Dass der gesetzliche Mindestlohn bis 2025 auf 12,82 Euro pro Stunde steigen soll, reicht den Grünen nicht. Zwei namhafte Bundestagsabgeordnete setzen sich in ihrer Fraktion erfolgreich für eine Reform der Anpassung und der Mindestlohnkommission ein.
Die gegen die Arbeitnehmerseite gefällte Entscheidung der Mindestlohnkommission, die gesetzliche Lohnuntergrenze bis 2025 auf nur 12,82 Euro pro Stunde anzuheben, schlägt weiter hohe Wellen. Die Grünen im Bundestag setzen sich für die Einführung eines Mindestlohns in Höhe von 60 Prozent des mittleren Lohnniveaus, für eine jährliche Anpassung sowie die Einführung eines Losentscheids bei Pattsituationen in der Kommission ein.
Kommission soll reformiert werden
„Wir fordern eine Reform der Mindestlohnkommission“, heißt es in einem unserer Zeitung vorliegenden Positionspapier der namhaften Fraktionsmitglieder Frank Bsirske und Sandra Detzer. Es hat den Segen des Vorstands und soll in der nächsten Sitzungswoche von der gesamten Fraktion beschlossen werden. Die Rahmenbedingungen der Kommission sollen so gestaltet werden, „dass der gesetzliche Mindestlohn immer auf einem armutsfesten Niveau liegt, eine Anpassung schneller erfolgt und ein Beschluss ohne Konsens beider Sozialpartner unwahrscheinlich wird“. Weder die Arbeitgeber- noch die Arbeitnehmerseite „sollte einseitig ihre Forderungen mit Hilfe des Vorsitzes durchsetzen“. Denkbar wäre demnach auch eine Schlichtung ähnlich den Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes mit einem wechselnden Stimmrecht der beiden Vorsitzenden.
Die Anhebung auf zwölf Euro im Oktober 2022 habe den gesetzlichen Mindestlohn in die Nähe der EU-Zielmarke von 60 Prozent des Medianlohns gebracht, konkret auf 56,4 Prozent. Der Medianlohn ist das mittlere Einkommen von Vollzeitbeschäftigten. Aus Sicht der Grünen hätte die Kommission die Lohnuntergrenze weiter in diese Richtung bewegen und damit auch der hohen Inflation Rechnung tragen müssen. Dem sei sie aber nicht gerecht geworden. Wenn man die von der Bundesbank prognostizierte Lohnentwicklung für die nächsten beiden Jahre zugrunde lege, würde der Mindestlohn vielmehr in Richtung Armutslöhne (50 Prozent des Medianlohns) absinken. „Die Mehrheit der Mindestlohnkommission hat den auf Konsensfindung gerichteten Weg verlassen“, kritisiert Frank Bsirske, der die Fraktions-AG Arbeit und Soziales leitet und bis 2019 Verdi-Vorsitzender war. „Es ist nicht akzeptabel, dass die von ihr beschlossenen Erhöhungen den Mindestlohn an die Grenze zur Lohnarmut führen werden.“ So müsse der rechtliche Rahmen neu geregelt werden.
EU-Mindestlohnrichtlinie soll in deutsches Recht eingehen
Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion, Sandra Detzer, ergänzt: „Ein angemessener Mindestlohn stärkt die Kaufkraft vieler Menschen und kann so gerade in schwierigen Zeiten einen Wachstumsimpuls setzen sowie die wirtschaftliche Erholung beschleunigen.“ Die Vorschläge sollen sicherstellen, dass einzelne Branchen nicht von der Lohnentwicklung abgehängt werden. Denn Branchen mit besonders niedrigen Löhnen hätten derzeit immense Probleme, Arbeitskräfte anzuwerben, so die Ludwigsburger Abgeordnete und frühere Landesvorsitzende im Südwesten.
Die EU-Mindestlohnrichtlinie wurde im Oktober 2022 vom Europäischen Parlament verabschiedet und schlägt vor, dass Mitgliedstaaten zur Bewertung der Angemessenheit von Mindestlöhnen Referenzwerte zugrunde legen – eben 60 Prozent des Bruttomedianlohns. Auf dieser Basis müsste der Mindestlohn laut dem Gewerkschaftsbund hierzulande 2024 auf 14,13 Euro und 2025 auf 14,55 Euro steigen. Die Grünen streben nun an, dass der Referenzwert von 60 Prozent in Deutschland gesetzlich festgeschrieben wird. Der Mindestlohn solle sich aber weiter nachlaufend an der Tariflohnentwicklung orientieren.
Rückhalt von der SPD und den Gewerkschaften
In der SPD gibt es Stimmen für eine Anhebung der Lohnuntergrenze auf bis zu 15 Euro. Der andere Koalitionspartner FDP mahnt hingegen zur Zurückhaltung: Der Mindestlohn werde von den Tarifpartnern ausgehandelt, damit er nicht zum Spielball parteipolitischer Interessen werde. „Völlig falsch wäre es, die Spielregeln zu ändern“, sagte Fraktionsvize Lukas Köhler. Eine Einigung in der Ampelregierung ist damit praktisch ausgeschlossen.
Insofern deutet der Grünen-Vorstoß schon auf die nächste Legislaturperiode hin. Den Rückhalt der Gewerkschaften haben sie sicher. Der Nachfolger von Bsirske als Verdi-Vorsitzender, Frank Werneke, hatte jüngst auf dem Gewerkschaftstag seinerseits eine „grundlegende Reform des Mindestlohngesetzes“ verlangt – die EU-Standards müssten eingehalten werden. Und die designierte IG-Metall-Chefin Christiane Benner sagte vor Tagen der „FAZ“: „Der Mindestlohn ist eine Untergrenze und kein Störfaktor für die Tarifautonomie – oberhalb davon machen wir die Tarifpolitik selbst.“ 60 Prozent des Medianlohns seien für sie ein „vernünftiger Wert“. Diese Äußerung ist bemerkenswert, weil der Mindestlohn bisher nie eine Herzensangelegenheit der IG Metall war.