Innenministerin Nancy Faeser möchte mehr Kontrolle. Foto: dpa/Christoph Soeder

Der Europäische Gerichtshof urteilt über die deutsche Vorratsdatenspeicherung. Diese Art der Datenspeicherung liegt zwar gerade auf Eis. Die Debatte um Strafverfolgung im Internet geht aber weiter.

Der Streit über die Vorratsdatenspeicherung flammt wieder auf. Es geht darum, ob Telekomanbieter speichern müssen, wer mit wem telefoniert hat und mit welcher IP-Adresse jemand im Internet unterwegs war, falls die Polizei später zur Strafverfolgung darauf zugreifen will. Seit 2006 verhandeln Europas Regierungen, Parlamente und Gerichte über Speicherpflichten und darüber, wie viel Einschränkung von Freiheitsrechten zur Verfolgung von Straftaten vor allem im Internet nötig ist.

 

Am Dienstag nun wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilen, ob der vorerst letzte deutsche Anlauf von 2015 mit den Grundrechten vereinbar ist. Viele Beobachter vermuten, dass er die Regelung – wie in mehreren anderen Ländern zuvor – kippen wird. Faktisch liegt sie in Deutschland nach mehreren Gerichtsbeschlüssen seit 2017 auf Eis. Damit schlösse sich ein Kapitel, doch die Debatte ist nicht beendet.

Die Innenministerin macht Druck

Eigentlich hat sich die Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, die ausgesetzte Speicherpflicht zu beerdigen. Nicht mehr flächendeckend sollen Daten aller Nutzer gespeichert werden, sondern nur noch mit konkretem Anlass und auf richterliche Anordnung. Umso irritierter zeigten sich FDP und Grüne, als die SPD-Innenministerin Nancy Faeser kürzlich in einem Interview ganz andere Töne anschlug und die Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung bemängelte. Es sei „unbedingt erforderlich“, Daten zu speichern, mit denen Täter etwa bei sexuellem Missbrauch im Netz identifiziert werden könnten.

Der grüne Fraktionsvize Konstantin von Notz gab umgehend zu Protokoll, die anlasslose Speicherpflicht sei „rechtsstaatlich tot“. Justizminister Marco Buschmann (FDP) beeilte sich klarzustellen, dass die vereinbarte Abschaffung weiter gelte. FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle sieht im Gespräch mit unserer Zeitung Konfliktpotenzial innerhalb der Koalition: „Wir stehen zum Koalitionsvertrag – es ist schade, dass das Innenministerium das nicht tut.“ Das Justizministerium will nach dem EuGH-Urteil eine grundrechtskonforme Alternative zur anlasslosen Massenspeicherung vorstellen: ein Verfahren namens „Quick Freeze“. Aus der SPD kommt ferner die Idee einer „Log-in-Falle“. Beides läuft darauf hinaus, die Verbindungsdaten einer Person erst ab dem Moment zu speichern, ab dem sie im Visier der Ermittler ist. Bei der SPD will man sich nicht einhellig hinter Faesers Vorstoß versammeln. Der digitalpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Jens Zimmermann, hält die vorgeschlagenen Alternativen für „sehr sinnvoll“. An der Umsetzbarkeit melden manche jedoch Zweifel an. Zum Beispiel Thomas Jarzombek, Digitalpolitiker aus der CDU-Bundestagsfraktion. „Ich bin gespannt, wie ‚Quick Freeze‘ funktionieren soll, wenn Ermittler bei Hinweisen innerhalb von Stunden reagieren müssen“, sagt Jarzombek. Das Innenministerium erklärt auf Anfrage, dass nach Erfahrung des Bundeskriminalamts (BKA) „Auskunftsersuchen zu Verkehrs- und Standortdaten, die älter als sieben Tage sind, in mehr als der Hälfte der Fälle erfolglos verlaufen“.

Die EU-Kommission denkt schon weiter

Bei Meldungen aus einem US-Hinweissystem zu Missbrauchsdarstellungen von Kindern habe das BKA 2021 in einem Viertel der Fälle die IP-Adresse niemandem mehr zuordnen können. Zimmermann vermutet, dass Faeser die Interessen der Sicherheitsbehörden besonders im Blick hat. Auch die Befürworter von „Quick Freeze“ und der „Log-in-Falle“ wollen natürlich sexuellen Missbrauch konsequent verfolgen. Doch es geht hier um einen Konflikt zweier Lager: Jene, die im Namen der staatlichen Durchsetzungsfähigkeit Ermittlern im Internet möglichst umfassende Mittel geben wollen, stehen gegen jene, die den Schutz der persönlichen Daten von Unbescholtenen durch ausufernde Überwachung ausgehebelt sehen.

Auf EU-Ebene plant die Kommission derweil, Online-Dienste dazu zu zwingen, auch die Inhalte privater und verschlüsselter Chats mit Künstlicher Intelligenz nach Missbrauchsbildern zu durchsuchen. Datenschützer und Bürgerrechtler sind entsetzt.