SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz fischt der taumelnden Hamburger CDU Stammwähler weg.

Hamburg - Der Fisch ist geputzt. Falls nichts mehr dazwischenkommt, wird der frühere Bundesarbeitsminister Olaf Scholz am 20. Februar seine SPD in Hamburg zu einem triumphalen Wahlsieg führen. Die CDU um Bürgermeister Christoph Ahlhaus muss nach dem Aus von Schwarz-Grün einen hohen Preis zahlen.

Es gibt Käsekuchen vom Papptablett. Der große Sitzungssaal im KuSchu, wie das Hamburger Kurt-Schumacher-Haus von den Genossen genannt wird, strahlt spätsozialistischen Charme aus. Baujahr 1962. Wer hier als SPD-Landeschef zwischen vergilbten Glasbausteinen, grauen Resopaltischen und traurigem Parkett residiert ("Das Betreten des Balkons ist verboten"), hofft seit zehn Jahren - als Ole von Beust zusammen mit Ronald Schill die SPD aus dem Rathaus katapultierte - vor allem auf eines: auf bessere Zeiten.

Wie Olaf Scholz. Hamburgs SPD-Spitzenkandidat lächelt. 46 Prozent sagen die Umfragen den Sozialdemokraten voraus, wenn Hamburgs Wähler in einer Woche zu den Urnen gerufen werden. Damit stehen dem früheren Bundesarbeitsminister, Schröder-Zögling, Agenda-Mann und SPD-Generalsekretär alle Türen zum Hamburger Rathaus sperrangelweit offen. Rot-Grün gilt als wahrscheinlich, eine Alleinregierung als möglich (sollten Linke und Liberale scheitern), ein Bündnis mit der Um-die-fünf-Prozent-FDP als denkbar, sogar eine Große Koalition mit der Absturz-CDU ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Ja, sagt Scholz und gibt sich betont bescheiden, der Zustand der Hamburger SPD sei schon "bemerkenswert". Um dann kokett in Richtung Berlin anzumerken: "Über 40 Prozent haben wir schon lange nicht mehr erwarten dürfen."

Die SPD nimmt Kurs auf die schwarz-gelben Wähler – und hat damit großen Erfolg

Scholz trifft den Ton. "Diesmal SPD", haben die Waterkant-Genossen als Parole ausgegeben. Diesmal was Seriöses, was anderes als Schwarz-Grün, als Rücktritte, Koalitionschaos und ein vorzeitiges Ende. "Die Leute wollen Klarheit, Vernunft und Verantwortung", sagt der gebürtige Osnabrücker. Good Governance. Politsprech.

Dabei will Hamburg am 20. Februar vor allem eines: den Wechsel. Mögen 50 Prozent der Wahlberechtigten noch unentschlossen sein: 65 Prozent der Hamburger sprechen sich laut der letzten Infratest-Dimap-Umfrage für einen von der SPD geführten Senat aus, nur 27 Prozent wünschen sich, dass die CDU die führende politische Kraft bleibt. Das nennt man eindeutig. "Dass Rot-Grün so schnell wieder zurückkommt, hätte ich nie erwartet", sagt staunend Anja Hajduk, die Grünen-Spitzenkandidatin.

Nach dem spektakulären Aus für Schwarz-Grün fischt Scholz geschickt im bürgerlichen Wasser, besetzt gekonnt klassische CDU-Themen wie Wirtschaft und Sicherheit. "Wir haben Kurs auf die schwarz-gelben Wähler genommen", sagt Scholz. Mit Erfolg: "Es ist uns gelungen, dass die Leute von der Opposition einen guten Eindruck haben." Warum das so ist? Die Menschen hätten eine große Sehnsucht nach seriösen Politikern, antwortet Scholz: "Das kommt mir entgegen." Christoph Ahlhaus, der unglückliche Ole-von-Beust-Nachfolger und CDU-Bürgermeister, formuliert es naturgemäß anders: "Da nutzt einer erfolgreich die CDU-Schwächephase."

Die Fähigkeit zum Pragmatismus ist für den 52-Jährigen kein Makel. "Wir können Volkspartei", sagt Scholz. Davon ist er - wie bei den meisten Thesen - überzeugt. Mal fest, mal zutiefst - drunter macht er's nicht. Und man glaubt, die Botschaft in Richtung Berlin herauszuhören: Jedenfalls wir in Hamburg.

61 Prozent der Wahlberechtigten äußern sich positiv über Scholz

Natürlich ist Scholz siegesgewiss, auch wenn er, den sie wegen seiner funktionärshaft-unterkühlten Spröde auch in der eigenen Partei gern "Scholzomat" nennen, in diesen Tagen zum Lachen lieber in den Keller geht. Sein Lächeln sei zu siegessicher, werfen ihm manche auf den letzten Metern bis zum Ziel vor. Was Scholz richtig ärgert. Das zeige doch nur, "dass man uns wieder auf der Rechnung hat", sagt er. Dass FDP-Chef Guido Westerwelle die lässig-eleganten Scholz-Plakate für eine Anzugwerbung von Peek & Cloppenburg hält, lässt ihn dagegen kalt. Was sonst.

Er kann es sich leisten. 61 Prozent der Wahlberechtigten äußern sich positiv über seine politische Arbeit, Tendenz steigend. Mehr noch: 64 Prozent der Hamburger würden ihn direkt wählen, nur 27 Prozent Ahlhaus. Das ist selbst für diese Hamburger Verhältnisse für einen Herausforderer ein ungewöhnlich großer Vorsprung. "Ahlhaus hat alle Fehler gemacht, die möglich waren", sagt Scholz. Die Volksabstimmungspleite zur Schulpolitik, die ausufernden Kosten für das Prestigeprojekt Elbphilharmonie (mittlerweile 500 statt 70 Millionen Euro), Streichungen im Kulturhaushalt und Schließen von Museen, Versäumnisse beim kommunalen Wohnungsbau, hohe Kita-Gebühren von bis zu 580 Euro monatlich und fünf Senatoren-Rücktritte - die Liste ist lang. "Dieser schwarz-grüne Senat ist der wirtschaftsfeindlichste seit 1946", höhnt "König Olaf", womit er vor allem die grünen Bremser bei der Hafenmodernisierung und der Elbvertiefung im Auge hat. Die Kuschel-CDU hat's geschluckt. "Der Senat war mehr Wohngemeinschaft als Regierung", spottet Scholz.

Christoph Ahlhaus muss das alles jetzt ausbaden. Doch der 41-Jährige lächelt. Geschlagen, "aber unverdrossen", wie der gebürtige Heidelberger fröhlich behauptet. Auch wenn das zurzeit keine Selbstverständlichkeit sei: "Wir wollen's wissen!" Eigentlich habe Schwarz-Grün doch funktioniert. Sicher, die CDU habe sich manchmal weit aus dem Fenster gelegt, vor allem in der Schulpolitik - und "das hat den bürgerlichen Teil der Wähler etwas von uns entfremdet".

Das Urteil der Klientel falle deshalb zur Rolle der CDU ziemlich klar aus: chaotisch und nicht solide. Unbestritten sei auch, dass Schwarz-Grün Glaubwürdigkeit gekostet habe, auch weil es den Grünen gelungen sei, "allen Frust auf die CDU zu schieben". Um die 25 Prozent liegt die CDU momentan. Am 20. Februar droht ihr ein historischer Tiefschlag.

Die Wähler laden ihren Frust über das Scheitern von Schwarz-Grün vor allem bei der CDU ab

Ahlhaus empfängt im noblen Phoenix-Saal des Rathauses. Erster Stock. "Gott mit uns" steht in Stein gehauen über einem Portal. Viel Holzgetäfeltes, dicke Teppiche. Feines Gebäck in silbernen Schalen. Über dem Kamin ein Wort wie gemalt: Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen. Gerade erst hat sein Vorgänger Ole von Beust kundgetan, dass er nicht zurückgetreten wäre, wenn er geahnt hätte, dass Schwarz-Grün ohne ihn so kläglich scheitern würde. Wahrscheinlich hat er damit sogar recht. "Mit ihm hätte Schwarz-Grün noch heute Bestand", schwärmt Hajduk. Von Beust und die Grünen, das war eine von "euphorisierender Fröhlichkeit" geprägte Liaison. Da wurde geduzt und privat zusammen gefeiert. Noch heute fällt auf beiden Seiten kein richtig böses Wort übereinander, wird nicht nachgetreten. "Es war kein Fehler, mit Grün zu koalieren", sagt Ahlhaus tapfer - auch wenn er einräumt, an der Seite der Grünen möglicherweise "einen Schritt zu weit vom eigentlichen CDU-Programm" abgerückt zu sein.

Jetzt droht der Sturz. "Ich hatte einfach zu wenig Zeit zu zeigen, wofür Christoph Ahlhaus steht", sagt Christoph Ahlhaus. Zu wenig Zeit, um Vertrauen neu zu gewinnen. Dabei sind die Wirtschaftskennzahlen für die Stadt so gut wie lange nicht mehr.

Hamburgs Hafen brummt wieder, und das ist mindestens so wichtig für die Stadt wie der Daimler für Stuttgart. 142000 Jobs hängen am Hafen. Dass die schwere Krise jetzt überwunden ist, dass der Gesamtumschlag um elf Millionen Tonnen auf 121 Millionen Tonnen gestiegen ist, dass in diesem Jahr über 900 Riesenfrachter mit Platz für jeweils über 10000 Container erwartet werden - Ahlhaus präsentiert die Fakten durchaus selbstbewusst. "Wir haben aus einer schlafenden Schönen eine Boomtown gemacht", sagt er. Nützen wird ihm das nichts mehr.

Also wartet er gespannt, was nach der Wahl passiert. Ob die Grünen, die bei 14 Prozent liegen, tatsächlich mit dem roten Wirtschaftsfreund zusammenkommen werden. Und ob die SPD es schafft, ihre Geschlossenheit zu festigen. In beiden Fällen hegt Ahlhaus Zweifel. "Die Hamburger SPD ist wie warmer, gut durchgeschüttelter Sekt", ulkt der Bürgermeister, "und Olaf Scholz ist der Korken." Mal sehen, wann der hochgehe.

Dann geht Ahlhaus. Zum Wahlkampftermin auf einem der vielen Marktplätze. Rathausdiener räumen das Gebäck ab und tragen die Tische aus dem Saal. Ahlhaus hat alles im Griff auf dem sinkenden Schiff.