Teenager Oleksandr Bohdanov steht neben der Dolmetscherin Olena Neumann und spricht über seine Flucht. Er gehört zu den 157 Kindern und Jugendlichen sowie rund 30 Betreuern, die am Sonntag nach einer strapaziösen Flucht aus der Ukraine in Freiburg angekommen sind. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

157 Heim- und Waisenkindern sowie ihre Betreuer aus Kiew sind in Freiburg gut untergebracht. Was sagen die Verantwortlichen und die Kinder zu ihrer Situation?

Freiburg - Seit dem vergangenen Sonntag steht das Schicksal von 157 Heim- und Waisenkindern sowie ihre Betreuer aus Kiew in der Ukraine im Fokus des Medieninteresses in ganz Deutschland. In einer beispiellosen Hilfsaktion der Stadtmission Freiburg und der Freiburger Stadtverwaltung konnten die Kinder und Jugendlichen im Rahmen einer dreitägigen Flucht in vier Omnibussen aus dem Kriegsgebiet gerettet werden.

17-Jähriger berichtet von Flucht

Nun haben die beiden Heimleiter Roman Kornijko und Oleg Mohnatiuk, Erzieherin Iryna Chebotariova, der Busunternehmer Valerij Mironjuk und der 17-jährige Teenager Sascha aus dem "Vaterhaus" in Kiew vor Journalisten aus ganz Deutschland von ihrer Flucht berichtet. Und dabei mit ihren Worten auch manche Reporter zu Tränen gerührt. Sascha ist der Rufname des Jungen, er heißt eigentlich Oleksandr Bohdanov.

"Als die Nachrichten vom Krieg unser Haus erreicht haben, wurden unsere Kinder panisch", so Roman Kornijko. Der bescheiden auftretende Mann mit der Schiebermütze und dem sanften Blick ist für Heim- und Waisenkinder in der Ukraine seit Jahrzehnten eine Schlüsselfigur. Er war nach dem Zerfall der Sowjetunion der erste in dem Land, der sich um Straßenkinder und Waisen kümmerte. Nun will er zurück nach Kiew, um weitere Menschen zu retten. Iryna Chebotariova bricht in Tränen aus, wenn sie darüber spricht: "Wir brauchen ihn hier. Die Kinder brauchen ihn hier in Freiburg jetzt. Er steht auf einer Todesliste, weil er über das berichtet, was in der Ukraine gerade passiert. Wenn er zurückkehrt, ist sein Leben in Gefahr", ist die Erzieherin überzeugt.

"Nicht die Zeit, an sich selbst zu denken"

Doch Kornijko will davon nichts wissen: "Jetzt ist nicht die Zeit, um an sich selbst zu denken", sagt er. Und auch Busunternehmer Valerij Mironjuk will zurück, um weitere Menschen zu retten. "Dieser Krieg ist auch ein Informationskrieg", sagt er. "Deshalb müssen viele Menschen aus der Ukraine kommen und erzählen, was dort passiert!"

Unterdessen sei die Hilfsbereitschaft in und Freiburg für die Kinder und Jugendlichen beispiellos, so Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos): "Die Freiburger haben bereits eine Viertelmillion Euro und 13 Tonnen Lebensmittel und Hilfsgüter gespendet", berichtet Horn. Dazu kommen medizinische Hilfsgüter im Wert von 2,6 Millionen Euro, die das Land bereitgestellt hat und die von der Stadt Freiburg nach Lwiw (früher Lemberg) geschickt worden sind. Bei aller Freude über die Hilfe müsse man aber sehen, dass das alles nur ein Bruchteil dessen ist, was die Menschen in der Ukraine brauchen. "Der Krieg muss endlich aufhören", sagt Oberbürgermeister Horn.

Lwiw ist eine Partnerstadt von Freiburg

Lwiw ist Partnerstadt Freiburgs, und Horn, der im Freiburger Rathaus eine eigene Arbeitsgruppe für die Ukraine-Hilfe eingesetzt hat, arbeitet nun an der Möglichkeit, einen Hilfskorridor einzurichten, da schon jetzt sich abzeichne, dass Lwiw innerhalb der Ukraine für viele Geflüchtete ein wichtiges Ziel sei, auch um die medizinische Versorgung von Verletzten zu sichern, während vor Ort in Freiburg Schulbürgermeisterin Christine Buchheit (Grüne) und die Vorstandvorsitzende der Stadtmission Freiburg, Katja Potzies, damit beschäftigt sind, die schulischen und ehrenamtlichen Fördermöglichkeiten für die Heimkinder aus dem "Vaterhaus" in Kiew zu sichern. "Es geht auch darum, die seelischen Heilungskräfte der Kinder zu stärken", so Potzies. "Das ist eine große Aufgabe, das geht nicht von heute auf morgen."

Betreuungsmöglichkeiten werden gesucht

Parallel dazu arbeitet Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach (SPD) fieberhaft daran, die Betreuungsmöglichkeiten für die Geflüchteten mittelfristig zu sichern. Man stelle sich auf Wochen und auch auf Monate ein, so von Kirchbach. Die Jugendherberge, in der ein Teil der Kinder untergebracht ist, wird in wenigen Wochen nicht mehr zur Verfügung stehen. Eine Unterbringung bei Privatfamilien strebe man nicht an derzeit, um die Kindergruppen nicht auseinanderzureißen, so der Politiker weiter. Von Kirchbach macht klar: Die Bereitschaft zu helfen in der Stadt Freiburg und in anderen Kommunen ist groß. "Es wird eine Herausforderung für die Städte und Gemeinden werden. Aber diese Herausforderung nehmen wir gerne an."

Landesjustizministerium irritiert mit Brief

Umso irritierter ist er aber über einen Brief aus dem Landesjustizministerium in Stuttgart vom Donnerstag, aus dem hervorgeht, dass die Registrierung von Flüchtlingen aus der Ukraine nicht über die Landeserstaufnahmestelle (Lea) gehen, sondern von den Kommunen direkt geregelt werden soll. Das sei unsolidarisch, da es zur Folge habe, dass die Geflüchteten nur in größeren Städten untergebracht werden können und nicht mehr nach dem sogenannten "Königsteiner Schlüssel" für die Verteilung von Geflüchteten im Land auf Kommunen jeder Größe umgelegt werden können. "Der Städtetag sieht das genau wie wir", so von Kirchbach. Ob das Land sich da aus der Verantwortung stehlen wolle, oder lediglich jemand nicht mitgedacht hat in Stuttgart, könne man nicht sagen.

Sascha kümmert sich um seine kleinen Schwestern

Für den 17-jährigen Sascha aus Kiew sind solche Fragen der Bürokratie gottlob keine Sorge. Er hat so schon genug auf seinen Schultern lasten, muss er doch nun die Rolle der Pflegeeltern daheim übernehmen, sich um seine kleinen Schwestern kümmern und irgendwie selbst damit klarkommen, dass seine Familie daheim in Kiew in Sorge und Not leben muss. "Mama ist aber ein starker Mensch, sie glaubt an das Gute. Seit Mittwoch weiß ich, dass auch sie das Land verlassen wollen. Aber ich mache mir Sorgen, denn es ist ein langer Weg. Auch unsere Flucht war ja eine Fahrt ins ungewisse für uns."

Seinen kleinen Schwestern gehe es nun aber wieder gut. "Sie können wieder lachen und spielen und haben schon Freundinnen gefunden. Ich bin selbst eigentlich auch ein fröhlicher Junge, aber während der Flucht habe ich mich selbst nicht wiedererkannt. Ich saß nur noch stumm da", sagt Sascha und hält kurz inne: "Ich wünsche mir nur Frieden für mein Land und Frieden in den Herzen", so der Teenager mit leiser, sanfter und doch fester Stimme. "Als wir hier angekommen sind, war alles schon für uns vorbereitet. Ich kann mir vorstellen, dass das ein großer Aufwand war. Ich möchte im Namen aller Kinder danke sagen dafür."