Beifall vom internationalen Publikum der Pariser Modewoche: Evgeniya Scherer (rechts) schreitet mit einem Model, das eine ihrer Kreationen trägt, über den Laufsteg. Foto: (lz)

Designerin Evgeniya Scherer zeigt ihre Kollektion auf der Fashion Week – die LZ hat sie einen Tag lang begleitet.

Lahr/Paris - Drei Jahre ist es her, dass Evgeniya Scherer zur Nähmaschine griff, um ihr erstes Kleid zu nähen. Jetzt hat sie ihre Kollektion auf einer der wichtigsten Modewochen präsentiert. Die LZ hat die Lahrer Designerin in die französische Hauptstadt begleitet.

Ein pompöser Saal, ein Laufsteg und zig Fotografen – die Luft bebt förmlich, als die Veranstalter den Startschuss für die Show in der historischen Galerie Bourbon im achten Pariser Arrondissement geben. Evgeniya Scherer, Lahrer Designerin mit bulgarischen Wurzeln, ist an diesem Donnerstag eine von insgesamt 14 internationalen Designerinnen und Designern, die ihre Modeschöpfungen auf dem Podium der weltbekannten Pariser Modewoche präsentieren darf.

Modetrends für 2022 auf dem Laufsteg

Als im Saal die ersten Models in aufwendigen Kreationen über das Parkett schreiten, befindet sich die 44-Jährige Designerin hinter der Bühne. Dort müssen die Models in Höchstgeschwindigkeit in das nächste Outfit schlüpfen, während draußen die Show im vollen Gang ist. Dramatische Musik dröhnt, Modebegeisterte tummeln sich mit ihren Smartphones um den Catwalk, der einzig durch ein samtenes rotes Band vom Publikumsraum abgegrenzt ist. Am Kopfende des etwa 20 Meter langen und zweieinhalb Meter breiten Laufstegs haben sich zig Fotografen unter schweren Kronleuchtern in Position gebracht. Sie halten die Präsentation der Mode-Kollektionen in Fotos und Filmen für die Designer fest.

Nach den Modewochen in New York, London und Mailand, die früher im Jahr stattfanden, startete am Montag nun auch die Fashion Week in Paris. In diesen Tagen verwandelt sich die Stadt zum internationalen Schaufenster für die Frühjahrs- und Sommer-Modetrends des kommenden Jahres. 80 Präsenzveranstaltungen sind in unterschiedlichen Lokalitäten der Hauptstadt geplant, heißt es in französischen Medienberichten. 17 weitere Veranstaltungen würden im Online-Format abgehalten. Hieran beteiligten sich vor allem asiatische Labels, für die sich die Anreise aufgrund der Pandemiesituation zu kompliziert gestaltet hätte.

In der Galerie Bourbon, unweit des Triumphbogens, der zurzeit von einem Kunstwerk des bulgarischen Künstlers Christo verhüllt ist, werden an diesem Donnerstag zwei Mode-Shows von den Organisatoren, der Fédération de la Haute Couture et de la Mode, präsentiert. Die Catwalks dauern je rund zwei Stunden. Nur Fachpublikum, Käufer und Pressevertreter dürfen bei dem Event dabei sein.

Designerin ist eigentlich Juristin

Für die Fashion Week beworben hat sich Scherer im November vergangenen Jahres, im Januar kam dann die Zusage. Der Auftritt in Paris ist für sie mit Kosten verbunden, denn sie muss die Models, die ihre Mode vorführen, aus eigener Tasche bezahlen.

Dabei ist die in Sofia geborene Bulgarin keine gelernte Schneiderin, sondern Juristin. "Im Jahr 2018 habe ich mich das erste Mal an eine Nähmaschine gesetzt", erklärte sie im Gespräch mit unserer Zeitung kurz vor ihrer Abfahrt nach Paris. An diesem Tag im Jahr 2018 sei allerdings im Handumdrehen ein Kleid entstanden, das sie noch am gleichen Abend zu einer Veranstaltung trug. "Es ist einfach so passiert, seither habe ich sehr viel dazugelernt", berichtet die 44-Jährige. Mit dem Schneiderhandwerk sei sie in gewisser Weise aufgewachsen. Ihre Großmutter aus Sofia, mit der sie bis zu deren Tod zusammengelebt hat, sei Maßschneiderin gewesen. Ihr habe Scherer immer wieder geholfen und "unbewusst viel von ihr gelernt".

Dieses lange Zeit verborgene Talent findet in der Präsentation ihrer Kollektion "Facets of Change" in Paris internationale Aufmerksamkeit. Italienische, nigerianische, amerikanische und australische Modedesigner stellen an diesem Donnerstag ihre Kollektionen in strengster zeitlicher Taktung vor. Bademoden, Schuhe, aber auch Schmuck und Haar-Accessoires werden während des Walks neugierig vom interessierten Publikum beäugt.

14 Modedesigner dürfen ihre Kollektionen zeigen, wofür ihnen aber nur jeweils sieben bis zehn Minuten zur Verfügung stehen – es muss also schnell gehen. Jedes Outfit wird zweimal gezeigt. Erst in einem Einzel-Auftritt: Hier tritt das Model alleine vor das Publikum, schreitet den Gang ab, spielt mit den Linsen der Fotografen. In einem zweiten Durchlauf treten schließlich noch einmal alle Models gemeinsam auf den Laufsteg. So können die Zuschauer die Kollektion als Gesamtwerk betrachten.

Landrat Frank Scherer und Kinder sind dabei

Scherers Kollektion kommt an neunter Stelle. Die bunten, teils mit Applikationen versehenen Oberteile, Röcke und Kleider aus bedruckter Seide umspielen die langen Beine der Models auf ihrem Weg zum Kopfende des Stegs. Während die von Scherer eingekleideten Frauen auftreten, fiebern ihr Mann, Landrat Scherer, und ihre zwei Kinder im Zuschauerraum eifrig mit. Sie klatschen begeistert, als die Models mit den Kreationen von Ehefrau und Mutter auf dem Catwalk erscheinen.

Auch das Publikum leistet Beifall, als Scherer am Ende ihrer Präsentation mit einem strahlenden Lächeln und mit einem ihrer Models an der Hand auf die Bühne tritt und sich verbeugt. "Da ist dann auch auf einmal aller Druck von mir gefallen. Den Augenblick habe ich total genossen!", erzählt sie danach. Hinter der Bühne sei es während der Show wahnsinnig hektisch zugegangen. Das Umziehen und Herrichten der Models von einem Designer zum nächsten habe sehr schnell erfolgen müssen. Die Anspannung sei enorm gewesen, berichtet Scherer, die in der Nacht vor der Show vor Aufregung nur zwei Stunden geschlafen hat, wie sie gesteht.

Die Modereihe der Lahrer Designerin besteht aus zwölf selbstgeschneiderten Outfits, wenn auch nur acht davon in Paris gezeigt wurden. Die Kleidungsstücke fertigt sie in ihrem etwa 100 Quadratmeter großen Atelier im ersten Obergeschoss der Lahrer Kleiderfabrik Bonaccelli an. "Ich habe extra mehr Kleidungsstücke vorbereitet", erklärt Scherer, denn weder die genauen Maße noch die Größe der Models seien ihr vor ihrer Ankunft in der französischen Hauptstadt bekannt gewesen. Am Vorabend der Show habe sich dies während der vierstündigen Anprobe als eine ziemlich große Herausforderung entpuppt. Die Models seien sehr viel kleiner gewesen als gedacht. Eines ihrer Lieblingskleider mit einem langen Rückenausschnitt konnte aus diesem Grund nicht präsentiert werden.

Eine weitere Herausforderung sei es gewesen, dass sie die jungen Frauen nicht alle auf einmal habe sehen können. Stattdessen kamen die Models zeitversetzt zu ihr. "Ich musste blitzschnell entscheiden, welches Kleid ich an welches Model vergebe. Eine zweite Chance gab es nicht", sagt Scherer rückblickend. Eine Neuzuordnung der Kleider wäre im Nachgang nicht mehr möglich gewesen.

Für die Erstellung ihrer Kollektion habe sie monatelang hart gearbeitet, auch die Vorbereitungen für die renommierte Modewoche seien ein Nervenkitzel bis zur letzten Minute gewesen. Erst Ende vergangener Woche habe sie die letzten zwei Modelle ihrer Kreationen fertigstellen können.

Drei Käufer interessieren sich für ihre Outfits

Die Erfahrung auf der Modewoche sei jedoch gigantisch gewesen, sagt die 44-Jährige am Tag nach der Show. Die Einzigartigkeit dieses Ereignisses für sie als Modedesignerin vergleicht Scherer mit dem Projekt des international bekannten, 2020 verstorbenen Künstlers Christo am Pariser Triumphbogen. Sein Projekt sei einzigartig und finde nur einmal statt, genauso verhalte es sich mit der Präsentation ihrer Kollektion auf der Fashion Week: "Zeit kann man nicht in einer Flasche festhalten."

Sehr genossen habe sie die Aftershow-Party. Hier habe sie viel positives Feedback von den anderen Designern erhalten – eine schöne Bestätigung für ihre Arbeit. Die besondere Überraschung ihres Aufenthalts in Paris: Aus dem Publikum haben sich drei Interessenten für ihre Kleider gemeldet. "Dass das so schnell kommt, hätte ich nicht erwartet", freut sie sich.

Evgeniya Scherer ist nicht nur Designern, sondern auch Künstlerin. Auf den Stoffen ihrer Kollektion "Facets of Change" sind die Motive ihrer surrealistischen Öl- und Acrylbilder zu sehen. Der Nachhaltigkeitsgedanke ist für sie in ihren Modeschöpfungen essenziell. Aus diesem Grund verziert sie ihre Unikate unter anderem mit Haute-Couture Stoffresten – aus Spitze. Sie selbst versucht zudem, so wenig Stoffabfall wie nur möglich zu produzieren. Wichtig ist ihr in Harmonie mit der Natur zu leben – auch das soll ihre Mode ausdrücken. Ihr Modelabel hat sie markenrechtlich schützen lassen. Es heißt "Die Mode bist Du".