Simon Essig am Ziel seiner Träume. Foto: Essig

Salzstetter Bergsteiger auf Hochgebirgsexpedition in Kirgisistan. Aufstieg zum Gipfel des Pik Lenin.

Waldachtal-Salzstetten - Simon Essig aus Salzstetten war schon auf dem Dach der Welt – in Tibet. Jetzt wagte der 33-jährige Bergsteiger eine Hochgebirgsexpedition zum Pik Lenin (7134 Meter) in Kirgisistan.

"In den vergangenen drei Jahren habe ich recht schnelle Fortschritte im alpinen Höhenbergsteigen gemacht und unter anderem erfolgreich den Island Peak in Nepal (6189 Meter) und den Kilimandscharo in Tansania (5895 Meter) bestiegen. Bei diesen Touren galt es, die Reaktion des Körpers in großen Höhen zu testen. Auch Hochtouren über Schnee und Eis im Alpenraum, zum Beispiel auf den Großglockner, den höchsten Berg Österreichs, waren ohne Schwierigkeiten machbar", erzählt der passionierte Abenteurer.

"In mir reifte immer mehr die Idee, an einer Hochgebirgsexpedition teilzunehmen." Im Sommer 2019 nahm Simon Essig in Kirgisistan den Pik Lenin ins Visier. Hierzu hat er bereits ein halbes Jahr vor dem Abflug ein Konditionstraining mit mehreren hundert Kilometern begonnen. Wenige Wochen vor Reisebeginn stand ein einwöchiger Härtetest in der Schweiz im Wallis auf dem Programm. Hier führten ihn täglich lange Touren unter anderem auf den 4545 Meter hohen Dom und über den Nadelgrat auf drei weitere 4000er. Gemeinsam mit den drei weiteren Mitstreitern und Bergführer Basti machte sich der Salzstetter Ende Juli 2019 schwer bepackt auf die knapp vierwöchige Reise ins Pamirgebirge.

Mit einem alten Minibus ging es über ruckelige Pisten ins Basislager auf 3300 Metern Höhe. Bei ersten Erkundungs- und Akklimatisierungstouren ging es darum, den Körper an den niedrigeren Sauerstoffgehalt in der Luft zu gewöhnen. Dadurch wird die Gefahr von lebensbedrohlichen Hirn- oder Lungenödemen reduziert. Der Akklimatisierung kommt bei einer derartigen Höhenexpedition eine enorm wichtige Bedeutung bei. Zeigt der Körper einmal Anzeichen für die Höhenkrankheit, muss sofort abgestiegen werden und die Expedition ist beendet. Nach einer ersten Phase der Akklimatisierung stieg die Gruppe ins vorgeschobene Basislager (Advanced Base Camp ABC) auf 4400 Meter auf. Auch dort wurde wieder einige Tage verweilt und kleinere Gipfel bis 5200 Meter bestiegen – bereits immerhin höher als der höchste Gipfel der Alpen, der Mont Blanc. Der erste Teilnehmer musste hier schon aussteigen und die Heimreise antreten. "Im ABC konnte ich nachts unvergessliche und einzigartige Momente unter dem Sternenhimmel genießen. Neben unzähligen Sternen war hier bedingt durch keinerlei Störlicht in der Atmosphäre auch die Galaxie der Milchstraße mit bloßem Auge sehr deutlich zu sehen", berichtet Essig, der als leidenschaftlicher Fotograf ein besonderes Auge für solche Himmelsphänomene hat. Vom ABC ging es frühmorgens mit Steigeisen über einen von Spalten durchlöcherten Gletscher ins "Hochlager 1" auf 5300 Metern. Es wird bereits lange vor Sonnenaufgang aufgebrochen, damit die fragilen Schneebrücken auf dem Gletschereis nicht bereits von der Wärme der Sonnenstrahlung brüchig sind. Ab den Mittagsstunden ist eine Überquerung der Spalten, obwohl am Seil gesichert, zu gefährlich. Die Messung des Sauerstoffgehaltes im Blut gehörte ebenso zur täglichen Routine wie das Schmelzen und Abkochen des Schnees zur Trinkwassergewinnung.

Neue Kräfte gesammelt

Nach einem weiteren Aufstieg ins "Hochlager 2" auf 6050 Meter mit einer Übernachtung ohne Schlaf und Erholung, stieg die Gruppe komplett ins Basislager ab. Zum einen, um einen Teilnehmer ins Tal zu begleiten, der die Tour beendete und zum anderen, um eine bestmögliche Akklimatisierung zu gewährleisten. Im Basislager wurden am dortigen reichhaltigen Buffet neue Kräfte gesammelt und der Körper freute sich über eine Dusche. Die Beobachtung des Wetterberichtes zeigte ein günstiges mehrtägiges Wetterfenster, bevor es zu starken Sturmböen mit bis 100 Km/h und einem Temperaturabfall auf gefühlte Minus 40 Grad in der Gipfelregion kommen sollte. Wie gefährlich die Umgebung ist, in der man sich am Berg befindet und wie nah die Gefahr ist, so erzählt der Bergsteiger, musste die Gruppe miterleben, als während des Aufenthaltes am Berg ein russischer Bergsteiger tödlich verunglückte und die Gruppe im Abstieg die geborgene Leiche passierte. "Nicht zuletzt diese Momente lehren einen selbst Demut vor der Natur und deren Kraft. Die permanente Gefahr, in der man sich befindet, erfordert eine dauerhafte Fokussierung. So kann ein kleinster Fehler oder Unkonzentriertheit fatale Folgen haben: Von einem falschen Schritt, über eine Magenverstimmung, bis hin zu fehlenden Ausrüstungsgegenständen", so die Einschätzung des 33-Jährigen. "Wie schnell die Tour beendet sein kann, musste ich auch in unserer Gruppe erfahren. So hat sich die Gruppengröße halbiert, ehe die Akklimatisierung abgeschlossen ist und sich ein gutes Wetterfenster für die Besteigung bietet."

Genau wurde das Marschgepäck auf benötigte und nicht benötigte Dinge geprüft und die mittlerweile auf drei Personen zusammengeschrumpfte Gruppe – zwei Teilnehmer und ein Bergführer – machte sich erneut auf den langen Weg über mehrere Etappen bis ins "Hochlager 2". Am Gipfeltag geht es um drei Uhr morgens aus dem Zelt. Eisiger Wind bei einer gefühlten Temperatur von minus 23 Grad bläst ununterbrochen Schneekristalle ins Gesicht und ins Auge. Während sie auf der Haut nur ein Stechen wie mit einer Nadel verursachen, führen sie im Auge schnell zu Reizungen. "Nun ist es Zeit für die Skibrille, welche ich erst auf gutes Zureden des erfahrenen Reise-Experten Hans Honold (8000er-Besteiger, Arktis-Expeditionen) überhaupt mitgenommen habe. Lange hatte ich keinen Sinn darin gesehen, die vorgeschlagene Skibrille mitzunehmen, doch im entscheidenden Moment sollte ich eines Besseren belehrt werden", blickt er um eine Erkenntnis reicher zurück. "Nach sechseinhalb Stunden ist es geschafft und wir stehen, nach Luft schnappend in 7134 Metern Höhe auf dem Gipfel des Pik Lenin. Es hat aufgeklart und so können wir eine halbe Stunde am Gipfel verweilen, bevor es auf den Rückweg geht." Und dann: "Erfahrungsgemäß stellt der Rückweg oft die größere Gefahr da, man wägt sich nach dem Gipfelerfolg in einem gewissen Sicherheitsgefühl und die Konzentration droht abzuflachen. Umso mehr ist es wichtig, auch den langen Weg nach unten dauerhaft fokussiert zu bleiben. So treten bei mir häufig erst mit Erreichen des Lagers die richtigen Glücksgefühle und Emotionen ein. Nach insgesamt zwölf Stunden Gehzeit erreichen wir das ›Hochlager 1‹, übernachten dort und steigen an den beiden folgenden Tagen bis ins Basislager ab."

Lediglich drei Müsliriegel

Das Fazit von Essig: "Die Erfahrung der Expedition hat mich gelehrt, dass für einen Erfolg alles zusammen passen muss: Natürlich die körperliche und technische Vorbereitung und Kenntnisse inklusive Ausrüstung. Aber auch das Zurechtkommen unter einfachsten hygienischen Verhältnissen, mit mangelhafter Ernährung und kaum Schlaf in großen Höhen. Dadurch regeneriert der Körper nicht mehr und baut Reserven ab. Wenn man bedenkt, dass ich am gesamten Gipfeltag drei Müsliriegel zu mir genommen habe, ist eine gewisse Zähigkeit und mentale Stärke ebenso von enormer Bedeutung. Nicht zuletzt sind starke Kameraden und ein erfahrener und motivierender Bergführer von unschätzbarem Wert."

Derzeit arbeitet das Kolping-Mitglied an einem Bilder- und Videovortrag über die Expedition, die in Salzstetten dann zu sehen ist, wenn es nach Corona wieder möglich sein wird, voraussichtlich im Winterhalbjahr. Bei freiem Eintritt möchte er den Erlös wie bisher praktiziert für die Aktion Entwicklungshilfe der Kolpingsfamilie Salzstetten spenden.

Für künftige Ziele im Bergsteigen ist lange nicht nur die schiere Höhe des Berges von Bedeutung. Was steht noch auf der Wunschliste des 33-jährigen Gipfelstürmers? Essig: "Auch technisch schwere Touren, mit zum Beispiel anspruchsvollen Kletterpassagen, haben mein Interesse geweckt." Kürzlich hat er zusammen mit einem Freund eine große Tour im Allgäu mit 1700 Höhenmetern am Heilbronner Weg unternommen. Eine Tour im Wallis in der Schweiz möchte er noch machen und einen Versuch am Matterhorn nimmt er ins Visier.

"Hier gilt es nun, gezielt Erfahrungen zu sammeln, um eventuell irgendwann einmal einen ganz großen Wurf zu landen und das lang gehegte Fernziel Ama Dablam in Nepal in Angriff zu nehmen. Dies ist sozusagen der Berg meiner Träume", orakelt der Alpin-Begeisterte. Bei zwei Touren in der Vergangenheit hat er den knapp 7000 Meter hohen Berg schon aus nächster Nähe gesehen und nach eigenen Angaben Blut geleckt. Der Salzstetter ist voller Sehnsüchte und Energie, noch weitere Gipfel der Welt zu erstürmen.