„Welches Menschenbild haben wir?“ Auf diese Frage kam Heiner Heizmann in seinem Vortrag „Faktencheck Bürgergeld – Hängematte, Armutsbekämpfung oder Motor für den Arbeitsmarkt“ immer wieder zurück.
„Auf Einladung des Bündnis „Für Demokratie – aktiv gegen rechts“ schilderte der Vertreter des Kompetenzzentrums Sozialpolitik der Caritas Rottenburg/Stuttgart etwa 15 interessierten Gästen im Horber Marmorwerk die Hintergründe zum Bürgergeld und räumte „mit einigen Vorurteilen auf“, wie es in der Pressemitteilung des Bündnisses heißt.
Mit Zahlen aus 2023 und 2024 stellte er zunächst die Situation in Deutschland dar: Bei einer Arbeitslosenquote von circa sechs Prozent liege die Erwerbstätigenquote bei über 77 Prozent (Tendenz steigend). Das 2023 ausgezahlte Bürgergeld habe mit gut 42 Milliarden Euro weniger als sieben Prozent des Bundeshaushalts ausgemacht, führte Heizmann aus.
Damit und mit einem Anteil der gesamten Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 26,7 Prozent bewege sich Deutschland im europäischen Mittelfeld. Im Juni 2024 habe es in Deutschland knapp 5,5 Millionen Euro Bürgergeld-Bezieher gegeben, 47,3 Prozent davon waren Ausländer, 47,7 Prozent unter 30 Jahre alt, etwa die Hälfte Frauen.
Wie viele Arbeitsverweigerer gibt es?
Einen genauen Blick warf Heizmann auf die Lebenssituationen der 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfänger. Er machte klar, dass rund 1,8 Millionen davon Kinder und Jugendliche, also gar nicht erwerbsfähig seien. Weitere rund 2 Millionen stünden dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, da sie zum Beispiel alleinerziehend oder mit der Pflege von Angehörigen ausgelastet seien und weitere 1,7 Millionen Menschen könnten zwar prinzipiell arbeiten, hätten aber oft keinen Berufsabschluss oder gesundheitliche Probleme.
Nur 16.000 Bürgergeld-Bezieher, also 0,4 Prozent, hätten keinen Grund, nicht zu arbeiten und seien sogenannte „Totalverweigerer“. „Dass wir über 5,5 Millionen reden, aber 16.000 meinen, das ist einfach falsch“, so Heizmann. Im Gegenteil arbeiteten etwa 800.000 davon, bräuchten aber zusätzliches Geld vom Staat um ihren Lebensunterhalt zu sichern (sogenannte „Aufstocker“).
Lohnt es sich überhaupt zu arbeiten?
Dazu stellte Heizmann klar, dass Bürgergeld-Beziehende unterhalb der Armutsgrenze lebten, denn der Regelsatz liege seit 1. Januar 2024 bei monatlich 563 Euro pro Person im Monat zuzüglich den Zuwendungen für Unterkunft und Heizung – allerdings nur, wenn die Person alleine lebt. Ansonsten bilde sie mit ihren Haushaltsmitgliedern eine Bedarfsgemeinschaft, bei der weitere Haushaltseinkommen gegengerechnet würden.
Heizmann machte auch deutlich, dass Arbeit umfassendere soziale Teilhabe ermögliche und somit Teil eines erfüllenden Lebens sei.
Zieht Bürgergeld Migranten an?
Tatsächlich sei der Anteil der Bürgergeld-Empfänger bei Personen mit Migrationshintergrund höher als bei jenen ohne, allerdings erhielten Asylbewerber gar kein Bürgergeld, sondern Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, also weniger. Und die von Alice Weidel genannten „62 Prozent der Familien im Bürgergeldbezug“, die „keinen deutschen Pass“ haben umfassen laut Heizmann auch Kinder, alte und kranke Menschen und Menschen deutscher Staatsangehörigkeit, die einen Migrationshintergrund haben.
Sind schärfere Sanktionen für Arbeitsverweigerer notwendig?
Heizmann verwies hierzu auf eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die zeige, dass gelegentliche Sanktionen die Vermittlungsquote verbessern können, während zu strenge Sanktionen oft zu schlechteren Arbeitsplätzen und sinkendem Einkommen führen . Ein Streichen der Leistungen sei zudem laut Bundesverfassungsgericht nicht mit dem Grundgesetz Art. 1 (Menschenwürde) und Art. 2 (Freie Entfaltung der Persönlichkeit) vereinbar.
Ist das Bürgergeld zu hoch und zu teuer für den Staat?
Wie Heizmann darlegte, hatten Bürgergeld-Beziehende zwischen 2021 und 2023 starke Kaufkraftverluste, die durch die Erhöhungen in diesen Jahren nicht ausgeglichen wurden. Außerdem gebe der Staat weniger als sieben Prozent des Bundeshaushalts für das Bürgergeld aus, die Sozialausgaben insgesamt betrugen 26,75 Prozent – damit liege Deutschland im europäischen Mittelfeld.
In seinem Schlusswort stellte Heizmann fest, dass die Sozialgesetzgebung in Deutschland immer wieder auf dem Prüfstand stehe, besonders dann, wenn die wirtschaftliche Lage im Land nicht ganz so rosig aussehe. Dabei sollten wir eigentlich stolz auf unser Sozialsystem sein, das dafür sorge, dass niemand hungern oder obdachlos sein müsse. Es sei legitim, über Veränderungen und Verbesserungen des Systems zu diskutieren, aber über eine Streichung zu sprechen sei unredlich.