungfrau von Orleans.“ Und die Intensität seines Lampenfiebers hänge „von der Anzahl der Lampen“ ab.

Das klingt heiter und unbeschwert – sein Leben war es nicht immer. Vielleicht ist seine permanente Pointen-Präsenz nur der Versuch, nicht zu viel Privates zu offenbaren und sich selbst zu schützen. Auch in der Familie, berichtet sein Sohn Götz Schultheiß, 59, der als Journalist seit vielen Jahren zuverlässig und geschätzt für unsere Zeitung arbeitet, ist er meist so schlagfertig wie bei öffentlichen Auftritten. Es ist sein Gehirnjogging, um im Kopf fit zu bleiben. Nur morgens beim Frühstück rede er nicht. Da liest er die Stuttgarter Nachrichten und will nicht gestört werden – seit über 50 Jahren.

Walter Schultheiß gehört zu einer Generation, die an der Kriegsfront gelitten und danach das Land aufgebaut hat. In dieser Generation lichten sich die Reihen. Seine Jugendfreundin und Nachbarin, die Tochter des Verlegers der „Tübinger Chronik“, ist vor etwa zwei Jahren in England gestorben. Sie war Jüdin und plötzlich verschwunden. „Ich war damals neun“, erzählt Schultheiß, „erst nach dem Krieg habe ich verstanden, was passiert ist.“ Als die Stadt Tübingen die geflohenen Juden einlud, traf er sie wieder. Sie hielten Kontakt bis zu ihrem Tod. Der Vater von Schultheiß war Kraftfahrer des Zeitungschefs. Er hatte dem Sohn erklärt, die Verlegerfamilie sei nach Afrika gezogen. In dieser Zeit war die Wahrheit ein Wagnis.

Wie der Textilunternehmer Bogenschütz spricht auch der Schauspieler nicht gern über seine Erlebnisse im Krieg. Aber man spürt, tief im Inneren liegt noch viel verschüttet, was nicht verarbeitet ist. Mit 18 Jahren war Walter Schultheiß 1942 zum Russlandfeldzug eingezogen worden. Er war Kanonier und sah nicht, auf wen er schoss. Am 1. Mai 1945 – eine Woche vor Kriegsende, Hitler war bereits tot – traf ihn eine Kugel in den Bauch. Es grenzt an ein Wunder, dass er überlebt hat. Während andere im Alter an die Orte ihrer gestohlenen Jugend zurückkehren, in Russland auf Spurensuche gehen, ist für ihn dies unvorstellbar. „Für kein Geld der Welt“ würde er die Kriegsschauplätze noch einmal aufsuchen. Wenn er schon über die Vergangenheit reden soll, dann über seine Liebe zum Theater und zu Trudel Wulle. Der vom Bauchschuss abgemagerte Mime erzählte 1947 vor einem hungernden Publikum in Stuttgart so bildhaft „das Märchen von den dicken, fetten Pfannkuchen“, dass sich Trudel sofort verliebte. „Meine Frau ist das Beste, was mir passiert ist“, sagt Schultheiß und setzt erneut eine Pointe: „Ich kann sie jedem nur empfehlen!“

Ernste Rollen waren’s, für die er als junger Mann für die Bühne brannte. Bestimmt mehr davon hätte er gespielt, wäre nicht der große Erfolg mit dem Straßenkehren dazwischengekommen. Der zweite Partner seines Lebens war Werner Veidt. Mit ihm bildete er zwei Jahrzehnte lang das Straßenkehrer-Duo („Ich bin der Straßenkehrer Gottlob Friedrich, ich kehr’ für arm und reich, für hoch und niederich“). Auch wenn damit keine Zeit für seine Traumrollen blieb – der bald 90-Jährige verdankt diesen Jahren seine große Bekanntheit, die er noch immer spürt, wenn er durch Stuttgart läuft. Oft habe er sich geärgert über den „Schwabenstempel“, der ihm aufgedrückt worden ist. „Aber man lernt, damit zu leben und es zu nutzen.“

"Pannenhilfe" wird zum Wendepunkt seiner Karriere

Zu einem Wendepunkt seiner Karriere ist in den 1970ern der Fernsehfilm „Pannenhilfe“ im ZDF geworden. Damit wurde er auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Der TV-Autor und Landsmann Felix Huby sah den ZDF-Film und war begeistert. Unbedingt wollte er für diesen kantigen Schwaben etwas schreiben. Und er hat viel für ihn geschrieben. Als Köberle, Eisele, Eugen, als Altpfarrer Merkle in „Oh Gott, Herr Pfarrer“ und Altbürgermeister Holzwarth von Bärenbach – alles Drehbücher von Huby – hat Schultheiß das Schwabenbild in Deutschland erweitert und ist zum sympathisch-bruddeligen Botschafter eines Volksstammes werden, über den man sich jenseits der Landesgrenzen gern lustig gemacht hat. Kaum einer hat die schwäbische Seele so gut verkörpert wie er. Doch dann kam die Zeit, in der sein Sender SWR kaum noch Schwäbisches ins Programm brachte. Jetzt spielte Schultheiß für private Sender etwa in „Hallo Uncle Doc“ und wurde zum Publikumsliebling in der Komödie im Marquardt und im Alten Schauspielhaus.

90 werden ist nicht leicht, sagt er: „Das wird man nicht von heut’ auf morgen.“ Und was ihn bei der Geburtstagsmatinee am Sonntag auf seiner Heimatbühne, in der Komödie im Marquardt, erwartet, macht ihn schon jetzt so nervös wie vor einer Premiere.

Was also war seine schönste Rolle? „Die Frühlingsrolle“ lautet die Antwort. Wieder mal ein Kalauer, damit er nicht selbst preisgeben muss, was seine Frau für ihn tut. Dass er nicht mehr für eine längere Spielzeit Abend für Abend auf der Bühne stehen kann, weil der Körper da nicht mehr mitmache, obwohl der Kopf noch fit sei, falle ihm schwerer als er dies zugeben könne.

Aber vielleicht wird ihm wieder eine schöne Kinorolle angeboten. Er könnte dann ja mal von 90 auf 100 geschminkt werden. In der Verfilmung des Bestsellers „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ wolle er aber nicht mitspielen: „Ich will noch nicht verschwinden.“

Dies wünschen seine viele Fans. Möge dieser große Schauspieler und große Schwabe noch lange mitmischen! Wer im Schwabenland aufgewachsen ist, kennt und schätzt ihn, als gehöre er zur eigenen Familie.