Verena Grötzinger (31)Seit 2008 Bürgermeisterin in der Gemeinde Owen mit 3487 Einwohnern im Landkreis Esslingen. Die Jüngste aller Bürgermeisterinnen in der Region ist parteilos und von Beruf Diplom-Verwaltungswirtin. Verena Grötzinger hat bisher keine Kinder. Foto: StN

In der Region erobern Frauen die Rathausspitze. Bis zur Gleichstellung ist es aber ein weiter Weg: Von den 179 Städten und Gemeinden werden zehn von Frauen regiert.

Stuttgart - In der Region erobern Frauen die Rathausspitze. Bis zur Gleichstellung ist es aber ein weiter Weg: Von den 179 Städten und Gemeinden werden zehn von Frauen regiert. Der Politikwissenschaftler Oscar Gabriel sieht die Mehrfachbelastung der Frauen als Ursache: Sie kandidieren nur selten.

Statistisch wird der Anteil der Frauen in Bürgermeistersesseln beim Gemeindetag erst seit der Gemeindereform 1975 erhoben. Damals gab es im ganzen Land aber noch keine einzige Frau in diesem Amt. Das änderte sich erst 1990, als Beate Weber in Heidelberg an die Rathausspitze gewählt wurde. Die Sozialdemokratin wirkte 16 Jahre in der Unistadt, trat für eine dritte Amtszeit aber nicht mehr an.

"Seit 1990 wurden in Baden-Württemberg 48 Oberbürgermeisterinnen und Bürgermeisterinnen gewählt, 40 von ihnen sind noch im Amt", weiß Gemeindetag-Sprecher Harald Burkhart. Dennoch stellen die Frauen bei 1101 selbstständigen Städten und Gemeinden im Land einen nur kleinen Prozentsatz der Stadt- und Gemeindeoberhäupter.

Als erste Rathauschefin einer kleineren Gemeinde im Land wurde 1992 Birgit Kriegel in Löwenstein (Kreis Heilbronn) gewählt. Sie schlug bei der Wahl einen kommunalpolitischen Platzhirsch, überstand aber nur eine Amtszeit und wurde nicht wiedergewählt. Auch in Tübingen konnte sich 1998 eine Frau durchsetzen, 2006 musste sich Brigitte Russ-Scherer aber Boris Palmer geschlagen geben. Dienstälteste Bürgermeisterin im Land ist damit Isolde Schäfer in Stühlingen im Südschwarzwald. Sie wurde im Oktober 2009 mit 53 Prozent in die dritte Amtszeit gewählt.

"Frauen haben es in diesem Amt besonders schwer"

Das wünscht sich nun auch Monika Chef, die dienstälteste Bürgermeisterin in der Region. Die FDP-Frau steht seit 16 Jahren an der Spitze der 4000-Einwohner-Gemeinde Gemmrigheim im Kreis Ludwigsburg. Am 28. Februar ist Wahltag. Bis zum 1. Februar um 18 Uhr läuft die Bewerbungsfrist, erst dann ist geklärt, wer es mit der 51-Jährigen aufnehmen will.

Lucia Herrmanns zweite Amtszeit läuft im nächsten Jahr ab. Sie managt seit 1995 die Gemeinde Lichtenwald im Schurwald mit 2500 Einwohnern. Die erste Amtszeit war für sie kein Zuckerschlecken: "Es gibt Leute, die nur darauf warten, dass ich Fehler mache", sagte sie fünf Jahre nach ihrer ersten Wahl. Damals war sie noch überzeugt: "Frauen haben es in diesem Amt besonders schwer." Nun hat sich das Blatt gewendet: "Seit meiner Wiederwahl 2003 sitze ich deutlich fester im Sattel." Sie kann sich zurücklehnen: "Frauenspezifisch gibt es jetzt keine Probleme mehr."

Eines weiß sie aber genau: "Frauen müssen im Wahlkampf klar etwas zu ihrem Kinderwunsch sagen." Die Leute hätten "viel zu viel Respekt" selbst zu fragen, wollten aber wissen, wer die Geschäfte führt, wenn die Bürgermeisterin schwanger wird. Sie selbst habe deshalb alle wissen lassen: "Wir wünschen uns Kinder, können aber keine bekommen." Diese Offenheit hat ihr nach ihrer eigenen Einschätzung zum Wahlsieg verholfen.

So hat Lucia Herrmann in diesem Sinn auch Verena Grötzinger beraten, die sich 2008 in Owen, ebenfalls Kreis Esslingen, bewarb. Und Grötzinger, die damals noch Verena Wiedmann hieß, hatte von einem wohlwollenden Owener gehört: "Sie haben zwei Probleme - Sie sind eine Frau und Sie sind nicht verheiratet." Tatsächlich sei sie dann "auf offener Bühne" gefragt worden, was passiert, wenn sie schwanger werde. "Bei mir wurde, anders als bei den männlichen Bewerbern, aber auch gefragt, warum ich glaube, für dieses Amt qualifiziert zu sein."

Kinder trotz Amt? Der Mann muss helfen

Ihre Antworten konnten die Owener aber offensichtlich überzeugen: Verena Grötzinger wurde gegen zwei männliche Konkurenten mit 64 Prozent gewählt. Ein Grund war sicher ihr klares Bekenntnis zur ihrem Amt - trotz Kinderwunsch. "Ich habe klargestellt, dass dann mein Mann zu Hause bleibt." Sie sieht an der Spitze einer kleinen Verwaltung selbst auch keine Möglichkeit zu pausieren. Das sei in den größeren Städten mit Wahlbeamten an der Seite der Oberbürgermeisterin anders. "In einem großen Rathaus hat man viel fachliche Qualität und ein Hauptamt hinter sich." Sie sei in Owen aber "Generalistin". Im gesamten Rathaus sind nur sechs Vollzeitkräfte tätig.

Jetzt, 13 Monate im Amt, sieht sich Grötzinger mit "sehr positiven Rückmeldungen" konfrontiert. Oft werde ihre Sachkompetenz gerühmt, freut sich die 31-Jährige. Ein Lied davon singen, wie Bewerberinnen fürs Bürgermeisteramt am Kinderwunsch beurteilt werden, kann auch Irmtraud Wiedersatz aus Burgstetten (Rems-Murr-Kreis). Als das zweite Kind unterwegs war, habe der Stellvertreter der Bürgermeisterin schon gelauert, sagt Verena Grötzinger. Monika Chef (damals noch Monika Tummescheit) erntete offene Kritik aus dem Gemeinderat, als sie 14 Wochen in den Mutterschutz ging. Ulrike Binninger (damals Ulrike Mau) aus Nufringen (Kreis Böblingen) nahm den Kritikern dagegen früh den Wind für weitere Fragen aus den Segeln: "Ich bin konfessionslos und will keine Kinder."

Dass das Amt keine Auszeit erlaubt, findet wie Verena Grötzinger auch Lucia Herrmann. Über den Tübinger OB, der angekündigt hat, im Herbst einige Monate Elternzeit zu nehmen, sagt sie: "Auch Boris Palmer wird nicht abstinent vom Rathaus bleiben und nur noch das Baby wickeln." Es werde auch ihm in einer größeren Stadt nicht möglich sein, die Drähte komplett zu kappen. "Als Bürgermeister hat man nie frei."

"Das klassische Dilemma der Mehrfachbelastung" sieht Oscar Gabriel (62), Professor für Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart, als Hauptursache, dass sich Frauen selten für Spitzenpositionen bewerben. "Wenn Frauen kandidieren, haben sie gute Chancen, gewählt zu werden", weiß Gabriel. Doch viele schreckten zurück vor dem Spagat zwischen Kindererziehung, Haushalt, Rathauschefin und Daueransprechpartnerin für jeden in der Gemeinde. Frauen seien in den Parlamenten und Parteivorständen durchaus auf dem Vormarsch, so Gabriel. Auf dem Weg in Spitzenpositionen gebe es aber ein Nadelöhr. Auch weltweit seien Frauen deshalb als Regierungschefin, Parlamentspräsidentin oder Parteivorsitzende noch die Ausnahme. Dies liege nach wie vor einfach "an der Verfügbarkeit der Zeit".

Um sich das Bürgermeisterinnen-Leben leichter zu machen, treffen sich die Amtsinhaberinnen einmal im Jahr im September für ein Wochenende an wechselnden Orten. 2009 war es in Laupheim (Kreis Biberach). Dort wurde Bürgermeisterin Monika Sitter im Dezember aber abgewählt. "Gut 20 Kolleginnen waren da", sagt Lucia Herrmann. Die Hausherrin stellt dann jeweils interessante Einrichtungen oder Firmen ihrer Stadt vor, im gemütlichen Teil wird dann schon einmal die Zusammenarbeit mit (männlichen) Kollegen oder dem Gemeinderat diskutiert.

Ganz offensichtlich haben es Oberbürgermeisterinnen zumindest in der Anfangsphase leichter. Ursula Keck aus Kornwestheim fühlt sich nicht anders behandelt als männliche Kollegen. Wenn es überhaupt Unterschiede gebe, dann durch eine andersartige Kommunikation der Frauen: "Wir legen einfach mehr Wert auf ein gutes Klima eine gute Gesprächsatmosphäre." Gute Ergebnisse seien oft auch das Produkt von Sensibilität.