Schmieheim feiert am 5. Dezember ein Jubiläum: Wilhelm Kölle wurde vor 75 Jahren zum Bürgermeister gewählt. Es waren die ersten freien Wahlen in Schmieheim nach der Nazi-Herrschaft.
„Wilhelm Kölle ist ein Beispiel für eine Generation, die nicht verzagte, sondern, die angepackt und nicht nur zur ,Steigerung des Bruttosozialprodukts in die Hänge gespuckt hat’. Diese Generation hat unsere Demokratie entwickelt und geformt, die heute auf so gefährliche Weise an Wertschätzung verliert“, erklärt Schmieheims früherer Ortsvorsteher Jürgen Milde.
„Freie Wahlen sind eine sehr wichtige Errungenschaft der gelebten Demokratie“, betont auch Schmieheims aktueller Ortsvorsteher Michael Hartmann. „Ich hoffe und wünsche, dass dies immer so bleibt und unsere Gesellschaft sich nicht von irgendwelchen Populisten einfangen lässt, denen freie Wahlen ein Dorn im Auge sind. Wir haben schon zu viele Autokraten und Despoten auf dieser Welt. Ich wünsche mir, dass sich in Deutschland immer viele daran erinnern, dass unsere Vorfahren auch darunter gelitten haben und es eine sehr schlechte Zeit war.“
Kölle war der erste Bürgermeister, der nach dem Zweiten Weltkrieg in einer freien Wahl zum Bürgermeister gewählt worden war. „Der Schmieheimer von Geburt an“ sollte bis 1966 die Geschicke seines Heimatorts leiten. Dabei galt es für ihn auch einige Herausforderungen zu bewältigen: Die Gemeindekasse war absolut leer, viele Flüchtlingsfamilien mussten aufgenommen und der Wiederaufbau des Ortes vorangetrieben werden. Kölle selbst dürften sicherlich die Erlebnisse als Frontsoldat im Zeiten Weltkrieg und die britische Gefangenschaft geprägt haben. Doch: „Von Resignation war keine Spur“, so Milde.
Wohnraum musste zugewiesen werden
Dringendstes Problem war die Umverteilung von Wohnraum. Bewohner mit größeren Wohnungen mussten entweder Personen aufnehmen oder in kleinere Wohnungen umziehen.„Die Vorbereitung und die Umsetzung der Beschlüsse erforderten ein Höchstmaß an Fingerspitzengefühl und dennoch war Ärger häufig nicht zu vermeiden“, so Milde. Dass aber sowohl Kölle als auch die Bevölkerung es schließlich gut bewältigt hätten, stelle Kölles Wiederwahl unter Beweis.
Die Tätigkeit des Bürgermeisters war offiziell eine Halbtagstätigkeit. Auch in seinem Beruf als Landwirt hatte Kölle „eine herausragende Bedeutung für ein Volk, das die Hunger- und Elendszeit des Endes des Zweiten Weltkriegs gerade überwunden hatte“. Kölle könne „mit Recht als Pionier des Weinbaus bezeichnet werden“, so Milde und verweist auf den 1957 verabschiedeten großzügigen Rebenaufbauplan. Aber auch gewerbliche Betriebe – unter anderem die Firma Hiller – wurden unter seiner Ära angesiedelt.
Auch die Vereine wurden von ihm gefördert
Er war jemand, der zu John F. Kennedys Ausspruch „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst“ passte, bilanziert Milde. Das stellte Kölle etwa auch bei der Förderung des Zusammenlebens der Menschen im Dorf und bei seinem regen Engagement im Vereinsleben unter Beweis. Trotz leerer Kasse habe er den Vereinen unter die Arme gegriffen.
Ein Vorbild für heute?
„Vor 75 Jahren war die Welt noch in Ordnung. Ich meine nicht, dass man das Rad der Entwicklung bis dort zurückdrehen sollte, sondern dass der gesunde Menschenverstand und die Eigenverantwortung jedes Einzelnen wieder mehr in den Vordergrund rücken sollte. Damals wurde nach einer Diskussion entschieden und die Verantwortlichen standen dafür ein. Selbstverständlich gab es auch damals schon Entscheidungen, die falsch waren und nachträglich korrigiert oder revidiert wurden. Letztendlich war es aber so, dass die Entscheidungen nah bei den Menschen waren. Es wurde nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt und die Rechtsanwälte hatten noch nicht so viele Aufträge. Das gesprochene Wort hatte noch Gültigkeit und wurde respektiert“, bilanziert Schmieheims Ortsvorsteher Michael Hartmann.
Heutzutage verstecke sich nahezu jeder hinter irgendwelchen Vorschriften, um ja nichts Falsches zu sagen oder eventuell für etwas verantwortlich zu sein. „Leider gibt es heute zu viele Regularien, so dass man immer eine Vorschrift oder ein Gesetz vorschieben kann. Ich bin aber überzeugt, dass kein Bürger alle Gesetzte kennen und folglich auch nicht einhalten kann. Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass die Menschen wieder mehr Eigenverantwortung übernehmen und nicht bei jeder Kleinigkeit nach einer Regelung durch den Staat oder Kommune rufen“, so Hartmann.
Schloss gerettet
Zu den Entscheidungen unter Kölles Ära zählt auch die, wie es mit dem Schloss weiterging. 1954/55 wurde mit dem Neubau der Schule im Schlossgarten ein wichtiger Schritt für die Zukunft getan, erklärt Milde und lobt „die überaus mutige Entscheidung das Schloss vor dem vollständigen Zerfall beziehungsweise Abbruch zu retten“. Die ursprünglichen Pläne, das Schloss zu einem Schulhaus umzubauen, waren vom Kultusministerium abgelehnt worden. Die Entscheidung dort Räume für das Bürgermeisteramt zu schaffen, soll mit sehr knapper Mehrheit gefallen sein. Ohne diese gäbe es das jetzige Wahrzeichen Schmieheims vielleicht nicht mehr. 78 000 DM waren für das Schloss ursprünglich veranschlagt gewesen, am Ende waren es 322 000 DM. Finanziert wurde das mit Sonderhieben im Gemeindewald. Dort kamen auch die Mittel für den Bau des Sportplatzes, den Beginn des Baus der Dorfkanalisation und die Planung und Erschließung des ersten Neubaugebiets her.