Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen war die AfD erfolgreich wie nie. Im Interview erklärt die Soziologin Katja Salomo, welche Gründe das hat – und welche Bedeutung das Thema Migration dabei gehabt haben dürfte.
Die AfD war bei den Landtagswahlen extrem erfolgreich: 32,8 Prozent in Thüringen, 30,6 Prozent in Sachsen. Bedeutet das einen Einschnitt für Deutschland? Die Soziologin Katja Salomo ordnet die Ergebnisse ein und erklärt, wie es die Wahlen beeinflusst hat, dass so viele Menschen in den vergangenen Jahren aus Ostdeutschland abgewandert sind.
Frau Salomo, sehen Sie den Erfolg der AfD bei den Landtagswahlen als Zäsur?
Für mich war es keine Zäsur. Seit etwa acht Jahren hat sich der politische Diskurs in Deutschland stark verengt. Viele Menschen sind deshalb überzeugt, dass Migration eines der wichtigsten Themen sei. Aber auch schon vor zwanzig Jahren waren 50 Prozent, manchmal 60 Prozent der Bevölkerung in Thüringen gegen Zuwanderung, wie die Studie „Thüringen Monitor“ zeigt. Die AfD hat diese Menschen nun überzeugt, entsprechend zu wählen.
In einer Ihrer Studien beschreiben Sie, dass vor allem in Thüringen die Demografie immer homogener wird. Wie wirkt sich das auf die Wahlergebnisse aus?
Durch die hohe Abwanderung und eine geringe Zuwanderung hat sich die ostdeutsche Gesellschaft stark verändert. Sie ist stark gealtert, gleichzeitig gibt es einen Überhang an jungen Männern. Davon sind vor allem ländliche Kommunen betroffen. Sie verlieren durch den Bevölkerungsschwund ihre Infrastruktur und Orte der Begegnung. Bei den Menschen vor Ort entsteht deshalb zunehmend das Gefühl, benachteiligt zu sein. Es ist dann schwerer zu akzeptieren, dass Menschen von außerhalb von Deutschland auch etwas vom „Kuchen“ abhaben möchten.
Gibt es weitere Gründe für den Erfolg der AfD?
Ja, dazu gehört auch, wie die Rechtsextremen selbst agieren. Sie stilisieren sich als Kleinstparteien, stellen sich als Kümmerer vor Ort dar. Gerade in den ostdeutschen ländlichen Regionen erhalten sie wenig Gegenwehr der Zivilgesellschaft, weil diese dort gering ausgeprägt ist. Die AfD hat ihren Fokus auf Ostdeutschland, auf ländliche Gebiete und auf den Abbau des rechten „Schmuddel-Images“ gelegt. Wir können heute sagen: Das hat funktioniert.
In Thüringen leben anteilig deutlich weniger Ausländer als in den meisten anderen Bundesländern. Der Anteil liegt bei acht Prozent, während es bundesweit 15 bis 16 Prozent sind. Wie passt das mit dem Erfolg der AfD zusammen, die Zuwanderung ablehnt?
Das passt leider sehr gut zusammen. Dass Migration nichts Schlechtes ist, lernt man vor allem im Kontakt zu Immigranten. Dieses Zusammenleben fehlt in den ländlichen Gebieten. Gleichzeitig ist Ostdeutschland Teil eines der größten Einwanderungsländer der Welt – Deutschland. Öffentlich werden oft negative Bilder von Zuwanderung gezeichnet. In Ostdeutschland ist es selten möglich, diese Bilder zu korrigieren.
Warum ist die Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland auch über dreißig Jahre nach dem Mauerfall offenbar noch immer so präsent?
Für mich ist „ostdeutsch“ vor allem eine soziale Ungleichheitskategorie. In Studien zeigt sich, dass Ostdeutsche im Bereich Politik oder in den Medien ebenso unterrepräsentiert sind wie die türkischstämmige Bevölkerung. Gerade auch beim Vermögen gibt es einen riesigen Unterschied. Wir beobachten in ganz Deutschland, dass es im ländlichen Raum zunehmend weniger zivilgesellschaftliche Strukturen gibt. Dieser Prozess schreitet in Ostdeutschland deutlich schneller voran. All diese Ungleichheiten verschleiert man, wenn man den Begriff „ostdeutsch“ fallen lässt.
Gewöhnt sich die Gesellschaft zunehmend an rechtsextreme Ansichten?
An die rechtsextremen Ansichten gewöhnt sich die Gesellschaft nicht unbedingt, aber daran, dass die AfD gewählt wird. Die gesellschaftlichen Konsequenzen sind gleich.
Kann man überzeugte AfD-Wähler zurückgewinnen?
Einstellungen ändern sich sehr langsam und auch nur an bestimmten Stellen im Leben. Wir müssen nicht unbedingt die Einstellung der Menschen ändern, sie sind auch nicht zwangsläufig ein Problem für die Demokratie. Das entsteht erst, wenn Parteien diese Ansichten vertreten und wählbar machen. Demokratische Parteien sollten anfangen, wieder selbstbewusster – vielleicht auch stur – andere Themen aufzubringen und zu diskutieren.
Kann man aus dem Wahlerfolg der AfD in Sachsen und Thüringen auch Lehren für den Umgang mit der Partei in westdeutschen Bundesländern ziehen?
Der Westen sollte nicht unterschätzen, wie die AfD versucht, sich zu normalisieren. In Thüringen testen wir die Grenzen unserer Verfassung, wenn die AfD thüringische Verfassungsrichter mitbestimmt. Die Forschung zeigt, dass Föderalismus hilft, Rechtsextremismus einzudämmen. Aber da sollte auch Westdeutschland hinsehen.
Zur Person
Soziologin
Katja Salomo, geboren 1986 in Pirna in Sachsen, arbeitet als Soziologin am Wissenschaftszentrum Berlin. Sie beschäftigt sich mit den Ursachen für Rechtsextremismus in Ostdeutschland, Deutschland und Europa. Ihr Schwerpunkt liegt dabei in der Untersuchung von Sozialstrukturen, Stadt-Land-Unterschieden und dem Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft und Rechtsextremismus. (red)