Ein Lächeln war auf den Gesichtern der beiden Angeklagten am Ende der Urteilsbegründung zu sehen: Da durften sie auf einen Stuhl knien und die Justizbeamten lösten ihre Fußfesseln.
Denn das Landgericht Rottweil unter Vorsitz von Karlheinz Münzer hatte sie zwar zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten für den 24-Jährigen und einem Jahr und neun Monaten für den 28-Jährigen verurteilt, aber beide Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt.
Die Anklagepunkte schwere Vergewaltigung, Körperverletzung, Diebstahl, und Freiheitsberaubung wurden fallengelassen. Am Ende blieb ein Urteil wegen sexuellem Übergriff, das auf der Istanbul-Konvention von 2018 beruht.
Die besagt, dass die Frau vor dem Sex dazu Ja sagen muss. Und das, davon war das Gericht überzeugt, hat sie nicht getan.
Der Vorwurf
Den beiden aus Afghanistan geflüchteten Männern war all dies vorgeworfen worden, sie sollten, so sah es die Staatsanwaltschaft zunächst, am 12. September letzten Jahres eine junge Frau in Tuttlingen mit Betäubungsmitteln gefügig gemacht, sie dann in einer Wohnung in Schwenningen vergewaltigt haben und sie schließlich, zurück in Tuttlingen, ohne T’Shirt und BH aus dem Auto geworfen haben.
Vieles stimmt nicht
Doch dann hatte sich im Lauf des Prozesses herausgestellt, dass vieles von dem, was die junge Frau in der Septembernacht der Polizei erzählt hatte, nicht stimmte. Nach dem Geschlechtsverkehr mit beiden Männern ging man zu dritt durch Schwenningen, die junge Frau hatte ihr Handy die ganze Zeit bei sich, sie sprach mit anderen Frauen, man lief sogar an der Polizei vorbei – sie hätte, wäre es eine Gewalttat gewesen, Hilfe holen können. Und hätten die Männer ihr wirklich die Oberbekleidung weggenommen, wäre das aufgefallen.
Auch habe die junge Frau zunächst ausgesagt, mit Gewalt in das Auto des 24-Jährigen gezerrt worden zu sein. Vor Gericht habe sie dann gesagt, sie sei freiwillig eingestiegen.
Auch das Lidocain, die KO-Tropfen, die man ihr ins Getränk gemischt haben sollte, gab es offenbar nicht. Dafür hatte das Gericht den renommiertesten Toxikologen Deutschlands eingeschaltet, der eine so geringe Menge im Blut und Urin der jungen Frau fand, dass sie auch von einer Salbe, einem Gleitmittel stammen konnte, aber auf keinen Fall von einem Getränk. Sicher war der Alkoholgehalt, der lag bei 2,6 Promille: Die junge Frau hatte schon mittags mit einer Freundin in Tuttlingen an der Donau Alkohol getrunken, auch Cannabis war im Spiel, so Richter Münzer.
Fantasie entsprungen
Aber auch die beiden Angeklagten hätten sich in unglaubwürdige Aussagen verstrickt. Manches von dem, was sie behauptet hatte, sei vermutlich ihrer von Filmen gespeisten Fantasie entsprungen. „Der Vorwurf war gewaltig“, so Richter Münzer über die ursprüngliche Anklage der Staatsanwaltschaft. So sei der Prozess eine lange und belastende Phase für die beiden nicht vorbestraften Angeklagten gewesen, beide saßen fast acht Monate in U-Haft.
Gut integriert
Dem jüngeren hielt das Gericht zugute, dass er sich seit seiner Ankunft in Deutschland 2015 sehr gut integriert hatte, den Hauptschulabschluss und eine Ausbildung gemacht hat, danach arbeitete. Dies sei auch der guten Betreuung der Mitarbeiter von Mutpol in Tuttlingen zu verdanken, betonte der Richter. Kurz vor der Tat hatte er sich den Mercedes gekauft, mit dem man in der Tatnacht unterwegs war.
Der Ältere bekam diese Betreuung nicht, da er schon volljährig war, als er in Deutschland ankam. Dies übrigens auch auf Wunsch seines Vaters, der in Mazar-I-Sharif für die Bundeswehr arbeitete. Zur Tatzeit war er arbeitslos und ohne festen Wohnsitz. Dennoch sah das Gericht bei beiden eine gute Sozialprognose.
Nun stehen sie die nächsten drei Jahre unter Bewährungsaufsicht und müssen sich in Gesprächen der sexuellen Bildung unterziehen, so will es das Gericht. Normen, Werte, Grenzen im Umgang mit Frauen – und eben die Regeln der Istanbuler Konvention lernen. Seinen Mercedes bekommt der 24-Jährige übrigens wieder zurück.